„Spätestens, wenn dreimal täglich dasselbe Auto vor der eigenen Wohnung steht, wird man misstrauisch. Und vorsichtiger. Eines Tages nahm mich der Geheimdienst schließlich mit zum Verhör“, erklärt Alex* (Name von der Redaktion geändert). <BR /><BR />Alex war ein Skinhead, schreckte vor nichts zurück im selbsternannten Kampf gegen „gewaltbereite Ausländer“. Heute führt er ein Leben fernab seiner radikalen Vergangenheit. Wie der Südtiroler den Ausstieg schaffte – und was er jungen Menschen, die in radikale Kreise geraten, mitgeben möchte.<BR /><BR /><b>Würdest du sagen, du warst damals überzeugter Neonazi?<BR /></b>Alex: Ja.<BR /><b><BR />Wie kam es dazu?</b><BR />Alex: Ich war damals im frühen Teenageralter, begann gerade auszugehen und neue Leute kennenzulernen. Einige von ihnen waren bereits Teil der rechtsextremen Szene; ich freundete mich mit ihnen an. In diesem Alter steckt man mitten in der Selbstfindung: Man ist unsicher, leicht beeinflussbar und hat kaum Lebenserfahrung. Ich denke, genau das waren die Gründe, warum ich in die Szene gerutscht bin.<BR /><BR /><b>Wie hast du dich in dieser Zeit verändert?</b><BR />Alex: Ich begann, rechtsextreme Werte zu übernehmen und passte mein äußeres Erscheinungsbild entsprechend an. Ich trug Springerstiefel, T-Shirts mit stilisierten Faden- oder Hakenkreuzen oder mit Logos rechtsextremer Bands wie „Landser“, „Stahlgewitter“ oder „Die Lunikoff Verschwörung“. Mein Kopf war kahlrasiert. Ich war fast immer bewaffnet – mit einem Messer oder einer Eisenstange; an meinem Scooter hatte ich eine spezielle Halterung dafür montiert.<BR /><BR /><b>Euer Credo?<BR /></b>Alex: Unsere Gruppe hatte es in erster Linie auf – in unseren Augen – vermeintlich „gewaltbereite Ausländer“ abgesehen. Längst nicht auf alle. Ich war damals sogar mit einigen Migranten befreundet. Auch mit den linksextremen Gruppen hatten wir meist keine Probleme – ganz im Gegenteil. Hin und wieder haben wir uns sogar gegenseitig den Rücken gestärkt. Ansonsten teilten wir als Gruppe zentrale Elemente der Ideologie des Dritten Reichs: die Vorstellung von weißer Überlegenheit (White Supremacy), die Einteilung von Menschen in „Rassen“ mit entsprechenden Hierarchien, Antisemitismus usw.<BR /><BR /><b>Wie sahen eure Gruppentreffen aus?<BR /></b>Alex: Wir waren mehr als nur eine Gruppe Jugendlicher mit ähnlichen Ansichten. Wir waren Freunde. Oft trafen wir uns in Bars, tranken etwas, redeten, hingen rum – eben das, was viele Jugendliche in dem Alter tun. Aber es gab auch die andere Seite: Unser Auftreten war provokant, unser Verhalten aggressiv. Wenn wir zum Beispiel glaubten, dass eine Bar nicht mit unseren Ansichten entsprach, flogen Bierkrüge, Barhocker wurden zertrümmert. Es wurde diskutiert; über unsere Ideologie, das System, das wir ändern wollten. Auch Sprayaktionen und Prügeleien gehörten dazu.<BR /><BR /><b>Das Heftigste, das du in dieser Zeit erlebt hast?<BR /></b>Alex: Ich würde sagen, die Schlägereien und Verfolgungsjagden, die wir uns damals geliefert haben. Einmal musste ich deshalb ins Krankenhaus eingeliefert werden, hatte offene Wunden am ganzen Körper. Aber noch eindrücklicher war der Moment, als mich der Geheimdienst mitnahm. Dass wir beobachtet wurden, war mir zwar bewusst, aber damit hatte ich wirklich nicht gerechnet…<BR /><BR /><b>Vom Geheimdienst observiert?<BR /></b>Alex: Ja, spätestens, wenn dreimal täglich dasselbe Auto vor der eigenen Wohnung steht, wird man misstrauisch. Und vorsichtiger. Der Geheimdienst nahm mich schließlich mit, er hatte uns abgehört und genauestens überwacht. Meine Chatverläufe lagen ausgedruckt in ihrem Büro vor mir auf dem Tisch. Verurteilt oder angezeigt wurde ich jedoch nie.<BR /><BR /><b>Wann und warum bist du ausgestiegen?</b><BR />Alex: Ich bin älter und vor allem klüger geworden. Nach einigen Jahren wurde mir klar, dass unsere Aktionen nichts bewirkt hatten – dass man nicht zu zehnt die ganze Welt verändern kann. Nach rund vier Jahren begann unsere Gruppe zunehmend auseinanderzudriften. Der Druck durch den Geheimdienst wurde größer, auch mein Freundeskreis schaltete sich ein: Meine Freunde fanden sich zusammen, redeten auf mich ein. Mit ihren Worten haben sie mir schließlich den letzten Anstoß zum Ausstieg gegeben. Zu dem Zeitpunkt war mir – und auch dem Rest der rechtsextremen Gruppe – allerdings längst klar, dass unsere Aktionen ins Leere liefen.<BR /><BR /><b>Was möchtest du jungen Menschen sagen, die Teil von extremen Gruppen sind?<BR /></b>Alex: Zieht beide Handbremsen, schaltet euer Hirn ein. Fragt euch ehrlich: Was will ich wirklich erreichen? Und vor allem – was nutzt es, anderen zu schaden? Ich selbst bereue heute, was ich damals getan habe.<BR /><BR /><b>Glaubst du, Südtirol hat ein Problem mit Radikalisierung und rechtsextremen Szenen?<BR /></b>Alex: Ich denke, Südtirol ist an und für sich ein weltoffenes Land. Allerdings habe ich manchmal den Eindruck, dass zu wenig für die Integration von Zugewanderten getan wird. Damit Integration wirklich funktioniert und sich ein wirkliches Gemeinschaftsgefühl bilden kann, müssen alle mit anpacken. In den letzten Jahren sind vermehrt Personen zu uns nach Südtirol gekommen, die teilweise nicht ausreichend eingebunden wurden. Das zeigt sich auch am Verhalten Einzelner aus dieser Gruppe – manche fallen aus dem Raster, geraten in Konflikte oder begehen vielleicht Straftaten. Dadurch kann der Eindruck entstehen, alle Migranten seien gleich – was natürlich nicht stimmt! Gleichzeitig schafft genau dieses Denken auch den Nährboden für extremes Gedankengut.