Der Professor an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Brixen erklärt, warum Homosexualität aus offizieller Sicht der Kirche immer noch als Sünde gilt, welche Gründe sie dafür anführt – und warum es an diesem Punkt doch noch ein Umdenken geben könnte. <BR /><BR /><b>Zwei Lesben bitten in der Sendung „Dahoam is Dahoam“ um die kirchliche Trauung: Was muss ein Pfarrer diesen Leuten sagen?</b><BR />P. Martin M. Lintner: Lassen Sie mich etwas plakativ antworten: Wenn ein gleichgeschlechtliches Paar sich an einen einfühlsamen Seelsorger wendet, dann wird dieser das vertiefende Gespräch suchen, nach ihren Beweggründen fragen, warum ihnen der Segen wichtig ist, und eine Möglichkeit für eine Segnung finden, sei es auch nur im privaten Rahmen.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="801506_image" /></div> <BR /><b>Aber offen und offiziell in der Kirche – das geht dann nicht?</b><BR />P. Lintner: Wenn ein Priester „Dienst nach Vorschrift“ macht, dann wird er das Paar darauf hinweisen, dass die Segnung eines gleichgeschlechtlichen Paares in der katholischen Kirche derzeit nicht erlaubt ist, und sich auf ein Dokument der Glaubenskongregation vom März 2021 berufen, das diesen Stand der katholischen Lehre einmal mehr festgehalten hat. Dieses Dokument hat nach seiner Veröffentlichung sehr kontroverse Diskussionen hervorgerufen und in Folge haben viele Priester weltweit, vereinzelt auch in Südtirol, öffentlich kundgetan, dass sie einem gleichgeschlechtlichen Paar den Segen nicht verweigern würden.<BR /><BR /><b>Welche Argumente hat die Kirche gegen einen offiziellen Segen für diese Beziehungen - oder ist es doch irgendwie versteckte Homophobie?</b><BR />P. Lintner: Die katholische Kirche war in den 1970er Jahren eine der ersten Institutionen weltweit, die anerkannt hat, dass eine homosexuelle Neigung nicht als krankhaft oder als eine sexuelle Perversion anzusehen ist. Seitdem fordert sie konsequent, dass homosexuelle Menschen nicht diskriminiert werden dürfen. Allerdings beurteilt die Kirche die praktizierte Homosexualität immer noch als sündhaft, was von vielen homosexuellen Menschen selbst als diskriminierend bis homophob erfahren wird. <BR /><BR /><embed id="dtext86-55662678_quote" /><BR /><BR /><b>Warum soll Homosexualität Sünde sein?</b><BR />P. Lintner: Die Kirche verwendet 3 Argumente: Erstens bezieht sie sich auf die Heilige Schrift, in der an 3 Stellen männliche homosexuelle Akte abgelehnt werden, zweitens argumentiert sie naturrechtlich, dass die Sexualität von ihrem Wesen her auf die Zeugung ausgerichtet sei, und drittens verweist sie auf die unveränderte jahrhundertelange Tradition der katholischen Sexualmoral. <BR /><BR /><b>Sind das aus Ihrer Sicht gute Argumente?</b><BR />P. Lintner: Man muss dazu sagen, dass die heutige Exegese die betreffenden Bibelstellen anders auslegt – es geht genau genommen um die Verletzung des Gastrechtes und um die Aufrechterhaltung von Geschlechterrollen – und dass die katholische Sexualmoral seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil nicht mehr naturrechtlich, sondern personal argumentiert, das heißt, dass die Sexualität mehr Sinngehalte hat als nur die Fortpflanzung. In besonderer Weise wird die gelebte Geschlechtsgemeinschaft leiblicher Ausdruck von Liebe und Treue gesehen. Das bedeutet, dass die obigen Argumente ihre Überzeugungskraft verloren haben und kirchlicherseits eine ethische Neubewertung einer homosexuellen Beziehung gefordert ist, denn auch in einer homosexuellen Beziehung können mit der Sexualität verbundene menschliche Werte verwirklicht werden.<BR /><BR /><b>Oft wird auch argumentiert, ein Segen für gleichgeschlechtliche Paare würde den Wert der christlichen Ehe schmälern?</b><BR />P. Lintner: Das glaube ich nicht. Dass heute die Institution Ehe in Krise ist, hat viele Gründe, hat aber rein empirisch gesehen nicht mit der Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften zu tun. Eher ist es umgekehrt, dass gleichgeschlechtliche Paare, die heiraten möchten, gerade dadurch den Wert einer stabilen partnerschaftlichen und dauerhaften Beziehung betonen. Natürlich stellt sich die Frage, ob es einen Unterschied gibt zwischen verschiedengeschlechtlichen Eltern, die Kindern das Leben schenken und sie erziehen, und Paaren, die diese auch gesellschaftlich wichtige Aufgabe nicht erfüllen. Es gibt aber auch heterosexuelle Paare, die nicht Eltern sein können oder wollen. Homosexuelle Paare, mit denen ich im Gespräch bin, lassen dieses Argument deshalb nicht gelten.<BR /><BR /><embed id="dtext86-55662679_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Glauben Sie, dass in der Kirche hier ein Nach- und womöglich Umdenkprozess stattfindet, oder ist das letzte Wort gesprochen?</b><BR />P. Lintner: Ich bin mir ziemlich sicher, dass hier das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Beispielsweise weiß ich aus internen Quellen, dass selbst innerhalb der Glaubenskongregation nicht alle mit dem oben erwähnten Dokument einverstanden sind, das den derzeitigen Stand der kirchlichen Lehre festhält. Das Dokument hat der Vatikan ja auch nicht aus eigenem Antrieb veröffentlicht, sondern als Reaktion auf eine Anfrage von auswärts. Offensichtlich wollte auf diese Weise jemand dem Bemühen, Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare theologisch und pastoral den Weg zu bereiten, einen Riegel vorschieben. Es gibt diesbezüglich nämlich seit vielen Jahren verschiedenste Initiativen und Arbeitsgruppen, die auch von diversen Bischöfen aktiv unterstützt werden. Von Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichsten Ländern weiß ich zudem, dass diese Thematik nicht – wie oft kolportiert wird – nur in den deutschsprachigen Ländern oder nur in Europa diskutiert wird.<BR /><BR />