Obwohl die Behörden die Suche nach Verschütteten gerade für eingestellt erklärt hatten, zogen Einsatzkräfte am Samstag den Verkäufer Wismond Exantus aus den Trümmern eines Geschäfts im Erdgeschoss des Hotels Napoli.Dutzende von Schaulustigen beobachteten den wohl letzten von insgesamt 133 erfolgreichen Bergungseinsätzen - elf Tage nach dem verheerenden Beben der Stärke 7,0. Sich mit Atemschutzmasken vor dem Verwesungsgeruch schützend, sahen sie zu, wie der zwischen 20 und 30 Jahren alte Mann mit schwarzem T-Shirt und schwarzer Hose aus einem engen Gang gebracht und auf eine Trage gelegt wurde. Ein Krankenwagen fuhr ihn in eine Klinik.„Ich hatte Hunger“, sagte Wismond Exantus im Krankenhausbett. „Aber jeden Abend dachte ich an die Offenbarung, dass ich leben würde.“ Beim Erdbeben habe er unter einem Tisch Zuflucht gesucht. In diesem beengten Raum habe er die ganze Zeit auf dem Rücken liegend ausgeharrt und mit Hilfe von Cola, Bier und Keksen überlebt. „Gott hat mich in seinen Armen geborgen“, sagte Exantus. „Er hat mir Kraft gegeben.“Einer seiner Brüder, Jean Elit Jean Pierre, sagte, dass Exantus an der Kasse des Lebensmittelgeschäfts gearbeitet habe. Er und weitere Angehörige bedrängten die Einsatzkräfte, Exantus zu retten.Im Bett in der Klinik liegend, wandte sich Exantus seiner Familie zu und sagte: „Wenn ihr einmal in einem Loch seid, will ich auch versuchen, euch zu helfen!“Wenige Stunden vor seiner Rettung hatten die Vereinten Nationen mitgeteilt, dass die haitianische Regierung eine Einstellung der Bergungseinsätze beschlossen habe. Gleichwohl mühten sich auch danach noch Dutzende von internationalen Rettungsteams durch die Trümmer von eingestürzten Häusern.Die Rettung von Exantus begann am Samstag, als einer von seinen Brüdern ein griechisches Bergungsteam an den Ort brachte, an dem er die Stimme des Verschütteten gehört hatte. „Das ist emotional sehr aufwühlend“, sagte der Leiter des griechischen Teams, Apostolos Dedas. „Das ist das Beste, was einem Retter passieren kann.“Die Bergungsspezialisten setzten schwere Bohrer, Kettensägen und Handsägen ein, um eine Tunnelröhre zu dem Vermissten zu bahnen. So konnten sie ihm schon früh Wasser zuführen, wie Oberstleutnant Christophe Renou vom französischen Zivilschutz mitteilte, der das griechische Rettungsteam unterstützte. Der Mann sei unter einem Trümmerberg mit einer Dicke von fünf bis sechs Metern begraben gewesen, sagte Renou, hauptsächlich aus Beton und Holz.Zuerst wurden zwei Frauen in den Gang zu dem Verschütteten geschickt, weil nur sie schmal genug waren. Eine von ihnen, die schottische Helferin Carmen Michalska, fand Exantus verkeilt zwischen Regalbrettern und Gebäudetrümmern. Mit einer Säge befreite sie ihn und führte ihn hinaus.„Er lächelte und war einfach überglücklich, da rauszukommen“, berichtete Michalska. „Er sagte: Danke!“Renou vermutet, dass der Mann auch deshalb überleben konnte, weil die Geschäftseinrichtung hauptsächlich aus Holz bestand. Dadurch entstanden beim Einsturz Hohlräume, die Luft ließen. „Was an diesem Ort geschehen ist, ist ein Wunder“, sagte Renou. „Wir sind überglücklich, dass er am Leben ist.“apa