Meistens, so haben die Ärzte ihm erklärt, kommt diese Krankheit bei mehreren Mitgliedern einer Familie vor, es gibt wohl eine genetische Disposition. Das muss aber nicht sein, diese rheumatische Erkrankung kann auch aus anderen Gründen auftreten. Was auf ihn zutrifft, weiß Keivan Ahmadpor nicht. Sein Vater starb schon vor seiner Geburt. Er selber kam vor knapp 40 Jahren in einem Gefängnis im Iran auf die Welt, seine Mutter wurde kurz nach seiner Geburt hingerichtet. Ihre Vergehen: Sie war Kurdin und politisch aktiv. <BR /><BR />Keivan Ahmadpor kam in eine Pflegefamilie, konnte zur Schule gehen und einen Beruf lernen. Er ist Elektriker. Das Schicksal seines im Iran verfolgten und unterdrückten Volkes ließ den jungen Mann jedoch nicht kalt – und er begann, sich politisch zu engagieren. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="994192_image" /></div> <BR /><BR />Die Kurden – verteilt auf mehrere Länder (Iran, Irak, Syrien und die Türkei) – kämpfen seit jeher für ihre Autonomie, insbesondere im Iran auch für Demokratie und waren gerade in den jüngsten Protesten gegen die Unterdrückung der Frau durch die Islamisten an vorderster Front. Mit die größten Proteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini im September 2022 gab es in Keivans Heimatstadt Saqqez (siehe dazu untenstehende Hintergrundinformation), aus der auch Amini stammte. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="994195_image" /></div> <h3> Opposition ist im iranischen „Gottesstaat“ lebensgefährlich</h3>Doch damals wie heute ist Protest und Opposition im „Gottesstaat“ der Ayatollahs lebensgefährlich. Keivan Ahmadpor wird verhaftet, gefoltert, ihm werden die Finger gebrochen, sogar eine Messerattacke überlebt er in diesem Kerker. Einen erbettelten Freigang nutzt er zur Flucht nach Europa (ohne Papiere, ohne Geld und nur mit den wenigen Kleidern am Leib) – es beginnt eine wahre Odyssee. Bis er nach Südtirol kommt, Arbeit findet, zunächst als Putzkraft in einem Supermarkt, später in einem Müll verarbeitenden Betrieb. <h3> Zuhause in Südtirol: „Hier ist mein Land, ich habe kein anderes!“</h3>Der Job ist körperlich hart, aber das ist Keivan Ahmadpor egal. Er will Geld verdienen, niemandem auf der Tasche liegen. In jeder freien Minute bildet er sich weiter, spricht 4 Sprachen fließend (darunter Italienisch und Englisch) und auch mit Deutsch kommt er gut zurecht. Er beantragt nach einigen Jahren die italienische Staatsbürgerschaft und bekommt sie. Endlich angekommen, endlich eine Heimat: „Würde es zu einem Krieg kommen, ich wäre der erste, der sich freiwillig meldet, für dieses Land zu kämpfen. Hier ist mein Land, ich habe kein anderes“, sagt er mit Inbrunst. <BR /><BR />Doch das Schicksal meint es nicht gut mit Keivan Ahmadpor. Immer häufiger bekommt er Rückenschmerzen, schiebt es auf die anstrengende Arbeit. Erste Untersuchungen zeigen auch keinen Befund. Doch die Schmerzen werden stärker. Es dauert dennoch eine Weile, bis er eine Diagnose hat – und die stellt sein Leben auf den Kopf. Nein, eigentlich lässt sie ihm sein Leben wie ein Kartenhaus über ihm zusammenbrechen: Morbus Bechterew. Eine rheumatische unheilbare Erkrankung, eine chronische Entzündung der Wirbelsäule, die sich im Laufe der Jahre zudem versteifen kann. Schwere körperliche Arbeit ist nicht mehr drin, zumal er nicht nur starke Schmerzen hat (gegen die er Medikamente nimmt), sondern mit schwerer körperlicher Belastung eine dramatische Verschlechterung seines Zustandes riskiert. <h3> Die finanziellen Rücklagen sind aufgebraucht, Vermieter kündigt</h3>Keivan Ahmadpor muss seinen Job kündigen, er kann seine Wohnung nicht mehr bezahlen. Und bis er endlich eine Diagnose und auch eine bestätigte Arbeitsunfähigkeit (Invalidität von 75 Prozent) in Händen hält, sind seine finanziellen Rücklagen aufgebraucht und sein Vermieter setzt ihn vor die Tür. Ohne die Hilfe von Vinzenzverein und Caritas hätte er gar nicht mehr gewusst, wie er überleben soll. <BR /><BR />Mittlerweile bekommt Keivan Ahmadpor 470 Euro Invalidenrente, damit eine Wohnung zu finden und überleben zu können, ist unmöglich. Ohne einen festen Wohnsitz (derzeit ist er bei Freunden untergekommen, Nächte im Freien wären für den Rheumatiker buchstäblich der Tod) bekommt er auch die Aufstockung auf das Lebensminimum von etwas über 600 Euro nicht. Und eine Sozialwohnung ist für ihn auch auf absehbare Zeit nicht in Sicht, als Einzelperson hat er zu wenige Punkte, andere stehen vor ihm auf der Warteliste. <BR /><BR />„Ich möchte arbeiten, ich möchte auch keine Invalidenrente, ich will mich selber versorgen können, wieder eine eigene Wohnung haben“, sagt Keivan Ahmadpor. Schreibtischarbeit oder andere Tätigkeiten, die „nicht aufs Kreuz gehen“, könnte er verrichten. Laut ärztlichem Befund darf er keine Arbeit mehr verrichten, bei der schwere Lasten zu bewegen sind. Auch auf Leitern darf er nicht mehr steigen und Temperaturschwankungen sind ebenfalls auszuschließen. Er sucht, bewirbt sich, spricht vor. Kommende Woche darf er in einem Betrieb „Probe arbeiten“. Eine Wohnung hat er aber nach wie vor nicht. „Wieso lässt man mich so im Stich“, fragt er mit Tränen in den Augen. <BR /><BR />Wünschen wir ihm viel Glück – von Herzen!<h3>Hintergrund: Kurden im Iran</h3>Im September 2022 gingen die Bilder von Jina Masha Amini rund um die Welt. Die junge Kurdin war von der iranischen Sittenpolizei inhaftiert worden, angeblich, weil sie ihr Kopftuch nicht ordnungsgemäß getragen hatte – ein Verstoß gegen die Hidschabregeln, deren Einhaltung die iranische Regierung mit aller Brutalität erzwingt. Amini wurde geschlagen und misshandelt – und überlebte die Haft nicht. Bilder einer Computertomografie von ihrem Kopf, aufgenommen im Kasra-Krankenhaus nach ihrem Tod, zeigen laut Fachärzten einen Bruch der rechten Schädelseite. Jina Aminis Angehörige informierten kurdisch-iranische Menschenrechtsaktivisten. <BR /><BR />Was dann folgte glich einem Aufstand. Schon die ersten Nachrichten von Jina Aminis Koma und Tod hatten im Iran große Empörung hervorgerufen. Doch in ihrer Heimatstadt Saqqez in der Provinz Kurdistan, dem selben Ort, aus dem auch Keivan Ahmadpor stammt, versammelten sich die Menschen zu ersten Protesten. In den folgenden Monaten erfassten die Proteste hunderte Städte, alle Universitäten und Landesteile des Iran. Es entstand die größte Protestwelle in der Islamischen Republik Iran seit deren Gründung 1979. Doch das Regime reagiert mit Härte, bei einer Demonstration festgenommen zu werden, kann die Hinrichtung bedeuten. Allein 2023 sollen über 700 Personen hingerichtet worden sein, erst im vergangenen Monat waren 4 Kurden nach einem fragwürdigen Prozess hingerichtet worden. Menschenrechtsorganisationen werfen dem Iran einen unfairen Prozess vor, die „Geständnisse“ der Männer sollen unter Folter erfolgt sein. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="994198_image" /></div> <BR /><BR />Dass die Proteste in Saqqez in der Provinz Kurdistan (das geografische Gebiet Kurdistan ist größer) ihren Ausgang und ihren Höhepunkt gefunden haben, kommt nicht von ungefähr. Denn die kurdische Bevölkerung im Iran blickt auf eine lange Unterdrückungsgeschichte zurück. Im Iran stellen sie mit einem Anteil von rund 10 Prozent der Bevölkerung eine Minderheit da. Neben ihrem Schutz/Autonomie als Minderheit setzen sich ihre politischen Vertreter für Demokratie und Föderalismus ein. Allerdings musste die 1946 gegründete Demokratische Partei des Iranischen Kurdistans bereits 1953 in den Untergrund. Ihre Vertreter wurden vom Regime verfolgt, ganz besonders nach der islamischen Revolution 1979 und der Machtübernahme durch Ayatollah Khomeini. Dessen Regierung lehnt nicht nur die Forderungen der kurdischen Partei nach einer Autonomie ab, vielmehr erteilte Chomeini sogar Fatwas gegen die Partei. <BR /><BR />Was dann folgte, war ein Krieg in den kurdischen Städten, der viel Leid und Zerstörung brachte. So wurde zum Beispiel am 3. September 1979 Mahabad, nachdem vorher schon andere Städte angegriffen wurden, von der iranischen Armee bombardiert. Zu den Opfern der politischen Verfolgung zählen auch die Eltern von Keivan Ahmadpor. Er selber kam im Gefängnis zur Welt, seine Mutter wurde kurz darauf hingerichtet. Als junger Mann wurde Keivan Ahmadpor selbst politisch aktiv, wurde festgenommen und gefoltert. Er floh nach Europa. <BR /><BR />