Wie die Tiere eine solche Vernachlässigung erleben und ob sie geschlachtet werden dürfen bzw. ob ihr Fleisch noch genießbar ist, erfahren Sie hier.<BR /><BR /><b>Haben Sie schon etwas Vergleichbares wie die Bilder aus dem Stall in Wiesen gesehen?</b><BR />Prof. Matthias Gauly: Nicht in Südtirol, aber in Deutschland – leider. Ich habe es im Rinderbereich 2 Mal erlebt, im Haustierbereich einige Male. So etwas kommt immer wieder vor. Es ist auf beiden Seiten – für Tier und Mensch – ein Drama.<BR /><BR /><b>Durst, Hunger, Mist und Kadaver: Wie erleben Tiere eine solche Vernachlässigung?</b><BR />Gauly: Wer die Bilder aus dem Stall gesehen hat, ist vom Morast erschüttert. Der lässt das Ganze besonders eklig erscheinen. Der Dreck ist sicher ein Problem für die Tiere, aber das eigentliche Drama ist die Nicht-Versorgung mit Wasser und Futter. Dort beginnt ihr Leid. Genau wie wir können Tiere nur relativ kurz ohne Wasser auskommen. Es dauert in der Regel wenige Tage – abhängig von Umweltbedingungen wie der Temperatur – bis das Tier verdurstet. Das ist ein sehr qualvoller Tod. Im Fall in Wiesen kommen die Unterversorgung mit Futter und die Zustände hinzu.<BR /><BR /><b>Einige Tiere haben überlebt. Ein Zeuge will gesehen haben, dass sie gar wiedergekäut haben. Halten Sie es für möglich, dass jemand die Tiere sporadisch gefüttert hat?</b><BR />Gauly: Ich kann die Umstände nicht beurteilen. Es kann sein, dass irgendjemand – vielleicht der Landwirt selbst – noch Futter in den Stall geworfen hat. Es kann sein, dass eine Tränke noch funktioniert hat. In ihrer Not fressen die Tiere auch Mist und saufen Jauche. Das würden wir auch machen, wenn es gar nichts mehr gäbe. Aber das hat ihre Qual eventuell verlängert und nicht verhindern können, dass ein großer Teil der Tiere verendet ist. <BR /><BR /><b>Weiß man, wie es überlebenden Rindern nach einem solchen Vorfall geht? Sind sie traumatisiert?</b><BR />Gauly: Von Heimtieren wie Hunden weiß man, was Misshandlungen bedeuten können: Ein Hund, der aus schlechten Verhältnissen kommt und geschlagen wurde, ist extrem misstrauisch Menschen gegenüber. Misshandlungen können sich Tiere merken, und auch, von wem die Misshandlungen ausgegangen sind. Sie zeigen das dann durch Scheu dem Menschen gegenüber. Vernachlässigung wie im Fall von Wiesen ist anders: Die Rinder wurden einfach nicht versorgt. Kein Wasser und keine Nahrung zu finden, ist eine Situation, die in der Evolution immer wieder vorgekommen ist. Das sind glücklicherweise Dinge, die Tiere tatsächlich vergessen können. So etwas ist kein Trauma, so dramatisch es auch für sie ist. <BR /><BR /><b>Diese Rinder sind Schlachtvieh. Dürfen sie in diesem Zustand geschlachtet werden?</b><BR />Gauly: Im gegenwärtigen Zustand – die Tiere sind ja ganz abgemagert – würde sie sicherlich niemand schlachten wollen. Wenn sie gut gehalten werden, mit Wasser und Futter versorgt sind und in einem vernünftigen Stall stehen, gibt es ein interessantes Phänomen in der Tierwelt: Man nennt es das kompensatorische Wachstum. Nach einer Phase, in der ein Tier mit Nährstoffen unterversorgt worden ist, kann es diesen Mangel kompensieren oder sogar überkompensieren. Vorausgesetzt, die Rinder haben durch die Vernachlässigung keinen Schaden genommen: etwa an Organen wie der Lunge, weil sie wochenlang auf dem Festmist standen und Ammoniak eingeatmet haben. Wenn sie unbelastet sind, können sie ganz normal gemästet und geschlachtet werden. <BR /><BR /><b>Ihr Fleisch könnten wir ohne Bedenken essen?</b><BR />Gauly: Es gibt vor jeder Schlachtung eine Begutachtung am lebenden Tier. Auch nach der Schlachtung untersucht ein Veterinär jedes Tier. Das wird immer so gehandhabt. Fällt bei diesen Untersuchungen etwas auf, werden die Tiere nicht mehr dem menschlichen Genuss zugeführt, sondern entsorgt. Grundsätzlich spricht aber nichts dagegen, dass man diese Tiere einige Wochen mästet und dann schlachtet.<BR /><BR /><b>Auf das Fleisch hat eine so schlimme Vernachlässigung also keine Auswirkungen?</b><BR />Gauly: Das kommt darauf an: Wenn es Schädigungen an der Leber gibt oder an anderen Organsystemen, kann das Auswirkungen haben. Aber alleine die Phase der Unterversorgung mit Wasser und Nährstoffen hat auf die spätere Fleischqualität keinen Einfluss, wenn eine vernünftige Versorgung folgt und einige Wochen ins Land gehen, bis das Tier sich wieder erholt hat, bevor es geschlachtet wird. <BR /><BR /><b>Noch eine ethische Frage: Kann man es diesen Tieren antun, sie zu schlachten? Oder sollte man sie nach all der Qual verschonen?</b><BR />Gauly: Die ethische Frage, ob wir Tiere schlachten und essen dürfen, ist eine grundsätzliche. Ich glaube, wenn die Rinder aus Wiesen jetzt vernünftig gehalten werden, ist ihre Nutzung genauso richtig oder genauso falsch wie die Nutzung von jedem anderen Tier.<BR />