Knapp die Hälfte aller Covid19-Intensivpatienten und etwa 10 Prozent aller Erkrankten mit leichtem Verlauf leidet nach überstandener Infektion an neurologischen Folgen. <BR /><BR /><BR /><BR /><b>Herr Professor, die ganze Welt spricht über Long Covid. Sie und Ihr Team in Sterzing forschen daran. Was genau ist Long Covid?</b><BR />Prof. Leopold Saltuari: Bei Long Covid ist das zentrale Nervensystem betroffen. Und das nicht nur bei Patienten, die schwer erkrankt sind und auf Intensivstation waren, sondern auch bei Menschen, die relativ schwach von der Covid-Erkrankung betroffen waren. Auch dort gibt es diese Long Covid-Phänomene. Die Spanische Grippe hat damals sehr schwere neurologische Nebenwirkungen bewirkt, die dann relativ spät aufgetreten sind. Wir wollen sicher sein, dass nicht auch bei Covid19 analog zur Spanischen Grippe eine späte Symptomatik im neurologischen Bereich auftritt. Wir sind interessiert daran, diesen Menschen zu helfen und Medikamente zu entwickeln. <BR /><BR /><b>Wie kann Betroffenen geholfen werden?</b><BR />Prof. Saltuari: Es gibt zur Zeit verschiedene Strategien, das zu erreichen. Mit Medikamenten, die Entzündungsprozesse hemmen. Andere Medikamente, die gabaergischen Synapsen, eine Überträgersubstanz im Hirn, die eine wichtige Funktion hat, unterstützen. Aber wir versuchen auch, durch eine kontinuierliche Gleichstrom-Stimulation eventuell diese exekutiven Störungen, Initiative zu ergreifen und diese enorme Müdigkeit, zu behandeln. Es gibt also verschiedene therapeutische Ansätze, die wir haben. Aber die müssen erst mit einer Studie objektiviert werden. Wir sind dabei, mit einer Studie zu beginnen. Wir werden bei der Ethikkommission 2 Untersuchungen einreichen. Die Vorarbeit ist geleistet, aber wir haben noch keine konkreten Resultate. Dafür würde es noch mindestens 6 Monate dauern. <BR /><BR /><embed id="dtext86-50455880_quote" /><BR /><BR /><b>Gibt's dennoch schon Erkenntnisse aus Ihren Studien?</b><BR />Prof. Saltuari: Wir haben relativ früh begonnen, da wir gesehen haben, dass die Geruchsstörungen eines der initialen Symptome ist. Der Geruchsnerv ist ja bekanntlich der verlängerte Anteil des Gehirns. Deshalb haben wir angenommen, dass auch das Gehirn betroffen sein kann. Das haben wir relativ schnell und klar bei den Patienten, die aus den Intensivstationen gekommen sind, nachgewiesen. Es hat sich gezeigt, dass das Zentralnervensystem mit betroffen ist. Bei diesen Beobachtungen haben wir die Patienten untersucht – vor allem auch junge Patienten, die kaum Symptome hatten. <BR /><BR /><b>Wie viele Infizierte leiden an Long Covid?</b><BR />Prof. Saltuari: Bei den Patienten, die schwer erkrankt sind, die aus der Intensivstation kommen, sind es sicher 40 bis 50 Prozent. Bei denen mit leichteren Symptomen sind es rund 10 Prozent, die an Long Covid leiden. Vom klinischen her haben wir den Eindruck, dass sich die Symptomatik mit der Zeit bessert. <BR /><BR /><b>Wann treten denn diese Symptome auf?</b><BR />Prof. Saltuari: Praktisch schon mit der Erkrankung selbst. Wie bei einer schweren Grippe wird man bei einer Infektion mit Covid19 müde, man hat Schwierigkeiten, sich aufzuraffen, klar zu denken. Während das bei einer klassischen Influenza nach ein paar Tagen, maximal nach 2 Wochen wieder verschwindet, bestehen diese Probleme bei Long Covid über Monate, wenn nicht Jahre hinweg weiter. <BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-50455881_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Manifestiert sich Long Covid bei allen Patienten gleich?</b><BR />Prof. Saltuari: Wenn wir von Long Covid sprechen, sprechen wir primär von neurologischen Störungen. Sie manifestieren sich dadurch, dass die Menschen sich sehr müde fühlen, große Schwierigkeiten haben, sich aufzuraffen, sich zu konzentrieren, Gedächtnisstörungen aufweisen. Viele Patienten sprechen von einem „Hirnnebel“, sodass sie nicht mehr so klar und aktiv sind wie vor der Erkrankung. <BR /><BR /><b>Gibt es Anzeichen dafür, dass es sich eindeutig um Long Covid und nicht um eine andere Erkrankung, etwa eine handelt?</b><BR />Prof. Saltuari: Rein vom klinischen Bild her durch neuropsychologische Untersuchungen nicht. Aber es gibt elektrophysiologische Untersuchungen, das heißt Hirnströme können wir messen, wir können das Hirn stimulieren, die intrakortikale Hemmung messen. Da können wir sehr wohl sagen, ob diese Störung als Long Covid-Symptomatik bezeichnet werden kann oder ob es eher ein depressives Zustandsbild ist, das sich auch klinisch so äußern kann. <BR /><BR /><b>Viele leiden nach eineinhalb Jahren Pandemie samt Lockdowns auch an Burnout ...</b><BR />Prof. Saltuari: Natürlich manifestiert sich Burnout auch durch Müdigkeit und Überforderung. Burnout ist aber mit einer depressiven Verstimmung gekoppelt. Bei Long Covid ist diese depressive Komponente nicht so stark vorhanden. Im Gegenteil. Die Depression ist eher die Folge davon, dass sich der Patient nicht mehr effizient fühlt und merkt, dass er in der Arbeitswelt Schwierigkeiten hat. Für uns Ärzte ist es nicht schwer, zu unterscheiden, ob der Patient ein klassisches Burnout hat oder an Long Covid leidet. <BR /><BR /><b>Gibt es Hoffnung für Betroffene, dass sich ihre Situation bessert, die Störungen irgendwann ganz verschwinden?</b><BR />Prof. Saltuari: Wir sind jetzt nahezu 2 Jahre mit dieser Krankheit konfrontiert. Es wäre also wenig seriös, wenn man schon jetzt klare Prognosen erstellen würde, da wir noch zu wenig Beobachtungen haben. Prinzipiell kann man aber sagen, dass sich die Symptome mit der Zeit deutlich bessern.<BR /><BR /><b>Ist mit der Delta-Variante ein Unterschied festzustellen?</b><BR />Prof. Saltuari: Das ist noch zu früh zu sagen, da die Delta-Variante erst seit 5 Monaten endemisch ist. Die Delta-Variante ist zwar ansteckender, scheint jedoch durch weniger schwere Verläufe charakterisiert zu sein. Man könnte sagen, dass sie möglicherweise weniger problematisch für das zentrale Nervensystem ist, aber das ist nur eine Hypothese, die man jetzt erst genauer untersuchen muss. <BR /><BR /><b>Was sagen Sie aufgrund Ihrer Erfahrungen jenen, die zweifeln oder Angst haben, sich impfen zu lassen?</b><BR />Prof. Salutari: Wenn man in meinem Bereich arbeitet und die schwer betroffenen Patienten sieht ist es ganz klar, dass man auf jeden Fall vermeiden sollte, sich mit Covid19 zu infizieren. Die eventuellen Nebenwirkungen der Impfung stehen in keiner Relation zur Gefahr, wenn man sich mit Covid19 infiziert. Auch unsere Untersuchungen zeigen ganz klar, Impfen ist sinnvoll, Impfen hilft, eventuelle Komplikationen der Covid-Erkrankung zu vermeiden.<BR /><BR /><BR />Wie sieht der Alltag eines Menschen aus, der an Long Covid leidet? Uwe Ringleb aus Vahrn erzählt auf s+ von seiner Krankheit. <a href="https://www.stol.it/artikel/panorama/mann-aus-vahrn-so-leide-ich-taeglich-unter-long-covid" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">Hier geht es zum Artikel.</a><BR /><BR /><BR />