Dass der Gletscher an der Marmolata ausgerechnet an einem Sonntag gebrochen ist und so viele Menschen in den Tod gerissen hat, sei ein echtes Unglück, sagt Marc Zebisch. „So etwas ist in dieser Form in den Alpen ungewöhnlich.“ Im August 2020 drohte der Planpincieux-Gletscher auf der italienischen Seite des Mont Blanc, ins Tal zu stürzen. 70 Menschen in einem darunterliegenden Dorf mussten evakuiert werden. „Unsere Gletscher sind aber viel kleiner, sie sind nur wenige Quadratkilometer groß. Sie schmelzen und verschwinden. Am ehesten denkbar wäre ein Bruch bei den Gletschern im Ortler-Cevedale-Gebiet.“<BR /><BR /><b>„Auf lange Sicht war’s das mit den Gletschern“</b><BR /><BR />Zusammenbrüche in hohen Lagen seien dem Klimawandel geschuldet, sagt Zebisch: „Auch in hohen Lagen haben wir derzeit hohe Temperaturen. Die Satellitenbilder zeigen, dass heuer zudem wenig Schnee auf den Gletschern liegt. Dieser würde das Eis in heißen Sommern vor der Sonne schützen. Doch ohne diese schützende Schicht schmelzen die Gletscher von oben – und nicht nur, wie normalerweise, von unten“, erklärt Zebisch. „Das Schmelzwasser läuft also von oben in Spalten und erodiert den Gletscher. Es durchlöchert ihn wie einen Schweizer Käse.“ Staue sich Schmelzwasser am Gletscher an besonderen Stellen, könne es zu Abbrüchen wie jenem vom Sonntag kommen, weiß er.<BR /><BR /><embed id="dtext86-55036901_quote" /><BR /><BR />Der Grund dafür, dass man sich in Südtirol auf Unglücke wie jenes an der Marmolata nicht einstellen muss, ist jedenfalls kein erfreulicher: „Wir haben keine steilen Gletscher wie jene am Mont Blanc. Unsere Gletscher schmelzen einfach. In den vergangenen 20 Jahren sind 20 Prozent der Gletscherfläche in Südtirol verloren gegangen.“ Eine Trendumkehr sei nicht in Sicht: „Auf lange Sicht war’s das mit den Gletschern: Stellen Sie sich einen Eiswürfel vor, der bei 25 Grad in der Küche liegt. Er ist zwar noch da, aber eigentlich ist er schon verloren. Selbst, wenn wir den Klimawandel jetzt stoppen könnten, würden unsere Gletscher dennoch verschwinden.“<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="785591_image" /></div> <BR /><BR /><BR /><b>„In hohen Lagen wird es weiterhin schneien“</b><BR /><BR />Der schneearme Winter habe den Gletschern heuer besonders zugesetzt. „Dass es in diesem Jahr wenig Niederschlag gab, hat nicht unbedingt mit dem Klimawandel zu tun“, sagt Zebisch. „Auf 3000 Meter Höhe wird es auch in 20 Jahren noch schneien. Das Problem sind die hohen Temperaturen im Sommer. Sie verhindern, dass der Schnee aus dem Winter zu Eis werden kann. Bergführer berichten, was auch Satellitenaufnahmen zeigen: Was die Schneebedeckung angeht, haben wir jetzt schon eine Situation wie sonst im August. Ein trockener Winter verschlimmert die Lage dann natürlich zusätzlich.“<BR /><BR /><b>Gefahr für Südtirol: Muren und Steinschlag</b><BR /><BR />Auch wenn von abbrechenden Gletschern in Südtirol keine Gefahr ausgeht, bringt der Klimawandel doch auch hier neue Gefahren mit sich: Schmelzen die Gletscher, taut der Permafrost, wird lockeres Material frei. „Geröll und Feinmaterial können in Bewegung geraten, wenn es stark regnet: Muren sind die Folge“, erklärt Zebisch. „Das Risiko im Hochgebirge über 2500 Metern nimmt zu. Am Ortler mussten deshalb bereits Wege verlegt und Routen gesperrt werden. Die Steinschlaggefahr wird durch das Auftauen des Permafrostes größer.“ Gute Beobachtung und ständige Neubewertungen der Lage im Gebirge seien nun erforderlich.