Wie Choukri in diese furchtbare Situation hineingeraten war, wie einfach man in Bozen an Drogen kommt, was er aus dem Bozner Knast zu erzählen hat und vor allem, was er sich von Herzen wünscht, hat er uns im Interview erzählt. Hier die Geschichte eines Unsichtbaren im Schatten der Gesellschaft, der jetzt Gesicht und Gehör erhält. <BR /><BR /><BR /><b>Choukri, woher kommst du ursprünglich und warum bist du nach Italien gekommen?</b><BR />Choukri: Ich stamme aus Libyen und lebte dort mit meinen Eltern, meiner um ein Jahr jüngeren Schwester und einem älteren Bruder. Wegen des Krieges mussten wir flüchten. Es war furchtbar dort, meine Schwester geriet einmal in ein Gefecht und erlitt einen Bauchschuss, den sie knapp überlebte. Und so haben meine Eltern ihr ganzes Geld für eine Überfahrt von Libyen nach Italien zusammengespart und den Schleppern gegeben.<BR /><BR /><b>Wann war das?</b><BR />Choukri: Das war im Jahr 2019, da war ich 16 Jahre alt. Mein älterer Bruder ist schon 2 Jahre vorher nach Italien geflüchtet.<BR /><BR /><b>Wie war diese Überfahrt?</b><BR />Choukri: Wir waren etwa 150 Leute auf diesem Boot. Und die Fahrt, die insgesamt 3 Tage dauerte, endete in einer Katastrophe. Als wir in der Nähe der italienischen Küste waren, kippte das Boot. Ein Rettungsschiff, das uns schon beobachtet hatte, warf sofort Seile ins Meer. Doch für meine Eltern gab es keine Rettung mehr. Meiner Mutter sah ich noch in die Augen, bevor sie unterging. Meine Kusine, die ebenfalls an Bord war, meine Schwester und ich konnten uns retten.<BR /><BR /><b>Wie furchtbar…</b><BR />Choukri: So ist das Leben. (sagt er sehr leise und schaut traurig zu Boden)<BR /><BR /><b>Wie ging es danach weiter für dich?</b><BR />Choukri: Ich kam in ein Auffanglager in Lampedusa, anschließend wurde ich nach Sizilien gebracht, wo ich einen Monat in einer Einrichtung für minderjährige Geflüchtete lebte, dann wurde ich in eine Einrichtung für Minderjährige nach Modena gebracht. Dann kam mein 18. Geburtstag. In jener Nacht durfte ich noch dort schlafen, dann wurde ich vor die Tür gesetzt.<BR /><BR /><b>Du wurdest sofort rausgeworfen? Ohne dir jemanden zur Seite zu stellen oder Alternativen anzubieten?</b><BR />Choukri: Genau: Ich wurde vor die Tür gesetzt und war ab dem Moment auf mich gestellt. Meine Schwester blieb in Modena und ist jetzt dort verheiratet.<BR /><BR /><b>Wie ging es dann weiter?</b><BR />Ich bin Richtung Norden, weil in Bozen eine Tante von mir lebt. Ich erhoffte mir Unterstützung, aber durch meine Drogensucht, die relativ bald begann, wollte sie mich auch nicht mehr haben. Ist ja auch verständlich. <BR /><BR /><b>Seitdem lebst du hier auf der Straße?</b><BR />Choukri: Ja, untertags bin ich meist hier(zu Choukris Schutz werden wir die genaue Zone nicht nennen Anm. d. Red.) und in der Nacht schlafe ich zusammen mit einem Freund in einem Zelt unter der Brücke. Jeder Tag ist gleich, hoffnungslos und hässlich. Die Drogen bringen Erleichterung, aber eben nur kurzfristig. Dann ist wieder Hölle und die nächste Dosis muss her. Die physischen und mentalen Schmerzen sind sonst nicht auszuhalten.<BR /><BR /><b>Was ist dein größter Traum?</b><BR />Choukri: Dass ich Hilfe bekomme, dass ich weg von der Straße und raus aus den Drogen komme. Ich möchte zur Schule gehen und arbeiten. Etwas lernen. Mein Leben ist furchtbar, aber ich weiß nicht, wie ich hier rauskomme. Keiner reicht mir die Hand.<BR /><BR /><b>Wie bist du in diesen Drogensumpf hineingeraten?</b><BR />Choukri: Das ist auf der Straße und in meiner Situation fast unvermeidbar. Mir wurde es von Leuten hier auf der Straße angeboten und dann greift man zu. Man hat nichts zu verlieren, nur zu gewinnen. Es ging dann recht schnell, ich nehme Drogen, um das Drama um meine Eltern zu vergessen, um all das Schlimme zu verdrängen. <BR /><BR /><b>Welche Drogen konsumierst du?</b><BR />Choukri: Heroin und Crack. Einmal das eine, einmal das andere. Und ich muss sagen, in Bozen kommst du sehr schnell und viel leichter an Drogen als in jeder anderen Stadt, in der ich bisher war. Es ist so einfach. <BR /><BR /><b>Wie oft konsumierst du am Tag?</b><BR />Choukri: Alle 2 bis 3 Stunden, je nach dem wie es vom Geld her reicht. <BR /><BR /><b>Wieviel Geld brauchst du durchschnittlich dafür am Tag?</b><BR />Choukri: Zwischen 50 und 100 Euro.<BR /><BR /><b>Das ist eine gewaltige Summe!! Und du musst ja auch noch essen und trinken. Wie bekommst du das Geld zusammen?</b><BR />Choukri: Zunächst habe ich es gestohlen. Den Leuten auf der Straße, im Despar usw. Wegen dieser ständigen Diebstähle bin ich dann im Gefängnis gelandet. Seit 2 Monaten bin ich wieder frei.<BR /><BR /><b>Ok! Wie war das dort?</b><BR />Choukri: Schrecklich, wir waren 9 Leute in der Zelle. Männer aus den unterschiedlichsten Ländern. Ich war der jüngste. Mein Glück war, dass mein Bruder auch im Knast war und mich beschützen konnte. Wenn ich allein gewesen wäre, wäre es dort wohl noch schlimmer gewesen. <BR /><BR /><b>Der Bruder war auch im Gefängnis? Was hat er angestellt?</b><BR />Choukri: Er hat gedealt und sitzt jetzt die nächsten 2 Jahre ab. <BR /><BR /><b>Wie kommt man im Knast ohne Drogen klar?</b><BR />Choukri: Keine Drogen? Das Gefängnis ist voll von Drogen, du bekommst dort alles und auch ganz leicht. Ich war keinen einzigen Tag ohne Drogen dort. <BR /><BR /><b>Nach diesem Gefängnisaufenthalt ging es dann wieder auf die Straße?</b><BR />Choukri: Ja, es hat sich nichts verändert, außer dass ich nicht mehr stehle.<BR /><BR /><b>Wie beschaffst du dir dann das Geld für Drogen?</b><BR />Choukri: Es gibt genügend Leute, die auf der Suche nach Drogen und einem Dealer sind. Ich mache das dann für die und verdiene so mein Geld. Sie geben mir 50 Euro, ich kaufe Drogen um 30 und streiche die 20 ein. <BR /><BR /><b>Ganz generell gefragt: Was hältst du von Bozen und den Südtirolern?</b><BR />Choukri: Mir gefällt es hier gut, die meisten Leute sind sehr freundlich. Ich hatte mal einen älteren Mann bestohlen, der hat mir anstatt mich anzuzeigen etwas zu essen gekauft. Aber im Endeffekt bin ich unsichtbar für die Leute. Mich gibt es nicht wirklich. <BR /><BR /><b>Möchtest du unseren Lesern abschließend noch etwas sagen?</b><BR />Choukri: Wenn mir jemand helfen könnte, wäre ich sehr dankbar. Ganz egal wie. Ich bin erst 21. Mein einziges Ziel ist aus dieser ganzen „Scheisse“ rauszukommen und dann zu arbeiten. Alleine schaffe ich es nicht.<BR /><h3> Die gute Nachricht zum Schluss</h3>Das Gespräch haben wir vor einer Woche geführt, in der Zwischenzeit hat sich einiges getan. Choukri hat den ersten Schritt in die richtige Richtung gemacht und versucht nun mit professioneller Unterstützung seine Sucht zu bekämpfen, um anschließend in ein hoffentlich besseres Leben zu starten. <BR /><BR /><i>Wir halten Sie über Choukris Weg auf dem Laufenden.</i><BR />