<b>Herr Hopfgartner, was ist vor 38 Jahren passiert?</b><BR />Josef Hopfgartner: Heidi und ich waren erst seit 8 Monaten verheiratet. Heidi war schwanger. Es war an jenem schicksalhaften Tag im Mai 1985, als ich von der Arbeit nach Hause kam und meine Frau ohnmächtig im Bett gefunden habe. Sie hatte eine Schwangerschaftsvergiftung. Im Krankenhaus Innichen kam durch einen Not-Kaiserschnitt unsere Tochter zur Welt, zum Glück war sie gesund. Heidi fiel ins Koma.<BR /><BR /><b>Wie ging es dann weiter?</b><BR />Hopfgartner: Unsere Tochter Birgit wurde nach Brixen ins Krankenhaus gebracht, sie hat sich gut entwickelt. Heidi kam nach 9 Tagen in die Klinik nach Innsbruck. Die Ärzte gaben uns kaum Hoffnung, dass sie überleben würde. Alle 3 bis 4 Wochen kam eine Lungenentzündung dazu, sie hatte epileptische Anfälle, es war alles ganz furchtbar. Dreimal wöchentlich bin ich nach Innsbruck gefahren, und jedes Mal dachte ich, dass sie es nicht schaffen würde. Andererseits wollte ich nicht wahrhaben, was passiert war. Wir waren doch beide noch so jung, wir waren erst 27 Jahre alt! Heidi ist 13 Tage älter als ich, wir sind beide 1958er Jahrgang. Die Hoffnung, dass es ihr bis zu unserem ersten Hochzeitstag im September wieder besser gehen könnte, zerplatzte schnell. Heidi lag monatelang im Koma. Nach 6 Monaten kam sie von Innsbruck ins Krankenhaus Bruneck. Hier wurden wir menschlich und fachlich sehr gut betreut. Ich durfte Tag und Nacht bei Heidi sein. Sicher hat sie das gespürt, nach 3 Tagen erwachte sie aus dem Koma. Nach 10 Tagen durfte ich sie mit nach Hause nehmen.<BR /><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="918340_image" /></div> <BR /><BR /><b>Euer Leben musste sicher auf Heidis Bedürfnisse ausgerichtet werden. Auf welche Hilfen war, ist sie angewiesen?</b><BR />Hopfgartner: Als Heidi nach Hause kam, benötigte sie zwar noch keinen Rollstuhl, aber sie brauchte ständige Hilfe. Sie konnte weder essen und trinken, noch sprechen oder selbständig auf die Toilette gehen. Für uns beide begann damals ein langer Weg, der mit Hoffnungen, kleinen Erfolgen, Fortschritten und vielen Rückschlägen gepflastert war.<BR /><BR /><b>Welche Fortschritte hat Heidi infolge gemacht, und wie sieht euer Alltag heute aus?</b><BR />Hopfgartner: Relativ schnell lernte Heidi, auf die Toilette zu gehen. Nach 2 Wochen riss sie sich selbst die Ernährungssonde weg. Sie schaffte es, mit Hilfe zu essen und zu trinken. Die jahrelange Reha brachte jedoch leider nicht die erhofften Früchte. Das Sprechen fällt ihr nach wie vor sehr schwer. Aber Heidi kommuniziert mit mir ohne zu sprechen. Ich schaue sie an und weiß, was sie mir sagen will. Ihr Blick sagt alles, er ist wie ein offenes Buch für mich. Ich weiß, wann sie traurig, zornig, glücklich ist. Nur einzelne Wörter kann sie sprechen. Seit fast 30 Jahren brauchen wir für Heidi einen Rollstuhl, plötzlich konnte sie nicht mehr auf den eigenen Beinen stehen. Heute benötigt sie überall Hilfe. Von morgens bis halb 4 Uhr am Nachmittag wird sie in der ‚Geschützten Werkstatt Biedenegg‘ in Toblach betreut. Dort versucht sie so gut es geht, einige Handarbeiten zu machen, wie Kissen mit Zirbenspänen auszustopfen oder mit Hilfe zu sticken. Um 15 Uhr komme ich von der Arbeit nach Hause, so dass ich für Heidi da sein kann, wenn sie gegen 16 Uhr heimgebracht wird.<BR /><BR /><b>Gibt es in eurem Alltag auch Freude? </b><BR />Hopfgartner: Wenn Heidi lacht und sich über etwas freut, dann geht mir das Herz auf. Sie freut sich zum Beispiel, wenn ihre oder meine Geschwister zu Besuch kommen oder wenn wir irgendwohin fahren und uns ein gutes Essen bestellen. Das ist aber gar nicht so einfach, denn es gibt leider wenige wirklich barrierefreie Betriebe. An den Sonntagen hören wir im Radio die Messe. Heidi singt und betet mit, wie sie es eben kann. Das ist schön. <BR /><BR /><b>Eine so große Aufgabe alleine zu bewältigen ist sicher niemand imstande. Wer hat Ihnen geholfen oder hilft auch heute noch mit, jeden Tag zu meistern?</b><BR />Hopfgartner: Ganz zu Beginn, als Heidi vom Krankenhaus entlassen wurde, haben uns ihre Eltern und Geschwister sehr unterstützt, auch meine Mutter hat uns geholfen. Ich hatte in all dieser Zeit auch einen sehr verständnisvollen Arbeitgeber. Er stand voll hinter mir, und ich konnte, wann immer es nötig war, problemlos bei der Arbeit fehlen. Im Laufe der Jahre hatten wir auch verschiedene Pflegehilfen, zuletzt eine sehr empathische „badante“ aus Bulgarien, die Heidi in ihr Herz geschlossen hatte. Leider ist sie seit Monaten wieder in Bulgarien, weil sie ihre Mutter pflegen muss. Wir hoffen, dass sie bald wiederkommen kann. Heidi war sehr traurig, als sie wegmusste. Es ist schwierig, einen Ersatz zu finden, und ein Pflegeheim ist für uns keine Lösung, das kam nie infrage. <BR /><BR /><b>Ein solcher Schicksalsschlag verändert sicher das Leben aller Beteiligten. Welche Auswirkungen hatte er für Sie persönlich?</b><BR />Hopfgartner: Natürlich hat sich alles verändert: Unsere Beziehung, das soziale Leben, die Freizeit. Mit der Zeit musste ich meine Vereinstätigkeiten aufgeben, den Kirchenchor und die Musikkapelle. Freizeit habe ich keine mehr. Dennoch versuchen Heidi und ich jeden Tag, das Beste aus unserem Schicksal zu machen. <BR /><b><BR />Viele Menschen haben im Umgang mit Pflegebedürftigen Angst, etwas falsch zu machen. Wie sollten sie sich verhalten?</b><BR />Hopfgartner: Alle sollten sich ganz normal verhalten, offen und locker sein. Es tut weh, wenn sich Leute umdrehen oder so tun, als ob sie uns nicht sehen würden. Auch ein Gruß tut gut oder eine kleine Unterhaltung. Miteinander reden und lachen, das ist wichtig. Heidi versteht alles.<BR /><BR /><b>Welche war für Sie bisher die größte Herausforderung, abgesehen von der Pflege?</b><BR />Hopfgartner: Das war und ist immer noch die Bürokratie. Oft werde ich zornig und wütend, wenn ich nach 38 Jahren immer noch alles rechtfertigen muss und diese und jene Zettel und Bestätigungen einreichen muss. Oft erscheint mir dann alles sinnlos. Auch die finanzielle Seite ist eine Herausforderung. Als ich gerade erst das Haus abbezahlt hatte, musste ich es behindertengerecht umbauen. Der Landesbeitrag war gut, aber bei Weitem nicht ausreichend. Die neuen Schulden habe ich noch nicht abbezahlt.<BR /><b><BR />Wie geht es Ihrer Tochter?</b><BR />Hopfgartner: Birgit hat bis zu ihrem 14. Lebensjahr bei meinen Schwiegereltern gelebt. Es tut mir weh, wenn ich denke, dass ihre Mutter sie nie im Arm halten konnte. Auch von mir hatte sie nicht viel: Ich hatte Schulden, musste viel arbeiten und Heidi pflegen. Heute ist Birgit eine selbstbewusste, junge Frau. Sie lebt und arbeitet in Österreich und besucht uns regelmäßig.<BR /><BR /><b>Herr Hopfgartner, wir wünschen Ihnen und Ihrer Frau weiterhin viel Kraft! Noch eine Frage: Woher nehmen Sie diese große Energie fürs alltägliche Leben?</b><BR />Hopfgartner: Wenn wir uns nicht so lieben würden, hätten wir es nicht geschafft. Monat für Monat, Jahr für Jahr. Die größte Kraft für mich ist, dass mir Heidi wirklich jeden Tag auf ihre Art sagt, wie sehr sie mich liebt.