<b>Von Valentina Tanner<BR /><BR />STOL: Sie sind seit 3 Jahren als Kinder- und Jugendanwältin tätig und haben vor wenigen Wochen im Bericht an den Landtag für das Jahr 2021 gesagt, dass die Anzahl der behandelten Fälle stetig steige und damit die Herausforderungen an Sie und Ihr Team. Worin äußern sich diese?</b><BR /><BR />Höller: Zum einen ist die Anzahl der Fälle gestiegen, und während der Pandemie haben sich zum einen schwierige Familienverhältnisse verschärft und zum anderen auch schulische Probleme.<BR />Dass die Anzahl der Fälle gestiegen ist, sehe ich aber keineswegs nur als Nachteil. Es liegt an der Sichtbarkeit unseres Dienstes. Je mehr wir informieren und aufklären und in die Schulen gehen, umso besser wissen die Jugendlichen über ihre Rechte Bescheid und wann diese verletzt werden. <BR /><BR /><b>STOL: Zu Ihren Aufgaben gehört neben der Sensibilisierung und Aufklärung über die Rechte von Kindern- und Jugendlichen, selbstverständlich die rechtliche Beratung und Vermittlung zwischen den Konfliktparteien. Welche Anfragen erreichen Sie?</b><BR /><BR />Höller: Uns ist es wichtig, jeden über seine Rechte aufzuklären. Denn nur wer seine Rechte kennt, lernt sie mit der Zeit einzufordern. Das ist auch unser Motto. Beratung und Vermittlung gehört dazu, auch Präventionsarbeit, da man gerade dadurch Informationen weitergeben kann. Die meisten Anfragen erreichen uns über Email oder Telefonisch, man kann uns auch über Facebook und Whatsapp erreichen. Insgesamt sind die Anfragen breit gefächert: familiäre Probleme, Konfliktsituationen die durch Trennung entstehen können, Besuchsrechte, Fragen der Eltern zu bestimmten Themen, physische, psychische oder sexuelle Gewalt, Vernachlässigung, Schule, Integration, Migrationshintergrund und Cybermobbing.<BR /><BR />Es gibt auch sogenannte Mehrfachproblematiken, wenn beispielsweise die Eltern eine Trennung durchlaufen, die Tochter gleichzeitig gesundheitliche Probleme hat und es in der Schule nicht so läuft. Nachdem wir festgestellt haben, dass einige Fälle sich nicht einordnen lassen in eine bestimmte Kategorie, gerade eben für die eigene Dokumentation und für Berichte an den Landtag, haben diese ihre eigene Kategorie bekommen. Man muss sich fragen: Wie ordnet man so einen Fall ein? Gehört der zum schulischen Themenbereich, Gesundheit oder familiäre Konflikte?<BR /><BR />Mehrfachproblematiken sind in jedem Fall anders und müssen auch individuell angegangen werden. Meist erfolgt ein Erstgespräch, weil es einfach wichtig ist, sich einen ersten Eindruck zu machen. Die meisten Anfragen erreichen uns per Email oder einen Anruf. Dann fragen wir nach: Was ist passiert? Worin besteht das Anliegen? Anschließend erfolgt die Eigenrecherche der rechtlichen Basis, beziehungsweise ob und welches öffentliche Amt kontaktiert werden soll. Daraufhin erfolgen weitere Gespräche. Zum Beispiel wird die Ansicht der Schule zum genannten Fall gefragt. Wir gehen dann an die Schule und erkundigen uns bei Lehrern und Mitschülern wie sie das erleben. In einer Mediation werden alle Beteiligten an einen Tisch gebracht. Natürlich kann es auch sein, dass das nicht klappt, weil eine Partei das nicht möchte. Auch das kann sein. Man kann sie ja nicht zwingen und das ist ihr Recht. <BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-55098844_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>STOL: Was passiert, wenn eine Mediation nicht zustande kommt?</b><BR /><BR />Höller: Wenn beispielsweise ein Zustand der Kinderrechtsverletzung besteht, dann kann ich ein auch ein Gutachten verfassen, sowie eine Meldung bei der Polizei machen und bei Gericht. Wenn ich von Amts wegen kontaktiert werde, kann ich auch eine Stellungnahme an die Politik verfassen. Wir sagen immer: Die Themenbereiche sind breit gefächert, aber auch die Möglichkeiten sind breit gefächert. Und neben der Interessensvertretung kommt es auch auf die Netzwerkarbeit an. <BR /><BR /><b>STOL: Welche Art von Fall geht Ihnen besonders nahe?</b><BR /><BR />Höller: Mich beeindruckt es immer wieder, wie Kinder- und Jugendliche mit Beeinträchtigung um ihr Recht kämpfen, nicht, weil etwas passiert ist, sie kämpfen um Gleichstellung. Beeindruckend ist auch, wie die Eltern für das Recht ihrer Kinder kämpfen. Und selbstverständlich gehen Gewaltsituationen einem wirklich nahe.<BR /><BR /><b>STOL: Wie gehen Sie mit solchen Situationen um?</b><BR /><BR />Höller: Wir sind zu fünft im Team und stehen konstant im Austausch miteinander und sprechen auch regelmäßig mit einem externen Supervisor. Auch braucht wirklich viel Geduld und viele Gespräche. Vor allem wenn man gerade einen kleinen Erfolg oder einen Teilerfolg verbuchen konnte, dann wieder etwas passiert und man sozusagen bei Null anfängt. <BR /><BR /><b>STOL: Ich stelle mir das recht frustrierend vor…</b><BR /><BR />Höller: Also ja… (überlegt) frustrierend vielleicht. Vielmehr ist es jedes Mal wieder eine neue Herausforderung.<BR /><BR /><b>STOL: Wenn wir gerade über Herausforderungen sprechen… Sie haben Ihren Dienst 2019 angetreten und 2020 war schon das erste Pandemiejahr. Somit haben Sie bisher Ihre Arbeit mehr Zeit während der Pandemie ausgeübt als ohne. Wie wirkte sich der Ausbruch der Pandemie auf Ihre Arbeit aus?</b><BR /><BR />Höller: Ich bin im Juni 2019 gewählt worden und nur wenige paar Monate später kam die Pandemie. Es war nicht immer einfach. Wir haben nach wie vor versucht mit den Kindern- und Jugendlichen persönlichen Kontakt herzustellen, gerade weil das so wichtig ist. Auch hat sich die rechtliche Situation ständig geändert. Sich abwechselnde Dekrete hat die Arbeit zusätzlich erschwert. <BR />Wir haben in der Zeit aber viele gute Netzwerke aufgebaut und uns auch mit ganz neuen Themen konfrontiert gesehen. Es sind zum Beispiel Jugendliche auf uns zugekommen, die sich Gedanken gemacht haben wegen des Datenschutzes im Onlineunterricht, oder dem Verreisen während der Pandemie. Da mussten auch wir uns erst einlesen. Manchmal ist es so, dass sich die Fragen wiederholen oder sie sich in ihrer Problematik ähneln. Aber das waren dann wirklich ganz neue Bereiche.<BR /><BR /><b>STOL: Wo sehen Sie akuten Handlungsbedarf um die Bearbeitung durch Ihr Team und den Schutz der Kinder- und Jugendlichen zu gewährleisten?</b><BR /><BR />Höller: Diese Dienste, die bereits gut arbeiten und niederschwellige Beratung und Hilfe anbieten, sollen weiter unterstützt werden. Dass gerade für junge Menschen, die in dieser Zeit vielleicht etwas orientierungslos sind, bereits mit dem niederschwelligen Angebot geholfen werden kann. Also psychologische und pädagogische Dienste und Stellen die auch für junge Menschen leicht zugänglich sind. <BR /><BR /><b>STOL: Was können Eltern tun um ihre Kinder besser zu unterstützen?</b><BR /><BR />Höller: Bei einem meiner ersten Fälle war ein 16-jähriges Mädchen mit ihren Eltern zu einem Beratungsgespräch gekommen. Und das hat mich wirklich berührt. Etwa 4 Wochen nach dem Gespräch habe ich sie noch einmal spontan angerufen und gefragt wie es ihr geht. Sie hat sich unglaublich gefreut. Und das hat mich sehr beeindruckt, mit wie wenig man bereits helfen kann: durch ein Telefonat und eine ernstgemeinte Frage. Wir sind ja jetzt viel digitaler als noch vor Corona. Trotzdem würde ich mir wünschen, dass die Eltern – dass man generell auch mal das Handy weglegt und sich auf das Wesentliche konzentriert. <BR />