<b>Am 23. Juli 2019 ist Ihre 17 Jahre alte Tochter Miriam auf der Heimfahrt von ihrem Sommerjob auf der Aglsbodenalm in Ridnaun tödlich verunglückt. Wie geht es Ihnen heute, wie leben Sie mit diesem Verlust?</b><BR />Andrea: Das ist schwierig zu definieren. Meine Tochter Miri ist omnipräsent, sie zeigt sich mir oft in den unterschiedlichsten Weisen – etwa in allen möglichen Herzformen, auf die ich sogar beim Kartoffelschälen stoße, oder in Wolkenbildern. Dadurch gibt sie mir die Kraft, weiterzumachen. Auch bei wichtigen Entscheidungen ist sie da. So hat sie mir vor dem Kauf meines Autos im Traum mitgeteilt, dass das ausgesuchte zu mir passt. <BR /><BR /><b>Sie haben über das Unglück und ihre Tochter das Buch „Meine Miri, meine Sonne, mein Phänomen“ geschrieben. Was hat Sie dazu bewogen?</b><BR />Andrea: Eigentlich ihr Laptop, der so gut wie neu da gestanden hat. Ich wollte damit etwas tun. Mein heute 25 Jahre alter Sohn hat mich ermutigt, alles mal aufzuschreiben. Als er mich dann tippen sah – wie Kraut und Rüben, so wie es gekommen ist, mit nachträglichen Ergänzungen – meinte er: „Das wird sicher ein ganzes Buch“. Obwohl ich das anfangs verneint hatte, dachte ich irgendwann daran, 10 bis 20 Bücher für uns als Familie zu drucken, damit die Gedanken, Erinnerungen und Erlebnisse mit Miri wach bleiben. Über unseren Pfarrer bin ich dann im Juli zu dem Verlag gekommen, der das Buch im August in den Handel gebracht hat.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-62313949_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Sie schreiben darin auch über andere Schicksalsschläge, die sie erleben mussten…</b><BR />Andrea: Ich habe bereits in der Unfallnacht geahnt, dass all diese Schicksalsschläge eine Vorbereitung sein sollten, auf das, was noch kommen würde. Mein Vater ist mit 56 Jahren einem Herzinfarkt erlegen. Meine Tante ist mit 53 Jahren in meinem Beisein an einer Lungenembolie verstorben. Ich habe noch versucht, sie wiederzubeleben. Dass mir das nicht gelungen ist, mit dem kam ich nicht zurecht, und ich rutschte in eine depressive Phase. Infolge einer Hirnhautentzündung hatte ich 2006 – Miri war damals 4 Jahre alt – eine Nahtoderfahrung. Im Nachhinein hat sich diese als Glück herausgestellt, weil ich seitdem alles anders sehe. Meinen Kindern habe ich erzählt, wie schön es war. Sie haben deshalb keine Angst vor dem Sterben.<BR /><BR /><b>Sie berichten im Buch, dass Sie noch kurz vor dem Unfall mit ihrer Tochter telefoniert haben und vor dem Abbruch des Gesprächs Unruhe im Auto aufkam.</b><BR />Andrea: Ja, ich dachte, es ist das Aufgedrehtsein vierer Mädchen gemeinsam im Auto. Erst im Nachhinein habe ich verstanden, dass sie in diesem Moment realisiert haben: Jetzt haben sie die Kontrolle verloren.<BR /><b><BR /> Als Sie die Nachricht erhielten, Sie sollten zur Feuerwehrhalle: Was ging da in Ihnen vor?</b><BR />Andrea: Ich habe versucht, beide Kinder anzurufen. Als ich meinen Sohn erreicht hatte, wusste ich, dass etwas mit Miri passiert sein musste. Mein Gedanke war nur: Bitte nimm mir nicht meine Miri. Ich habe gehofft bis zum Schluss, sie im Rollstuhl gesehen. Man malt sich die unterschiedlichsten Szenarien aus: Hauptsache sie bleibt bei uns.<BR /><BR /><b>Bald nach dem Unfall wurde ein technischer Defekt am Auto als Unfallursache vermutet. Hat sich das bestätigt?</b><BR />Andrea: Ja, die Bremsen haben versagt. Es sind Sachen, die sich nicht mehr ändern lassen. Ich hatte Wochen vor dem Unfall mit meiner Tochter eine Diskussion darüber, ob immer ein Schuldiger gefunden werden muss. Ich habe mich nie mit der Schuldfrage beschäftigt, das würde nur verbittern. Die Fahrerin, eine Freundin von Miri, muss – wie alle Betroffenen – damit leben. Das hat sich niemand ausgesucht.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-62314230_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Haben Sie in ihrem Umfeld die Unterstützung gefunden, die Sie nach dem tragischen Ereignis gebraucht haben?</b><BR />Andrea: Unterschiedlich. Es sind fremde Menschen aus dem Nichts hervorgetreten, die ganz unerwartet mit wenig viel geholfen haben. Andere haben sich zurückgezogen. Aber so ist das Leben. Nicht jeder kann mit so einer Situation umgehen. Das Schlimmste in diesem Moment ist das Nichtansprechen, das Nichtssagen. Auch wenn die passenden Worte vielleicht fehlen, man sollte es zumindest versuchen. Freunde von Miri haben mir ein Buch überreicht, in das sie hineingeschrieben hatten, was sie ihr noch sagen wollten. Ich habe Anteilnahmen aus dem ganzen Land erhalten, die ich alle wie einen Schatz in einer Holzkiste aufbewahre. Manchmal lese ich sie noch durch. Und auch wenn ich dabei weinen muss, lasse ich jedesmal etwas los.<BR /><BR /><b>Haben Sie die Zeitungsberichte über den Unfall gelesen?</b><BR />Andrea: Erst später. Dabei wurde mir auch einiges bewusst, was ich so nicht gesehen hatte, etwa wie viele Betroffene es bei einem Unfall gibt – die ganzen Einsatzkräfte, was sie mitgemacht haben. Die Feuerwehrmänner haben alle Beteiligten gekannt und mitgelitten. Heute würde ich nie mehr eine Zeitung öffnen, um einen Artikel über einen Unfall durchzulesen – wohl zum Selbstschutz. Allerdings schreibe ich Betroffenen oft einen Brief.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="967147_image" /></div> <BR /><BR /><b>Wo finden Sie die Kraft, um mit Ihrer Trauer zu leben?</b><BR />Andrea: In meinem Umfeld: bei meinem Sohn, der sehr stark ist. Bei meinem Partner, der mich zum Lachen bringt. Ich lebe vom Vater meiner Kinder getrennt. 7 Monate vor dem Unfall habe ich meinen neuen Partner kennengelernt. Miri hat gezielt darauf hingearbeitet, dass ich nicht alleine bleibe. Meine Kinder kamen gut mit der Situation und mit meinem neuen Partner zurecht. Miri war unser Dreh- und Angelpunkt, unsere Sonne. Es schien perfekt. Jetzt, wenn ich wieder mal ganz unten bin, weil sie so fehlt, schafft sie es immer wieder, dass ich etwas höre und sehe, damit ich weitermachen kann. Deshalb auch „mein Phänomen“ im Buchtitel. Sie war auf der Welt etwas Spezielles und ist es noch. An ihrem Geburtstag, zu Weihnachten: Wir stoßen auf sie an, feiern, dass es sie gegeben hat.<BR /><BR /><b>Wie ist die bisherige Resonanz auf Ihr Buch?</b><BR />Andrea: Durchaus positiv. Bei meiner ersten Lesung in Ridnaun waren über 300 Zuhörer anwesend. Die Stille im Saal war unglaublich. Wenn ich zu Lesungen eingeladen werde, habe ich immer eine Spendenbox für die Organisation “Licht für die Welt„ mit dabei. Für Miri wäre es das Schlimmste gewesen, nicht sehen zu können. Sie hat deshalb einmal eine Spendenaktion für „Licht für die Welt„ organisiert. Statt Geburtsgeschenke sammelte sie mal Spenden für “Ärzte ohne Grenzen„. Sie hatte verstanden, welches Glück wir haben, hier geboren zu sein.<BR /><BR /><b>Wird man nicht noch verletzlicher, wenn man seine Gefühle mit so vielen teilt?</b><BR />Andrea: Nein, alles was du als Problem erkennst, aussprichst oder aufschreibst, ist ein großer Schritt hin zum Annehmen, zum Verarbeiten. Das Schwierigste ist, sein Schicksal anzunehmen, sich bewusst zu machen, dass man es nicht mehr ändern kann. Aufgrund meiner früheren Erfahrungen war mir nach dem Tod von Miri bewusst, welch leere Zeit auf mich zukommen wird. Mit dieser Leere muss man umzugehen lernen. Wenn ich jetzt höre, dass ich durch mein Buch jemandem helfen konnte, hat diese Offenheit auch etwas Gutes. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="967150_image" /></div> <h3> Der Unfall</h3>Bei dem Unfall am frühen Abend des 23. Juli 2019 auf der Forststraße von der Aglsbodenalm Richtung Ridnaun verlor neben Miriam Volgger (17) ein weiteres Mädchen (19) ihr Leben. Die Fahrerin (19) und eine damals 41-jährige Arbeitskollegin der Mädchen, die mit im Auto saß, wurden schwer verletzt. <a href="https://www.stol.it/artikel/chronik/nach-tragischem-unfall-ridnaun-trauert-um-miriam-und-irina" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">(STOL hat berichtet)</a><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />