Die deutsche Touristin hat sich eine Rippe gebrochen. Ihre Füße stecken noch in den Skischuhen, konzentriert schaut sie auf den Bildschirm. „Hier hat sich etwas verschoben“, erklärt die Ärztin. „Wie sehr darf ich mich denn bewegen?“, fragt die Patientin. <BR /><BR />„Kein Ski fahren, kein Gewicht aufheben, sich schonen.“ „Darf ich schwimmen?“. „Nein“, antwortet die Ärztin Dr. Chiara Sernia, denn Ruhe bedeute, keinen Sport auszuüben. <BR /><BR />Zwischen 130 und 150 verletzte oder kranke Menschen werden in der Notaufnahme des Brixner Krankenhauses pro Tag versorgt. Weihnachts- oder Faschingsferien sind längst nicht mehr die „schlimmsten“ Zeiten. Ständig gilt es verunfallte Wintersportler zu betreuen. Die Saison beginnt immer früher und dauert immer länger. <h3> Abläufe werden trainiert und durchgesprochen</h3>An diesem Februarnachmittag ist es ruhig. „Aber das kann sich innerhalb von 10 Minuten ändern“, sagt Franz Gruber und lacht. Er ist der Pflegekoordinator der Notaufnahme, er kennt sie wie der Bauer seine Apfelwiese. <BR /><BR />Und das gilt nicht nur für ihn: Vor der Wintersaison trainieren die Mitarbeiter die Abläufe in einer Schulung ganz genau, alles wird durchgesprochen. „Da lernen die Pfleger etwa, wie sie einen Skischuh ausziehen sollen“, schildert Gruber. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="998551_image" /></div> <BR />Es klingelt bei Dr. Chiara Sernia im Behandlungszimmer. Sie wird in die Triage gerufen, denn ein medizinischer Notfall – junge Skifahrerin mit Oberschenkelbruch – ist im Anflug. Der Landeplatz des Notarzthubschraubers Pelikan 2 befindet sich gleich neben dem Gebäude, mit einem Aufzug ist die Patientin im Nu in der Notaufnahme, wird in die Triage geschoben.<h3> Prioritätenkodex: Viel zu viele Blaue</h3>Sie ist die erste Station für alle Notfälle. Hier erfolgt die Ersteinschätzung, hier werden Werte erhoben, hier wird der Prioritätenkodex festgelegt. „Rot bedeutet absolute Lebensgefahr, orange, dass die Behandlung innerhalb von 10 Minuten erfolgen muss, bei Gelb ist die Wartezeit maximal eine Stunde“, weiß Franz Gruber. Danach gibt es noch grün (2 Stunden Wartezeit) und blau. „Patienten, die die Priorität blau erhalten, gehören eigentlich gar nicht hierher und von diesen gibt es viel zu viele“, berichtet der Pflegekoordinator. Sie seien vielmehr ein Fall für den Hausarzt oder die Hausärztin.<BR /><BR />Nachdem also hier ein erster Blick auf die Patienten geworfen wird beginnt für sie die Wartezeit – bis man in der Diagnostik drankommt, also ärztlich behandelt wird. So wie für den Touristen aus Tschechien. „Ich glaube, ich habe einen Skiunfall gehabt und mir den Finger gebrochen.“ 2,5 Stunden ist das nun her. Er erhält den gelben Kodex, sollte also nicht länger wie eine Stunde warten. <BR /><BR />Für die Diagnostik werden die Patienten geteilt: Jene mit Trauma, also einem Unfallereignis, kommen in die Trauma-Notaufnahme. Alle anderen in die allgemeine Notaufnahme. In der Trauma-Notaufnahme gibt es 2 Behandlungszimmer und einen Gipsraum. „Die Gipse sind rückläufig, weil mehr Schienen verwendet werden“, erzählt Franz Gruber. 20 bis 30 Gliedmaßen werden trotzdem noch jeden Tag eingegipst, schätzt er. <BR /><BR />Hier werden Diagnosen getroffen, Patienten zum Röntgen oder Ultraschall geschickt. Hier wird einer nach dem anderen abgearbeitet. Die meisten Mitarbeiter arbeiten in 12 Stunden Schichten, richtig los geht es in der Trauma-Notaufnahme ab der Mittagszeit. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="998554_image" /></div> <BR />Frakturen, also Brüche, Schnittverletzungen, oder gerissene Kreuzbänder sind häufige Verletzungen. Wie eine ASTAT-Studie untersuchte, ereigneten sich im Winter 2021/22 genau 8492 Unfälle mit Beteiligten auf Ski, Snowboard oder mit anderen Wintersportlern. Die meisten stürzten dabei selbst ohne Fremdbeteiligung (75,1 Prozent), manche stießen mit anderen Personen zusammen (13,7 Prozent). <BR /><BR />Einen besonders kuriosen Fall gab es in der Brixner Trauma-Notaufnahme vor einigen Wochen: Die Ehefrau hatte ihren eigenen Mann niedergefahren. Er musste operiert werden, so kompliziert war sein Bruch. <h3> „Jeden zweiten Tag bleibt einer übrig“</h3>Die Operationssäle in der Abteilung Orthopädie und Traumatologie sind immer ausgebucht. „Am Vormittag wird das Routineprogramm durchgeführt“, erklärt Franz Gruber. Am Nachmittag werden die verletzten Wintersportler versorgt, für sie wurde eigens ein weiterer OP-Raum eröffnet. „Sie werden also schon einkalkuliert“, sagt Gruber.<BR /><BR /> Verschiebungen gibt es trotzdem, weiß Dr. Oliver Perl von der Abteilung Orthopädie und Traumatologie. Denn das Aufkommen sei nicht kleiner geworden, gefühlt werde es jedes Jahr größer. Man versuche, alle unterzukriegen, aber jeden zweiten Tag bleibe jemand übrig. <BR /><BR />Das liegt hauptsächlich am Pflegemangel. Konkret fehlt es an OP-Personal. „Die Instrumentare müssen eingelernt werden, es gibt zu wenige.“ Auch aufgrund der vielen Pensionierungen. <h3> Englisch ist heutzutage Standard</h3>Am Krankenhaus Bruneck wurden in den ersten 2 Februarwochen knapp 1000 Skiunfälle behandelt, davon mussten über 100 Patienten länger betreut werden. Auch dort werden weniger programmierte Eingriffe eingeplant, etwa bei Ferienzeiten. Aufgefangen wird die Situation unter anderem von privaten Ambulatorien, die immer wichtiger werden. <BR /><BR />Länger betreut werden müssen auch Touristen. „Da hofft man dann, dass sie versichert sind“, sagt Franz Gruber. Und wenn nicht? „Sie stehen in der Pflicht. Sie müssen sich auch den Rückholdienst ins Heimatkrankenhaus selbst organisieren.“ Man unterstützte sie zwar, aber bezahlen müssen sie dafür selbst, so Gruber. <BR /><BR />In der Notaufnahme sprechen viele Mitarbeiter Englisch. Das ist beinahe schon Standard - bei den vielen Nationen, die die Erste Hilfe benötigen. Gerade im Winter kommen sind das viele Menschen aus Polen und Tschechien. Das werde dann schwierig, wenn der Patient gar kein Englisch könne, und nur Polnisch spreche. „Auch wenn es die Aufklärungsbögen in vielen Sprachen gibt“, schließt Gruber und seufzt. <h3> „Patienten wollen alles gleich sofort“</h3>Außerdem werden die Patienten immer fordernder. „Alles wollen sie gleich sofort“, erzählt der Pflegekoordinator. Sie suchen auf Google ihre Symptome und wissen schon, was sie benötigen, wenn sie den ersten Schritt ins Krankenhaus setzen. „Die respektvolle Haltung lässt zu wünschen übrig, und das nicht erst seit der Pandemie. Das geht so schon ein paar Jahre.“ <BR /><BR />Dann muss Franz Gruber los. Er wird in der Triage gebraucht, Pelikan 2 ist gerade eben mit dem nächsten Schwerverletzten gelandet. Er rast durch den Flur wie ein Ferrari Richtung Ziellinie. Gruber weiß: Im Sommer ist es nicht viel anders – mit all den verunfallten Radfahrern, Wanderern und Co. <BR /><BR /><b>Weitere Zahlen aus anderen Notaufnahmen des Landes:</b><BR />Fast 2500 Menschen wurden vom 1. Februar bis zum 15. Februar in der Notaufnahme des Brunecker Krankenhauses behandelt. Das waren in diesen 16 Tagen etwas mehr als 150 Menschen pro Tag. Im Krankenhaus Bozen waren es zwischen 220 und 280 Menschen pro Tag. <BR /><BR />963 Patienten eines Skiunfalls wurden in den ersten beiden Februarwochen im Krankenhaus Bruneck versorgt. 72 davon wurden stationär aufgenommen,124 mussten länger betreut werden. <BR /><BR />Im Krankenhaus Bozen hingegegen gab am Wochenende des 10. und 11. Februar 86 Zugänge in der Traumatologischen Ersten Hilfe. Darunter waren 3 verletzte Skifahrer. <BR /><BR /><BR />