Bei der Geburt des Mädchens waren der Vater und die Mutter noch zusammen. Später ging er mit einem anderen Kind fort, während die Frau mit ihrer Tochter umherzog und in illegalen Textilfabriken in Norditalien Arbeit fand. In diesen Fabriken, die meist in der Hand von Chinesen sind, lebten sie auch, aßen und schliefen dort. Rovigo, Padua, vielleicht noch andere Orte, sicher aber immer in der Provinz Brescia. Eine nicht einfache Rekonstruktion, wenn der Bezugspunkt ein Keller oder der Hinterraum einer Textilfabrik ist.<BR /><BR />Im vergangenen Frühjahr kam die Geschichte ans Licht. Sie geriet damals nicht in den Fokus der Öffentlichkeit, aber die Schlafstätte in der Fabrik im Hinterland von Brescia – die wenigen Quadratmeter Existenz von Mutter und Tochter – blieb nicht länger verborgen. Das Mädchen war damals noch minderjährig, jetzt ist sie es nicht mehr. Jetzt hätte sie die Möglichkeit auf eine reguläre Anstellung und könnte damit auch ihre rechtliche Situation in Italien verbessern. Die Behörden stehen nun vor der Herausforderung, über ihr Schicksal zu entscheiden, nachdem sie 17 Jahre lang in einem „Loch“ gelebt hat, Lichtjahre entfernt von der Realität ihrer Altersgenossen. 17 lange Jahre wurde sie in eine Parallelexistenz hineingezwungen, die geprägt war von sozialer Isolation und unmenschlichen Bedingungen. <BR /><BR />Das Schicksal der jungen Frau ist sicher kein Einzelfall. Zahllose weitere Menschen leben wie Geister im Schatten der Gesellschaft – in Italien und überall auf der Welt – ohne je gesehen oder gar vermisst zu werden.<h3> Textilfabriken in chinesischer Hand</h3>In Italien, insbesondere in der Stadt Prato in der Toskana, gibt es zahlreiche chinesische Textilfabriken. Bis zur Pandemie gab es 6.000 solcher Fabriken mit bis zu 25.000 Zugewanderten aus China. <BR /><BR />Diese Firmen sind das Herzstück der Pronto Moda-Industrie. Sie produzieren vor allem Billigkleidung, die häufig unter dem Etikett „Made in Italy“ verkauft wird, obwohl die Menschen oft unter prekären Bedingungen arbeiten, die mit denen in Ländern wie Bangladesch vergleichbar sind. Längere Arbeitszeiten, Schwarzarbeit und fehlende soziale Absicherung sind verbreitet.<BR /><BR />Trotz der hohen Zahl registrierter Unternehmen wird vermutet, dass viele weitere unregistrierte Betriebe existieren, die häufig versuchen, Kontrollen durch Umbenennungen zu umgehen.