Diesen Frieden zu erreichen war Aufgabe seines Nationalen Sicherheitsberaters, Henry Kissinger. Der kam am 21. Februar 1970 in Paris zu einem ersten geheimen Treffen mit Nordvietnams Le Duc Tho zusammen, in dem die jeweiligen Hauptforderungen formuliert wurden. <BR /><BR />Le Duc Tho fordert den Abzug der US-Truppen, Rücktritt der Regierung Thieu in Saigon und Bildung einer Koalitionsregierung unter Beteiligung der nationalen Befreiungsfront. <BR /><BR />Kissingers Forderungen: Abzug der US-Truppen erst, wenn die nordvietnamesischen Soldaten aus Südvietnam, Kambodscha und Laos verschwunden sind. Kissinger Resümee am Ende des Tages: „Wir sind in allen wichtigen Fragen uneinig.“ <h3> 1972: Nordvietnams Frühjahrsoffensive</h3>In den folgenden 2 Jahren beharrte Nordvietnam auf seinen Forderungen und begann am 30. März 1972 eine groß angelegte Offensive.14 Divisionen mit Hunderten von Panzern wurden eingesetzt. <BR /><BR />Nixon schlug zurück: „So wie sie diesmal bombardiert werden, sind diese Bastarde noch nie bombardiert worden.“ Es ging auch um seine Glaubwürdigkeit: „Falls wir Vietnam verlieren“, so meinte er, „hat niemand mehr Achtung vor dem amerikanischen Präsidenten, weil wir die Mittel hatten und sie nicht eingesetzt haben. Wir müssen glaubwürdig bleiben.“<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="858074_image" /></div> <BR /> Die Zahl der Flugzeuge in und um Vietnam wurde auf 1000 erhöht, die der B-52 von 80 auf 140; 6 Flugzeugträger in Marsch gesetzt. Die Operation „Linebacker I“ – Nixon liebte American Football – lief an. <BR />Hanois Frühjahrsoffensive wurde zu einem Desaster. Die Kommunisten erlitten schwerste Verluste, ihr Ziel erreichten sie nicht einmal im Ansatz. Südvietnam fiel nicht. <BR /><BR />Es gab auch keinen Aufstand in Südvietnam. Thieu war nach wie vor Regierungschef, und Nixon war nicht bereit nachzugeben. Hanoi wechselte jetzt gezwungenermaßen die Strategie von Krieg auf Frieden, d. h. für den Augenblick Verzicht auf den totalen Sieg durch Krieg, stattdessen Sieg durch Verhandlungen. Auf dieser Basis nahm Hanoi die Geheimverhandlungen mit Kissinger wieder auf. <h3> Washington und Hanoi einig</h3>Am 11. Oktober erzielten er und Le Duc Tho folgende Vereinbarung:<BR />1. Waffenstillstand in Vietnam (nicht in ganz Indochina),<BR />2. Austausch der Kriegsgefangenen,<BR />3. Abzug der Amerikaner aus Vietnam,<BR />4. Nordvietnam kann seine Truppen in Südvietnam belassen, darf aber deren Zahl, ca. 40.000, nicht erhöhen,<BR />5. die Regierung Thieu bleibt im Amt, erkennt aber die Legitimität der kommunistischen Nationalen Befreiungsfront in Südvietnam an (mit der Möglichkeit einer Koalitionsregierung).<BR /><BR />Mit anderen Worten: In Südvietnam würde es nach einem Waffenstillstand 2 Armeen und 2 Verwaltungen geben. Südvietnams Präsident Thieus Widerstand bei dieser Vereinbarung hatte Kissinger ignoriert. Er verachtete Vietnamesen und Kommunisten gleichermaßen; die Nordvietnamesen waren für ihn lediglich dreckiger Mist, „nothing but filthy shits“. <BR /><BR />Am 24. Oktober wollte er in Hanoi die Vereinbarung paraphieren. Für ihn war dies nach eigener Aussage „der größte Augenblick seines Lebens“, aber er hatte die Rechnung diesmal ohne Thieu gemacht. Der lehnte die Vereinbarung jetzt öffentlich mit den Worten ab: „Das ist nicht das, was wir erwartet hatten“ und forderte, dass „die Kommunisten im Süden vernichtet werden müssen“. Zwei Tage später veröffentlichte Hanoi den Text der Vereinbarung. Fast in Panik, um zu retten, was zu retten war, berief Kissinger wenige Tage vor den Präsidentschaftswahlen seine erste auf Englisch gehaltene Pressekonferenz in Washington ein und verkündete dort: „Peace is at hand.“ („Der Friede ist zum Greifen nahe.“) Die Botschaft war jedenfalls klar: Die USA waren entschlossen, so oder so Vietnam zu verlassen. Für Nixon war ein Sieg bei den Präsidentschaftswahlen entscheidend. <h3> Das „Weihnachts-Bombardement“</h3>Als Thieu auf seiner Haltung beharrte und 67 Änderungen verlangte, forderte Kissinger von Le Duc Tho zumindest einen symbolischen Rückzug nordvietnamesischer Truppen und andere Änderungen des Textes. Der beharrte auf der Vereinbarung vom Oktober, trotz der Warnung Kissingers, dass Nixon nicht zögern werde, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Interessen der USA zu schützen. Nixon selbst sicherte Thieu bei einem möglichen Bruch des Abkommens durch Hanoi eine „schnelle und entschlossene Reaktion“ zu.<BR /><BR />Am 14. Dezember übergaben die Amerikaner Nordvietnam ein Ultimatum: innerhalb von 72 Stunden zu ernsthaften Gesprächen an den Verhandlungstisch zurückkehren oder die Konsequenzen tragen. Als keine Antwort kam, ordnete Nixon vor Antritt seines Weihnachtsurlaubs in Florida am 18. Dezember die Wiederaufnahme der Bombardierung Nordvietnams nördlich des 20. Breitengrades an. Die Operation „Linebacker II“, jenes berühmt-berüchtigte Weihnachtsbombardement, lief an und dauerte mit eintägiger Unterbrechung am 1. Weihnachtstag bis zum 29. Dezember 1972. <BR /><BR />Um den Schock in Hanoi zu vergrößern, wurden in erster Linie B-52 eingesetzt.150 in Burma und 60 in Thailand stationierte Bomber waren im Dauereinsatz. In diesen 11 Tagen wurden mehr Bomben abgeworfen als in den Jahren 1969 bis 1971. Die öffentliche Reaktion auf dieses Bombardement war sogar in den USA entsprechend: In der „New York Times“ war von „Steinzeit-Barbarei“ die Rede, die „Washington Post“ fragte, ob der Präsident den Verstand verloren habe. Papst Paul VI. sprach von „Bitterkeit und Besorgnis“ und hoffte auf ein schnelles Ende des Krieges im „gesegneten“ Vietnam. <h3> Das Abkommen und der Friedensnobelpreis</h3>Hanoi und Haiphong wurden durch sowjetische SAM-Abwehrraketen geschützt, mit denen 15 B-52 und 11 andere Flugzeuge abgeschossen wurden; was das bedeutet, wird deutlich, wenn man bedenkt, dass bis zu jenem Zeitpunkt überhaupt nur eine B-52 abgeschossen worden war. 93 Piloten galten als vermisst, 31 wurden gefangen genommen. Während das Pentagon klarmachte, dass die Luftwaffe solche Verluste nicht länger ertragen könne, wurde deutlich, dass das Unternehmen mit Blick auf Hanoi zumindest ansatzweise Erfolg gehabt hatte, als es dort keine SAM-Raketen mehr gab, Moskau keinen Nachschub lieferte und das Politbüro fürchtete, die B-52 würden als nächstes die Deiche zerstören. <BR /><BR />„Linebacker II“ sollte auch Thieu davon überzeugen, dass die USA Südvietnam notfalls zu Hilfe kommen würden. In diesem Sinne verlangte der Stellvertreter Kissingers von Thieu, die Vereinbarung vom Oktober zu akzeptieren, falls nicht, werde man mit Nordvietnam alleine eine Vereinbarung aushandeln. Thieu ignorierte auch das und bestand weiter auf einem vollständigen Abzug der nordvietnamesischen Truppen aus Südvietnam. Nixon und Kissinger entschieden, notfalls ohne Thieu mit Nordvietnam abzuschließen.<BR /><BR />Am 26. Dezember flogen die Amerikaner die schwersten Angriffe. An jenem Abend erklärte Hanoi seine Bereitschaft, die Gespräche in Paris am 8. Januar wieder aufzunehmen.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="858077_image" /></div> <BR /><BR />Kissinger und Le Duc Tho einigten sich am 9. Januar auf eine Vereinbarung, die fast identisch mit jener vom Oktober/November war. Es gab lediglich kosmetische Änderungen – so waren die Nordvietnamesen bereit, die Formulierung mit Blick auf die entmilitarisierte Zone etwas anders zu formulieren, aber entscheidend war, dass nordvietnamesische Truppen weiter in Südvietnam bleiben würden. Auf Thieu wurde jetzt keine Rücksicht mehr genommen. Nixon warnte ihn am 21. Januar, dass er die Vereinbarung notfalls ohne ihn unterzeichnen werde. Bei Zustimmung versprach er allerdings Milliarden von Dollars an Militär- und Wirtschaftshilfe und erneut die Möglichkeit einer Wiederaufnahme der Bombenangriffe bei einem Angriff aus dem Norden.<BR /><BR />Am 22. Januar gab Thieu nach, am 23. Januar, 3 Tage nach der Inauguration Nixons, paraphierten Kissinger und Le Duc Tho in Paris das „Abkommen über die Beendigung des Krieges und die Wiederherstellung des Friedens in Vietnam“. Am 27. Januar unterzeichneten US-Außenminister William P. Rogers und sein nord-vietnamesischer Kollege Nguyen Thuy Trinh das Abkommen. Die Außenminister Südvietnams und der Provisorischen Revolutionsregierung – so der Titel, den die Nationale Befreiungsfront 1969 angenommen hatte – weigerten sich, diese Exemplare auch zu unterschreiben. Für sie wurden 2 weitere Exemplare des Abkommens angefertigt. Um Mitternacht trat der Waffenstillstand in Kraft.<BR /><BR />Die einzigen, die sich an das Abkommen hielten, waren die USA: Am 29. März 1973 verließ der letzte GI Südvietnam. Zwei Tage zuvor hatte Hanoi 591 amerikanische Kriegsgefangene freigelassen. Für die Amerikaner war der Krieg vorbei, aber der Frieden war nicht wiederhergestellt in Vietnam. Das Abkommen war das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben war. Für die Vietnamesen ging der Krieg nämlich unvermindert weiter: 1973 und 1974 wurden 76.500 südvietnamesische Soldaten getötet – die größte Zahl für 2 Jahre während des gesamten Krieges (für Nordvietnam etwa 100.000).<BR /><BR />Das norwegische Nobel-Komitee sah das offensichtlich anders und verlieh 1973 Le Duc Tho und Kissinger mit 3:2 Stimmen den Friedensnobelpreis. In Washington war man einigermaßen erstaunt über die Norweger. „Entweder wissen sie nicht, was wirklich gelaufen ist, oder sie haben Sinn für Humor“, meinte der ehemalige US-Botschafter in Japan, Edwin O. Reischauer. Le Duc Tho lehnte den Preis mit dem Hinweis ab, es sei noch kein Friede in Südvietnam, während Kissinger annahm. Immerhin übergab er das Preisgeld einer Stiftung, die sich um die Kinder gefallener US-Soldaten kümmerte. (1975, nach dem Fall von Saigon, wollte er die Medaille zurückgeben – das Komitee lehnte ab.)<BR /><BR />Anfang 1973, nach Unterzeichnung des Abkommens, war Kissinger gefragt worden, wie lange sich die Südvietnamesen wohl halten könnten. Nicht ohne einen gewissen Zynismus hatte er geantwortet: „Ich glaube, wenn sie Glück haben, anderthalb Jahre.“ Sie hielten sich etwas länger, bis sie am 30. April 1975 bedingungslos kapitulierten. <BR /><BR /><BR />ZUR PERSON<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="858080_image" /></div> <BR /><BR />Rolf Steininger war langjähriger Leiter des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck.<BR /><BR />Buchtipp: Rolf Steininger, Der Vietnamkrieg: ein furchtbarer Irrtum, Studienverlag Innsbruck 2018, 123 Seiten<BR /><BR />Hier können Sie das Buch bestellen: <a href="https://www.athesiabuch.it/de/list?cat=&quick=Der+Vietnamkrieg%3A+ein+furchtbarer+Irrtum" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">www.athesiabuch.it</a><BR />