<b> Herr Lerchner, im Normalfall verdrängen Menschen Sterben und Tod und Sie machen das zum Beruf. Wie wird man Totengräber?</b><BR />Georg Lerchner: Das war so: Als ich vor 20 Jahren bei der Gemeinde im Bauhof angefangen habe, war hier Erich Christanell mein Vorgänger. Und er brauchte eine Urlaubsvertretung. Weil ich noch nicht fix angestellt war, habe ich mich nicht getraut, Nein zu sagen (lacht). <BR /><BR /><b>Hatten Sie eine Vorstellung, was Sie erwartet?</b><BR />Lerchner: Nein, aber es hat mich auch nicht abgeschreckt. Ich bin ein sehr offener Mensch. Arbeit ist Arbeit. Man wächst hinein.<BR /><BR /><b>Was galt es zu lernen? </b><BR />Lerchner: Am Anfang musste ich Baggerfahren lernen. Denn Gräber, in denen ein Sarg hinunterkommt, müssen ausgebaggert werden. Am Anfang brauchte ich lange, ein Grab auszuheben, denn wenn man mit der Baggerschaufel „an folschn Drahner mocht“, ist der Grabstein kaputt. Das geht schnell. Da bewegt man sich auf engstem Raum, links ein Grab, rechts ein Grab und dahinter auch noch eines. Dann steige ich ins Grab und mache den letzten Aushub mit der Schaufel. Richte alles an, damit es auch schön ausschaut.<BR /><BR /><b>Wie tief ist so ein Grab?</b><BR />Lerchner: Zwei Meter tief.<BR /><BR /><b> Stoßen Sie da auch auf Knochen?</b><BR />Lerchner: Das passiert bei jedem alten Grab. Ich baue überm Grab daneben eine Kiste aus Holz. Da haben zwei Kubikmeter Erde Platz. Die ersten sechs, sieben Schubkarren Erde kommen weg, damit Platz für den Sarg ist. Sobald ich zu den Knochen komme und dem, was von einem Körper eben übrig ist, lege ich alles in der Holzkiste zur Seite. Sobald der Sarg hinabgesenkt ist, lege ich diese menschlichen Überreste drauf. Dann wird alles mit Erde bedeckt.<BR /><BR /><b>Und die übrige Erde?</b><BR />Lerchner: Die brauche ich dann wieder zum Auffüllen, wenn Gräber nach langem Regen einsacken. Heute sind im Unterschied zu früher die Särge nur mehr aus Fichtenholz, die Sargdeckel dünn und dann bricht ein Sarg viel schneller ein. Früher waren die Särge aus Eichen- und Lärchenholz und das auch noch lackiert. Das ist heute nicht mehr erlaubt. Es dauerte bis zu drei Jahre, bis die Särge einbrachen.<BR /><BR /><b>Gibt es noch Zinnsärge?</b><BR />Lerchner: Natürlich, immer wieder, wenn es sich um Särge handelt, die aus dem Ausland kommen und luftdicht zugelötet sind. Da habe ich einmal mit meinem Kollegen einen Sarg aufgemacht. Da ging’s los. Die Leiche war noch ziemlich erhalten, obwohl sie vor 36 Jahren bestattet worden war. Der Geruch war unerträglich, innerhalb von fünf Minuten war der Friedhof leer. Jeder von uns beiden hat zehn Masken gewechselt, weil die sich mit dem Geruch sofort vollgesogen haben. Ein anderes Mal mussten mein Kollege Christian und ich nach eineinhalb Jahren einen Sarg öffnen, damit die DNA des Verstorbenen entnommen werden konnte, weil eine Erbin nach dem Ableben aufgetaucht ist. Alles im Beisein von Carabinieri, Doktor, Anwälten. <BR /><BR /><b>Merkt man, ob ein reicher Mensch oder ein armer Mensch beerdigt wird?</b><BR />Lerchner: Eigentlich nicht. Was aber schon auffallend ist, dass früher der Verstorbene immer mit einer Prozession von der Kirche bis zum Friedhof begleitet wurde. Heute immer weniger. Die meisten wollen in der kleinen Friedhofskapelle Abschied nehmen. Und da wird jeder Verstorbene gleich behandelt. <BR /><BR /><b> Was ist der Friedhof für Sie?</b><BR />Lerchner: Ein Arbeitsplatz, ein feiner Arbeitsplatz, den ich mag. Einmal ist’s strenger, wenn drei Beerdigungen in einer Woche sind und dann wieder zwei Wochen nichts, dann mache ich die anderen Arbeiten, die liegen bleiben: Hecken schneiden, Laub ,zommtian‘, Rasenkanten schneiden und Rasen mähen usw. Es ist mir sehr wichtig, dass der Friedhof, nein, dass mein Friedhof sauber ist. <BR /><BR /><?O_Fett><?_O_Fett><b>Welche Eigenschaften braucht ein Totengräber?</b><BR />Lerchner: Man muss halt mit Leuten umgehen können, empathisch, feinfühlig sein. Oft umarmen mich die Trauernden, oft tu ich es von mir aus, wenn sie ganz fertig sind. Das kam heuer schon ein paar Mal vor. Heuer starb ein Ungeborenes, da kam so ,a kloans, weißes Sargl‘. Das Kind hieß gleich wie mein Patenkind, das ist schon herzzerreißend. Am meisten tut’s halt weh, wenn Kollegen gehen. Erst vor einem Monat ist ein Kollege, mit dem ich zu Mittag noch ein Glasl getrunken habe, nachmittags bei der Jagd umgefallen und gestorben. Das geht schon nahe.<BR /><BR /><b>Sie sind vom Tod umgeben und trotzdem eine Frohnatur...</b><BR />Lerchner: Ich sag immer scherzhaft: Ich bin der größte Unternehmer in Algund, ich habe 1.200 Leute unter mir. <BR /><BR /><b>Wie viele Beerdigungen hatten Sie heuer zu betreuen?</b><BR />Lerchner: Heuer wenige: 28, davon 17 Urnenbeisetzungen. Urnenbeisetzungen nehmen auf jeden Fall zu. Das ist seit Corona zu beobachten. Seitdem hat es extrem zugenommen. Ich will es nicht behaupten, aber ich glaube, dass es mit den Erdbestattungen keine 20 Jahre mehr geht. <BR /><BR /><b> Haben Sie einen anderen Zugang zum Tod?</b><BR />Lerchner: Der Tod schreckt mich nicht. Ich habe keine Angst vorm Gehen. Null. Vielleicht weil ich damit täglich zu tun habe. ,A bissl‘ verändert hat mich auch eine schwere Erkrankung vor zwei, drei Jahren. Seither lebe ich noch bewusster. Ich habe das Leben immer genossen. Ich liebe das Leben 1000-prozentig und seit der Erkrankung noch mehr.