Mit der Neuauflage des Buches über den Südtiroler Serienmörder bietet Cagnan einen erweiterten „Blick hinter die Kulissen der Ermittlungen“, wie er im Interview erzählt.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="934261_image" /></div> <BR /><BR /><b>Sie veröffentlichen eine Neuausgabe des Buchs über Marco Bergamo – fast 30 Jahre nach der ersten. Warum?</b><BR />Paolo Cagnan: Es gibt mehrere Gründe. Einerseits hört man immer wieder von Femiziden in den Nachrichten, glücklicherweise gibt es nicht mehr so viele Fälle von Serienmördern. Aber zu verstehen, wie ein Mensch zum Serienmörder wird, der – wie er selbst sagte – Frauen hasst, finde ich wichtig. Genau aus diesem Grund spreche ich von der Anatomie eines Serienmörders. Wir müssen verstehen, wie so etwas entsteht. Und das versuche ich im Buch zu beleuchten, indem ich seine Persönlichkeit, seine Kindheit, seine Familienverhältnisse unter die Lupe nehme. <BR />Auf der anderen Seite erhält man 30 Jahre später tiefere Einblicke hinter die Kulissen der Ermittlungen. So enthält das Buch auch ein aktuelles Interview mit Staatsanwalt Guido Rispoli, der bei den Ermittlungen gegen Marco Bergamo federführend gewesen ist. Das interessanteste dabei ist, dass die Beteiligten nach 3 Jahrzehnten bereit sind, Dinge zu erzählen, über die sie damals strengstes Stillschweigen gewahrt hatten. <BR /><BR /><b>Und es gibt weitere Überraschungen in der Neuausgabe.</b><BR />Cagnan: Die wichtigste ist wohl der Krimi um die Biografie von Bergamo. Ich habe leider erst nach seinem Tod in Erfahrung gebracht, dass er mir 2016 einen Brief aus dem Gefängnis geschickt hatte. <BR /><BR /><b>Was stand in dem Brief?</b><BR />Cagnan: Er hatte mich gefragt, ob ich an seiner Autobiografie interessiert wäre – er hatte sie fast zu Ende geschrieben. Er verfügte über einen Rechner ohne Internetzugang in seiner Zelle. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er seine Biografie dort gespeichert hat – nach seinem Tod dürften die Angehörigen aber alles mitgenommen haben, was ihm gehörte. Die Biografie ist nicht mehr aufgetaucht. Ich weiß nicht, ob er darin vielleicht weitere Morde gestanden hat. <BR /><BR /><b>Neu im Buch ist nämlich auch die Verbindung zum bislang ungelösten Mord an einer 20-Jährigen in der Poma-Straße in Rom im Jahr 1990. Welche Spuren dieses Verbrechens führen zu Bergamo?</b><BR />Cagnan: Der leblose Körper der 20-jährigen Simonetta Cesaroni wurde am 7. August 1990 in einer Wohnung in der Poma-Straße in Rom aufgefunden – sie war mit 29 Messerstichen getötet worden. Der Täter wurde nie ausgeforscht – ein jeder würde sich jetzt fragen: Was hat Bergamo mit einer jungen Frau aus Rom zu tun? <BR />Es gibt einige Elemente, die darauf hindeuten, dass Marco Bergamo vielleicht über Nacht nach Rom gefahren sein könnte, nachdem er das Opfer über ein Schnellnachrichtensystem, Videotel genannt, kennengelernt haben könnte. Am Tatort wurden Blutspuren sichergestellt, die nicht vom Opfer waren und deren Blutgruppe mit jener von Bergamo übereinstimmt. <BR />Das Problem ist, dass die DNA-Analyse zu forensischen Zwecken damals noch in der Kinderwiege war. 1990 wurden zur Analyse 2 Marker beobachtet, 1992 waren es schon 3 und heute rund 15. Mit den Kriterien von damals hat man also keine absolute Gewissheit. Dabei fand ich auch viele Analogien zwischen der Vorgehensweise beim Mord in der Poma-Straße und jenen, die Bergamo begangen hatte. Die Tatwaffe des Mordes in Rom war nie aufgefunden worden – Bergamo nahm immer sein eigenes Messer mit, wenn er tötete. Außerdem trug das Opfer in Rom keine Unterwäsche – Bergamo nahm die Unterwäsche seiner Opfer mit. Ich habe auch der Staatsanwaltschaft in Rom geschrieben, um den Fall neu aufzurollen. Bislang habe ich keine Rückmeldung erhalten. <BR /><BR /><b>Was bleibt Ihnen von Marco Bergamos besonders in Erinnerung?</b><BR />Cagnan: Während einer Pause beim Schwurgerichtsprozess habe ich mit ihm gesprochen und etwas gesagt, das er nicht goutiert hat – sein Gesichtsausdruck hat sich vollkommen verändert. Ich glaube, das gesehen zu haben, was seine Opfer vor ihrem Tod sahen. Ich habe in die Augen des Killers geblickt. Was ich aber nie verstehen werde, ist, dass er sich nie entschuldigt hat. Nicht einmal nach 20 Jahren im Gefängnis hat er Reue gezeigt. Obwohl er sich für seine Taten geschämt hat. <BR /><BR /><BR />HINTERGRUND<BR /><BR />Marco Bergamo ging als „Ungeheuer von Bozen“ in die Südtiroler Kriminalgeschichte ein. Nach dem Urteil des Gerichts hat er zwischen 1985 und 1992 insgesamt 5 Frauen ermordet. 3 Morde hat er gestanden, die anderen beiden hat er nie zugegeben. Verurteilt zu lebenslanger Haft, starb er 2017 im Alter von nur 51 Jahren an einer Krankheit. <BR /><BR /><BR />DAS BUCH<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="934264_image" /></div> <BR />Paolo Cagnan: Anatomia di un serial killer. Marco Bergamo - storia del mostro di Bolzano. 336 Seiten, Verlag Athesia, 20 Euro. <BR />Eine deutsche Übersetzung ist in Arbeit. <BR />Zu bestellen bei: <a href="www.athesiabuch.it" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">www.athesiabuch.it</a>