Der arme Poet von Meran ist ein Maler. Er wohnt ebenfalls in einer Dachstube, drei Stiegen hoch, zuletzt eine fast senkrechte Hühnerleiter, in einem alten Haus in den Berglauben.<BR /><BR />Die Mieter vor ihm, sagte Harry Reich, „Leute, die im Gastbetrieb arbeiten und daher keine Zeit haben, das Feuer im Holzofen am Brennen zu halten“, seien hier im Winter erfroren und im Sommer vor Hitze verschmachtet. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="803654_image" /></div> <BR />Er verbringe fast den ganzen Tag in seiner Bohemebude, heizen sei kein Problem. Im Sommer schalte er den Deckenventilator ein. Außerdem, kein Klischee, habe der Vermieter die Fenster ausgetauscht. „Vorher hat es hereingeregnet“, sagte Harry. „Aber jetzt bin ich hier total happy.“<BR /><BR />Getroffen habe ich Reich zuvor im Garten des Forsterbräu. Er ist dort Stammkunde und klopfte dem Kellner, der vergessen hat, ihm sein Bier zu bringen, ordentlich auf die Schulter. „Da gibt es auch ein paar Bilder von mir“, erklärte Harry Reich, und lotste mich in eine leere Gaststube – zum Abendessen war es noch zu früh -, wo an der Wand einige seiner halbabstrakten grellfarbenen Ölgemälde hingen. <BR /><BR />Auf einem war neben zahllosen kleinen Punkten ein Baum mit gelbgrünen Blättern zu erkennen. „Ist das ein Wald?“, fragte ich. Harry bejahte, nach kurzem Zögern – ist lange her, dass er das Werk gemacht hat. Ein gewisses Quantum Bier und Zigaretten brauche er, erklärte Harry, an seinem kleinen Dunklen nippend, während ich ein Mineralwasser trank. Bier und Zigaretten reißen ein ziemliches Loch in sein Budget, Harry wird nächstes Jahr 70 und bekommt nur die Mindestrente. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="803657_image" /></div> <BR />Es war einer dieser brüllend heißen Sommertage, uns beiden standen die Schweißperlen auf der Stirn. In kurzen Hosen, einem schwarzen Hemd, den Strohhut am Nebenstuhl abgelegt, erzählte Harry Reich, dass er, um der Hitze zu entfliehen, am Vortag mit seiner Schwester ins Ultental gefahren sei. Erst vor ein paar Jahren erfuhr er, „es gab immer nur Gerüchte“, neben dieser Schwester noch eine Halbschwester zu haben. „Wir trafen uns, eine total liebe Person. Manchmal ist es gut, dass man nur die Oberfläche, also die schönen Seiten eines Menschen kennt“, erklärte Harry. <BR /><BR />Denn eigentlich sei er kein Familienmensch. Einerseits. Andererseits: Harry Reich hat einen Sohn, der ist 38 und macht Musik. „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“, sagte Harry, der auch von Musik etwas versteht, er spielt Gitarre, hat eine riesige CD-Sammlung und war 12 Jahre lang Discjockey im Römerkeller. Er hänge total an seinem Sohn, sagte Harry. Aber wie alle Künstler sei er nun mal „ein eingefleischter Individualist.“ Wenn an erster Stelle immer die Kunst komme, „sind Partnerschaften nur auf Zeit angelegt.“ <h3> „Weil dieses Feuer brennt“</h3>Momentan ist Harry solo. „So nach 8, 10 Jahren“, das ist seine Erfahrung, gingen Partnerschaften in die Brüche. „Wenn kein feeling da ist, hat es keinen Sinn.“ Verheiratet war Harry nie. Verheiratet ist er mit der Kunst. Die war immer schon da. Schon als Kind, in der Volksschule, erzählte Harry, habe er gemalt und gemerkt: „Das will ich machen!“ Es sei in einem drinnen, dieses Bedürfnis, dieser Drang. „Man malt, weil dieses Feuer brennt.“<BR /><BR />Der Weg zum Künstlertum war Harry Reich nicht an der Wiege gesungen worden. „Ich habe mich immer arrangieren müssen“, sagte er. Gemeint ist: Geld war immer knapp. Der Vater, ein Metzger, musste seinen Laden aufgeben, die Konkurrenz war zu mächtig. Schon als 12-13Jähriger habe er auf einem Marktstand geholfen, Gemüse und Obst zu verkaufen. „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott“, sagte Harry Reich und erzählte ein Beispiel: Wenn am 6. Jänner, dem Dreikönigtag, Sternsinger im Auftrag der Kirche die frohe Botschaft verkünden und Spenden für die Mission einsammeln, sammelte auch Harry mit zwei Kumpels – als nicht ganz so heilige Könige, allerdings in eigener Mission. „Wir teilten dann alles gerecht untereinander auf.“ <h3> Die tollen Jahre in Rom</h3>Vielen großen Künstlern, sagte Harry, „ging es wie mir.“ Die Kunst reichte nämlich nicht zum Leben. Harry hat, „das ist nur ein kleiner Ausschnitt“, lange als Lithograf gearbeitet, zwei Jahre am Sessellift, der von Meran über den Küchelberg nach Dorf Tirol hinauffährt. An einer Abendschule in Bozen schaffte es Harry Reich fast bis zur Matura. Er habe dort Nützliches gelernt, zum Beispiel Aktzeichnen. „Aber die Infinitesimalrechnung und Dante zu büffeln, wenn man vorher den ganzen Tag beim Gommista Lkw-Reifen montiert hat – da musste ich das Handtuch werfen!“<BR /><BR />Dann kamen die tollen Jahre, in Rom lebte Harry in einer internationalen Künstlerkolonie. Der Norweger Björn Traaholt, „viel älter als wir anderen, war unser Chef. Wir verkauften unsere Bilder auf der Piazza Navona.“ Eine Zeitlang verbrachte Harry auch in Worpswede in Niedersachsen, wo, schon Ende des 19. Jahrhunderts Künstler des Jugendstils, des Impressionismus und Expressionismus eine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft gebildet hatten. „Zu unserer Zeit war jedoch nicht mehr viel übrig von der vergangenen Größe.“ <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="803660_image" /></div> <BR />Was die eigene Größe, den Ruhm betrifft, sagte Harry: „Bei mir gab es keine materielle Absicherung – im Gegensatz zu sehr erfolgreichen Kollegen wie etwa Rudi Stingel, der aus einer reichen Familie stammt.“ Für Reich bedeutete die freie Künstlerexistenz ein Risiko. Dass es Monate gibt, wo es am Ende kaum reicht, ist der Preis, den er für seine Wahl bezahlt. Aber was solle er machen – auf Bier und Zigaretten verzichten? Er sei nun mal kein Asket. Manchmal sei es mühsam, sagte Harry.<BR /><BR /> „Werbemäßig ist es nicht gut, dass ich Bilder unter Wert verkaufe. Dabei glaube ich, nicht viel schlechter zu sein als mancher Arrivierte.“ Was Harry wurmt: Es gibt Leute, die darauf spekulieren, dass er seine Bilder unter Wert hergibt. „Die passen darauf wie die Geier.“ <BR /><BR />Geschäfte machen, nützliche Verbindungen pflegen – das liegt Harry Reich wohl nicht besonders. Er ist kein Händler. Er bezeichnet sich als „einsamer Wolf.“ Aber da gibt es wieder die andere Seite: Harry der Netzwerker, der Kommunikator, der bunte Hund, den jeder kennt. Harry Reich ist der Initiator des Meraner Flohmarkts. Er gründete die Kulturzeitschrift Vissidarte. 13 oder 14 Festivals hat Harry Reich organisiert. „Ich habe viele Sachen gemacht“, sagte er. „Beim Festival „Die Nacht“ kamen 10.000 Leute, das hat eingeschlagen.“ Wo ich eigentlich die ganze Zeit gewesen sei? <BR /><BR /><embed id="dtext86-55725625_quote" /><BR /><BR />„Du weißt ja nix“, meinte er zwischendurch an mich gewandt, weil ich andere Festivals, etwa „Die Wahrheit ist mehr als nackt“, „Wallfahrt der Träume“ oder „Zeitwandel“ nicht kannte. Die tollen Festival-Jahre waren die 90er. „Da war viel Energie. Es herrschte Aufbruchstimmung, alle Schichten kamen zusammen, Jung und Alt“, sagte Reich. Meran habe sich leider gewandelt, sei zu touristisch geworden. „Wer ist heute in der Stadt unterwegs?“, fragte Harry. „Heute regiert der Kommerz!“<BR /><BR />Dass es für ihn andere Prioritäten gibt, zeigte sich in seiner Künstlerklause, in die mich Harry Reich noch auf einen Kaffee aus der Mokkakanne einlud. Von der Zweizimmerwohnung aus blickte man über die verschachtelten Laubendächer, nach hinten auf die Weinberge am Tappeinerweg. Nach Familienleben sah die Mansardenbude tatsächlich nicht aus. Auf der Anrichte vor dem Fenster stand eine geöffnete Müslipackung, daneben Brotreste. An einem Haken am gusseisernen Herd in der Mitte der Wohnküche hing ein Hemd zum Trocknen. Der runde Tisch, wo man zusammensitzen könnte, war mit Malutensilien übersät. Auf den Kommoden links und rechts überall Farbtuben, Malstifte und Pinsel. <BR /><BR />Wenn Harry Reich unter Leute will, geht er hinaus. Auf dem Retourweg vom Einkaufen, er ist ja nicht mehr der Jüngste, legt Reich vor der letzten Treppen-Etappe eine Verschnaufpause ein. Was in 10 Jahren sein wird, im Laubenhaus gibt es keinen Lift?, fragte ich ihn. „In 10 Jahren, da…“ antwortete er, beendete den angefangenen Satz aber nicht. Stattdessen öffnete er eine weitere Bierdose und streckte die Beine weit von sich. Ein paar Dosen waren noch im Eisschrank, eine CD mit Gitarrenmusik lief, warum sollte sich Harry Reich einen Kopf wegen der Zukunft machen? <BR /><BR />