Dass jetzt eine Drittimpfung gegen Covid-19 notwendig wird, ist für den Sarner Wissenschaftler „keine Überraschung“. <BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><b>Herr Professor Gänsbacher, wir beobachten derzeit steigende Infektionszahlen und auch Impfdurchbrüche. Wie verhält es sich mit dem nachlassenden Schutz der Corona-Impfungen?</b><BR />Dr. Bernd Gänsbacher: Vorausschicken möchte ich, dass es sich hier um eine völlig neuartige Virusinfektion handelt und um einen Impfstoff, der noch nie verwendet wurde. Deshalb kann man sich an keinen Erfahrungswerten orientieren und alle Erkenntnisse müssen neu erarbeitet werden. Zu Ihrer Frage: Die derzeit höchste Aussagekraft zum nachlassenden Impfschutz hat eine randomisierte klinische Studie mit insgesamt 10.000 Teilnehmern.<BR /><BR /><b>Mit welcher Vorgangsweise und welchem Ergebnis?</b><BR />Dr. Gänsbacher: Allen 10.000 Teilnehmern gemeinsam ist, dass sie vor mindestens 6 Monaten 2 Mal mit Pfizer geimpft worden sind. Danach hat man diese Gruppe geteilt: 5000 Personen bekamen eine Placebo-Injektion – also keinen Schutz – die anderen 5000 hingegen die dritte Impfung mit Pfizer. Nach 11 Monaten hat man die Infektionen gezählt und dabei klare Ergebnisse bekommen. Bei der Gruppe ohne weiteren Schutz gab es 109 symptomatische Infektionen, bei der Gruppe mit der Drittimpfung dagegen nur deren 5. Man konnte also eine 95-prozentige Booster-Impf-Schutz feststellen. Eine randomisierte klinische Studie mit so einem klaren Ausgang müsste auch die größten Zweifler überzeugen. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="707348_image" /></div> <BR /><b>Auch eine schwedische Studie veranschaulicht den nachlassenden Schutz der Impfungen. Wie sind diese Daten zu bewerten?</b><BR />Dr. Gänsbacher: Diese Studie und auch weitere zeigen, wie der Antikörper-Spiegel im Körper nach und nach absinkt. So werden etwa im Blut jener Personen, die mit Pfizer geimpft sind, nach etwa 7 Monaten keine Antikörper nachgewiesen, bei Astra Zeneca hingegen bereits nach 4 Monaten. Das bedeutet nicht, dass keine Antikörper mehr vorhanden sind, sondern nur, dass sie mit unseren Methoden nicht mehr messbar sind. Wichtig zu wissen ist allerdings, dass es hier nicht nur um den Schutz vor einer Infektion geht, sondern auch um den Schutz vor schweren Krankheitsverläufen.<BR /><BR /><b>Und zwar?</b><BR />Dr. Gänsbacher: Der Schutz vor schweren Krankheitsverläufen liegt 2 Wochen nach der Zweitinjektion im Bereich von 90 Prozent. Wenn die Antikörper und die Corona-spezifischen T-Zellen absinken, dann liegt dieser Schutz vor schweren Krankheitsverläufen nach 6 Monaten nur mehr im Bereich von 42 Prozent. Auch der nimmt also markant ab.<BR /><BR /><b>Also macht es absolut Sinn, jetzt die Booster-Impfung wahrzunehmen?</b><BR />Dr. Gänsbacher: Wer sich schützen will, der tut das. <BR /><BR /><embed id="dtext86-51597227_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Diese Drittimpfung ist für Sie also keine Überraschung, oder?</b><BR />Dr. Gänsbacher: Überhaupt nicht. Es gibt viele Beispiele wo erst 3 Impfungen den erwünschten Schutz bringen, denken wir nur an Tetanus, Diphtherie, Polio, Pertussis, Pneumokokken oder Hepatitis C. Was die Corona Viren betrifft, so wissen wir beispielsweise, dass es 4 Corona-Erkältungsviren gibt, die seit 50 Jahren zirkulieren und die lösen etwa 30 Prozent der Erkältungen jedes Jahr aus. Wenn Corona Viren eine starke langanhaltende Immunantwort auslösen würden, könnten diese Erkältungsviren nicht jedes Jahr erneut Menschen infizieren.<BR /><BR /><b>Warum haben wir es derzeit mit so stark ansteigenden Infektionszahlen zu tun?</b><BR />Dr. Gänsbacher: Ich sehe hier 3 Faktoren. Erstens ist die Delta-Variante ein Weltmeister im Infizieren, diese Variante kann man nicht mit dem ursprünglichen Wuhan-Virus vergleichen. Zweitens lässt wie gesagt der Impfschutz der vor 6 Monaten geimpften und daher vor allem älteren Personen deutlich nach. Und drittens haben die Leute ihre Verhaltensmuster geändert – damit meine ich die zunehmenden Kontakte und laxe Handhabe der AHA-Regeln. Nach der Impfung haben sich viele Menschen sicher gefühlt. Jetzt weiß man, dass man trotz Impfung vorsichtig sein muss.<BR /><BR /><b>Noch mehr Varianten?</b><BR /><BR /><b><BR /> Gibt es bereits Beispiele, dass die Strategie mit den Booster-Impfungen funktioniert?</b><BR />Dr. Gänsbacher: Israel. Dort wurden in der letzten Juliwoche zwischen 7000 bis 10.000 Infektionen pro Tag gezählt. Am 31. Juli wurde mit den Booster Injektionen begonnen, innerhalb zwei Monaten wurden alle Altersklassen drittgeimpft. Seit einem Monat beobachten wir dort Infektionszahlen zwischen 300 bis 500 Personen täglich. Das zeigt, es funktioniert. <BR /><BR /><b>Alles was darüber hinaus geht, wird sich nach derzeitigem Kenntnisstand der Fachleute kaum abschätzen lassen, oder?</b><BR />Dr. Gänsbacher: Richtig, auch ich werde mich hier sicherlich nicht als Wahrsager hinstellen, weil ich weiß, dass weiterhin mehrere variable Kräfte einwirken. Es schaut aber zurzeit in Europa nicht gut aus. In Österreich und in Deutschland gibt es Rekordzahlen von Neuinfektionen. In der letzten Woche haben die Infektionszahlen und die Todeszahlen in Europa um 10% zugenommen. Und was eine große Sorge ist, je mehr Menschen das Virus infiziert, umso mehr Varianten werden entstehen.<BR />