VEine allgemeine Impfpflicht lehnt er ab, aber wer in bestimmten Berufen den Impfschutz verweigere, solle sie auch nicht ausüben dürfen: Das sagt der Moraltheologe P. Martin Lintner (Innsbruck/Brixen). Und er räumt mit einer Fake News im Zusammenhang mit dem Impfstoff Johnson&Johnson auf.<BR /><BR /><BR /><i>Interview: Martin Lercher</i><BR /><BR /><BR /><BR /><b>Die EU plant einen Impfpass, es gibt aber auch erheblichen Widerstand gegen das Vorhaben. Was sagen Sie aus der Sicht der Moraltheologie dazu?</b><BR />P. Lintner: Dazu sage ich Ja. Impfpässe hat es bereits bisher gegeben und wenn man zum Beispiel Reisen in bestimmte Regionen machen wollte, musste man gewisse Impfungen nachweislich machen lassen. Dass also auch die Covid-19-Impfung in einem Impfpass dokumentiert wird, halte ich für richtig. Ebenso halte ich es für gerechtfertigt, dass geimpfte Personen schrittweise wieder ihre Freiheitsrechte in Anspruch nehmen können, die derzeit zum Zweck der Pandemie-Eingrenzung beschnitten werden. Wenn nämlich jemand dank der Impfung ein geringeres Risiko für das Gesundheitsweisen darstellt, weil ein möglicher Krankheitsverlauf bei Ansteckung nachweislich milder verläuft, oder weil er anderen gegenüber weniger bis nicht mehr ansteckend ist, dann können die Schutzmaßnahmen gelockert werden. <BR /><BR /><b>Also ein Ja ohne Wenn und Aber.</b><BR />P. Lintner: Zu beachten ist aus meiner Sicht bestimmt das Gerechtigkeits- bzw. Solidaritätsprinzip. Das heißt, dass alle Menschen, die sich impfen lassen möchten, auch die Möglichkeit der Impfung bekommen. Sonst laufen wir nämlich Gefahr einer Ungleichbehandlung der bereits Geimpften gegenüber jenen, die sich impfen lassen möchten, aber noch nicht dran gekommen sind. Das könnte dann wieder leicht Gerechtigkeits- bis hin zu Neiddebatten auslösen. Derzeit erleben wir ja, wie anfällig wir in dieser angespannten Situation für solche nervenaufreibenden, meist aber fruchtlosen Debatten sind.<BR /><BR /><embed id="dtext86-48260750_quote" /><BR /><BR /><b>Was halten Sie von einer Impfpflicht?</b><BR />P. Lintner: Das ist natürlich eine sehr heikle Frage, weil eine Pflicht wiederum einen schweren Eingriff in die Freiheitsrechte bedeuten würde und auch dem medizinethischen Prinzip der Patientenautonomie widersprechen würde. Daher bin ich skeptisch und würde eine Impfpflicht ablehnen. Umgekehrt könnte ich mir aber vorstellen, dass Menschen, die sich nicht impfen lassen, gewisse Tätigkeiten nicht mehr wahrnehmen können, wenn zum Beispiel das Fehlen einer Impfung für sie selbst, besonders aber für die Menschen, mit denen sie in Berührung kommen, ein erhöhtes Risiko bringen würde. Dann müsste man sagen: „Wir respektieren Ihr Recht, dass Sie sich nicht impfen lassen, aber Sie müssen dann auch die Konsequenz tragen, dass Sie zum eigenen Schutz und zum Schutz anderer bestimmte Aufgaben nicht mehr machen können.“ Die derzeitigen Kampagnen gegen Impfungen sind aus meiner Sicht unverantwortlich, weil sie nicht auf Fakten basieren oder aber Fakten falsch interpretieren oder zum Teil offensichtliche Falschinformationen verbreiten. Das schafft Verwirrung und Verunsicherung – und das hilft uns in der derzeitigen Situation am wenigsten.<BR /><BR /><b>Für Debatten sorgt auch der Impfstoff von Johnson&Johnson, der voraussichtlich ab April auch in Südtirol zum Einsatz kommt. In den USA haben Bischöfe aufgerufen, ihn möglichst zu vermeiden, weil er mit Zellen aus Abtreibungen hergestellt werde. Was sagen Sie zum Boykottaufruf? </b><BR />P. Martin Lintner: Ich halte ihn für falsch und für irreführend. Er geht nämlich von falschen Voraussetzungen aus. Diese Bischöfe argumentieren ja damit, dass für die Herstellung des Covid-19-Impfstoffes von AstraZeneca und Johnson & Johnson die Zelllinien von abgetriebenen Föten verwendet werden. Aber hier muss man genau differenzieren. Es werden für diesen Impfstoff – wie bereits in der Vergangenheit für andere Impfstoffe – Zelllinien verwendet, die vor über 40 Jahren aus drei abgetriebenen Föten gewonnen worden sind. Diese Zellen wurden dann in Zelllinien gezüchtet. Zelllinien sind Zellkulturen, in denen sich Zellen außerhalb des Organismus unbegrenzt vermehren lassen und die dann verwendet werden für die Herstellung von Impfstoffen und die in manchen Impfstoffen enthalten sind. <BR /><BR /><embed id="dtext86-48260754_quote" /><BR /><BR /><b>Mit Abtreibungen hat das also nur entfernt etwas zu tun...</b><BR />P. Lintner: Es handelt sich bei den Covid-19-Impfstoffen um die drei Zelllinien, die aus fetalem Gewebe nach 3 Abtreibungen 1961, 1966 und 1973 gewonnen worden sind. Das ist relativ gut dokumentiert und wird von den Pharmakonzernen auch offen kommuniziert. Der Boykottaufruf suggeriert aber, dass eigens Föten abgetrieben würden oder dass diese Zelllinien von Föten gewonnen werden, die heute abgetrieben worden sind. Das ist aber nicht der Fall. Hier kann sich jede und jeder auf seriösen Internetseiten informieren, wo es dazu sehr detaillierte Informationen gibt.<BR /><BR /><b>Hat sich der Vatikan zu dieser Frage geäußert?</b><BR />P. Lintner: Ja. Es ist nämlich nicht zum ersten Mal, dass diese Diskussionen geführt werden. Zelllinien, die aus den 3 Föten stammen, wurden bereits bei anderen Impfstoffen verwendet, zum Beispiel gegen Masern, Röteln, Mumps oder Hepatitis A. Der Vatikan hat deshalb bereits vor Jahren zu dieser Problematik Stellung bezogen und betont, dass aus ethischer Sicht diese Impfungen akzeptabel sind. 2005 hat die Päpstliche Akademie für das Leben ein Dokument mit dem Titel „Moralische Überlegungen zu Impfstoffen, für deren Produktion Zellen von abgetriebenen Föten verwendet werden“ veröffentlicht. Darin wird betont, dass es einen ethisch relevanten Unterschied macht, ob auf Zelllinien zurückgegriffen wird, die bereits existieren, oder ob auch hier und jetzt unethische Mittel verwendet werden. Letzteres ist im Fall der Covid-19-Impfstoffe aber nicht der Fall. In diesem Sinn hat die Glaubenskongregation kurz vor Weihnachten, am 21. Dezember 2020, eine Erklärung veröffentlicht und darin betont, dass Covid-19-Impfstoffe auch aus katholischer Sicht moralisch akzeptabel sind. Niemand, der sich heute impfen lässt, macht sich mitschuldig an den 3 genannten Abreibungen aus den 1960-70er Jahren.<BR /><BR /><b>Ist der Aufruf der Bischöfe für Katholiken zumindest eine Gewissensprüfung wert?</b><BR />P. Lintner: In der modernen Medizin werden viele wissenschaftliche und medizinische Erkenntnisse verwendet, deren Gewinnung mit schweren Menschenrechtsverletzungen in Zusammenhang stehen. Denken wir nur an die medizinischen Forschungen und Experimente während der NS-Zeit an kranken oder behinderten Menschen. Das bedeutet für uns heute natürlich, dass wir alles daran setzen müssen, um Menschenrechtsverletzungen im Bereich der medizinischen Forschung zu verhindern, dass zum Beispiel Medikamente an Patienten in Ländern mit niedrigen Menschenrechtsstandards ausprobiert werden. Oder wenn in der medizinischen Forschung fetales Gewebe aus aktuellen Abtreibungen verwende wird. Auch gilt der Grundsatz, dass heute nach Möglichkeit alternative Forschungsmethoden durchgeführt werden, die nicht auf Stoffe zurückgreifen müssen, die mit ethisch bedenklichen Methoden gewonnen worden sind. Das gilt zum Beispiel auch im Bereich der medizinischen Tierversuche, wo viel passiert, was aus ethischer Sicht verwerflich ist, weil sie nicht notwendig sind zum Gewinn von neuen Erkenntnissen oder weil es bereits alternative Methoden gibt, die viele Tierversuche schlichtweg überflüssig machen. Und dennoch werden sie durchgeführt. <BR /><BR /><BR /><BR />