Der 42-Jährige arbeitet seit 1994 am europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf. Dissertori war in den vergangenen zwei Jahren der stellvertretende wissenschaftliche Koordinator des gesamten Experimetes.2000 bis 3000 Wissenschaftler arbeiteten daran, die gesamten Physik-Analysen mussten in vielen Untergruppen koordiniert werden. Die Koordination hatten drei Leute inne, Dissertori war einer davon.Südtirol Online hat bereits im August 2005 mit dem Algunder ein ausführliches Interview über seinen Job, seine Weltanschauungen und über seinen Blick auf Südtirol geführt. Anlässlich der Jahrhundertentdeckung veröffentlicht STOL das Gespräch mit Günther Dissertori nochmals auszugsweise. Südtirol Online: Sie haben am Realgymnasium „Albert Einstein“ in Meran die Oberschule besucht und arbeiten jetzt in der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH), in der einst Albert Einstein gelehrt hat. Wollten Sie immer schon Physiker werden?Günther Dissertori: Nein. Eigentlich hatte ich mich kurz vor der Matura für Gentechnologie interessiert. Als ich dann aber herausfand, dass ich dafür Biologie studieren musste, war ich weniger begeistert. Letztendlich habe ich mich dann doch für Physik entschieden.STOL: Ihr Physiklehrer hatte sicher seine Freude an Ihnen?Dissertori: Ja, in Physik und bei den Naturwissenschaften war ich sicher unter den Klassenbesten .STOL: Der Physikunterricht war sicher wenig spannend für Sie - haben Sie diese Schulstunden nicht gelangweilt?Dissertori: Gelangweilt nicht. Ich habe mich aber schon auch privat für Physik interessiert und mich fortgebildet, einfach weil es mich interessiert hat. Ich war aber kein abgefahrener Freak.STOL: Wenn Sie einmal Ihrem Kind Ihren Beruf erklären müssten, was würden Sie ihm sagen?Dissertori: Ich würde ihm am Abend die Sterne zeigen und ihm sagen, dass ich versuche zu erklären, wie die Sterne entstanden sind, woraus alles besteht, bzw. wie wir aufgebaut sind. Vielleicht würde ich ihm mit Lego-Klötzchen erklären, dass wir selbst aus kleinen Bausteinen bestehen.STOL: Wie sieht ein durchschnittlicher Arbeitstag eines Physikers in der ETH in Zürich aus?Dissertori: Nun, ich habe eigentlich drei Büros. Eines in Zürich an der ETH, eines in der Europäischen Organisation für die Kernforschung (CERN) in Genf und gewissermaßen eines im Zug, denn ich fahre oft zwischen Genf und Zürich hin und her. In Genf und Zürich sitze ich meist mehrere Stunden vor dem Computer, um Verwaltungsarbeiten zu erledigen. Dann sitze ich oft in Meetings mit anderen Physikern in Fachgruppen. Schließlich betreue ich die Studenten und dann habe ich auch Vorlesungen an der ETH. Leider schafft man es als Professor kaum mehr, selbst zu forschen.STOL: Cern ist DAS Zentrum weltweit für Physiker. War es Ihr Ziel, einmal dort zu arbeiten?Dissertori: Ja. Ich habe mich schon früh darum bemüht, als Student im Cern ein Praktikum zu machen. Das hat dann 1992 geklappt. Im Sommer ging ich drei Monate lang nach Genf und war begeistert. Am Cern habe ich dann auch meine Diplomarbeit gemacht und die gesamte Zeit für meine Doktorarbeit habe ich am Cern verbracht. Seit 1994 bin ich in Genf geblieben.STOL: Was ist das Cern eigentlich?Dissertori: Cern ist das größte Zentrum für Teilchenphysik in der Welt und eines der größten Forschungszentren weltweit überhaupt. Ca. 2000 Leute arbeiten dort als CERN-Angestellte, davon sind allerdings nur ca. 100 Physiker. Die meisten sind in der Verwaltung, als Techniker, Ingenieure, oder im Computerbereich tätig. Abgesehen von den vielen Gebäuden gibt es 100 Meter unterhalb des Cern in einem Tunnel einen 27 Kilometer langen Teilchenbeschleuniger. Dieser Teilchenbeschleuniger, Large Hadron Collider (LHC) genannt, ist zur Zeit im Bau und wird der stärkste sein, den es je gab.STOL: Was ist die Aufgabe des Cern, wenn nur 100 Physiker dort arbeiten?Dissertori: Die Idee des Cern ist vor allem jene, die Infrastruktur für Forscher aus aller Welt zu liefern. Im Prinzip dreht sich alles um den Beschleuniger. Der Cern ist also eine Art Labor, in dem die Forscher für einige Zeit ihre Experimente durchführen, dann aber wieder an ihre Uni zurückkehren.In der Tat arbeiten teilweise bis zu 6000 Forscher (Physiker) am CERN, wovon wie erwähnt, nur wenige vom Cern selbst angestellt sind.STOL: Sie beschäftigen sich täglich mit den kleinsten Bausteinen der Materie. Stellen Sie sich auch die Frage: Was dahinter steckt? Anders gefragt: Glauben Sie an einen Gott? Dissertori: Ich suche wissenschaftliche Antworten auf solche Fragen.Ich glaube nicht an einen Gott. Für mich ist die Natur an sich faszinierend genug. Bei der Religion – zumindest bei der katholischen – spielt die Ethik, also das moralische Verhalten des Menschen, eine große Rolle. Ich brauche aber keinen Gott oder eine Kirche, der mir ständig sagt, was für ein moralisches Verhalten richtig ist und welches nicht. Man muss es selber wissen. STOL: Sie erklären also die Entstehung des Universums und der Welt mit den Naturgesetzen: Nach dem Urknall hat die Natur ihren Lauf genommen.Dissertori: Ja. Die Naturgesetze sind phantastisch genug. Ich glaube, dass im Prinzip der Mensch anhand der Naturgesetze erklärt werden könnte. Man kann es nicht, da es zu komplex ist. Ich glaube aber nicht, dass es eine übersinnliche Kraft hinter den Naturgesetzen gibt.STOL: Ist das in der Physik eine gängige Anschauung?Dissertori: Der Großteil der Physiker denkt sehr rational. Natürlich gibt es aber auch einige sehr religiöse Wissenschaftler, die den Glauben aber von ihrer Arbeit trennen. Die Religion beeinflusst jedoch nicht ihr wissenschaftliches Denken und Tun.STOL: Sie leben seit langer Zeit im Ausland. Wie sehen Sie Südtirol aus der Ferne?Dissertori: Es täte den meisten Südtirolern gut, einige Zeit ins Ausland zu gehen, und das Land von außen zu betrachten, denn das verändert die Sichtweise. Meine Meinung ist, dass die Südtiroler unheimlich privilegiert sind und das aus mehreren Gründen. Sie leben in einem extrem schönen Land. Ich habe viel von der Welt gesehen und es gibt natürlich einige phantastische Plätze. Aber Südtirol gehört wohl zu den schönsten Flecken, die es auf der Erde gibt.Privilegiert sind sie aber auch, da sie am Berührungspunkt zweier grundsätzlich verschiedener Kulturkreise leben. Von beiden Kulturen haben sie das positive aufgenommen. Schon als Kind eine zweite Sprache zu lernen, ist ein großes Glück; erst wenn man als Erwachsener reist, merkt man, was für ein Vorteil das ist.STOL: Was würden Sie an Südtirol ändern?Dissertori: Einerseits will man in Südtirol weltoffen sein; wenn man es dann aber umsetzen will, ist der Südtiroler dann manchmal provinziell. Dies ist zumindest mein Eindruck. Manchmal schafft es der Südtiroler nicht, über seinen Schatten zu springen und internationaler zu sein, z.B. ein paar Dorf-und-Bier-Feste weniger und dafür mehr Kulturveranstaltungen mit internationaler Beteilung wäre nicht schlecht. Wie gesagt: Wahrscheinlich sollten mehr Südtiroler für eine gewisse Zeit im Ausland leben. Ich war z.B. kein besonderer Befürworter der Uni Bozen, da einige Südtiroler Studenten nicht einmal mehr nach Innsbruck gehen und Südtirol überhaupt nicht mehr verlassen.Interview: Rupert Bertagnolli (Augst 2005)