Im Interview spricht Primaria Dr. Micòl Cont über die Schwierigkeit, Kindswohlverletzungen zu erkennen, meist bestätigte Verdachtsfälle und unbedingte Zivilcourage.<BR /><BR /><b>Wie kommt’s, dass Sie sich derart für Kinderrechte einsetzt?</b><BR />Dr. Micòl Cont: Kinderrechte und Kinderschutz gehen uns alle an. Kinder sind das höchste Gut unserer Gesellschaft, aber auch das fragilste, das es zu schützen gilt. Geprägt hat mich meine 14-jährige Tätigkeit in der Schweiz. Dort gab es in jeder Kinderklinik eine Fachgruppe, an die man sich im Verdachtsfall wenden konnte. Da werden diese Fälle interdisziplinär besprochen, das Vorgehen im speziellen Fall entschieden. Die Erkennung von Misshandlung an Kindern und Jugendlichen und die Behandlung der Opfer ist eine komplexe Herausforderung, bei der medizinische, psychologische, soziale und juridische Aspekte zu berücksichtigen sind.<BR /><BR /><b>Wie oft haben Sie und Ihre Kollegen beruflich mit Misshandlungen von Kindern zu tun?</b><BR />Dr. Cont: Das Thema ist sehr facettenreich. Somit müsste man sich bei jedem Kind, das man behandelt, fragen, ob ein Fall vorliegen könnte. Um zu verstehen, wann eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, muss man wissen, was Kindeswohl bedeutet. Dieses besteht darin, dass alle Voraussetzungen für eine optimale Entwicklung in affektiver, intellektueller, körperlicher, psychischer, sozialer und rechtlicher Hinsicht erfüllt sind.<BR /><BR /><b>Wie oft hat sich im Lauf Ihrer Laufbahn ein Verdacht erhärtet?</b><BR />Dr. Cont: Leider in den allermeisten Fällen. <BR /><BR /><b>Wie geht es Ihnen als Mutter zweier Kinder, wenn Sie einen kleinen Patienten vor sich haben, der misshandelt wurde?</b><BR />Dr. Cont: Grundsätzlich ist es in solchen Fällen egal, ob man Mutter oder Vater ist oder keine Kinder hat. Zum Glück gelingt mir die Trennung zwischen Privatem und Beruflichem meist gut.<BR /><BR /><b>Im Spital oder beim Arzt landen ja „nur“ jene Kinder, die körperlich misshandelt werden...</b><BR />Dr. Cont: Ja, wir sehen nur die Spitze des Eisbergs. Deshalb muss man Feinfühligkeit entwickeln, die richtigen Fragen stellen, hellhörig sein. Die Beobachtungen des gesamten Teams, besonders der Pflegenden, sind wichtig, um die Interaktion zwischen Eltern und Kind zu beurteilen. Jene Kinder, die Opfer einer psychischen Misshandlung geworden sind, erfassen wir im Krankenhaus noch nicht ausreichend. Deshalb spielen auch Basispädiater, Schulsystem und außer-familiäre Betreuung eine sehr wichtige Rolle.<BR /><BR /><b>Gibt’s typische Anzeichen dafür, dass ein Kind misshandelt oder vernachlässigt wird?</b><BR />Dr. Cont: Eine körperliche Misshandlung ist durch Verletzungen natürlich besser sichtbar und wird somit früher erkannt. Mögliche Hinweise sind auch ein verzögertes Aufsuchen ärztlicher Hilfe oder Unstimmigkeiten in der Krankengeschichte. Auch das sogenannte „Doctor Hopping“, das Aufsuchen verschiedener Ärzte in verschiedenen Gemeinden, wirkt verdächtig. Deshalb ist es für uns essenziell, ein einheitliches Krankenhausinformationssystem zu haben, um ein vollständiges Bild zu erhalten.<BR /><BR /><b>Und was kann man bei Verdacht auf Misshandlung oder Vernachlässigung tun?</b><BR />Dr. Cont: Den Verdacht den Sozialdiensten oder dem Kinderarzt gegenüber melden. So kann bei Bedarf die Staatsanwaltschaft aktiviert werden, die weitere Untersuchungen veranlasst. Wie in vielen ländlichen Regionen kennt auch in Südtirol jeder jeden. Das ist beim Kinderschutz ein Riesenproblem, weil man sich nicht äußern will. Aber gerade da ist Zivilcourage gefragt. <BR /><BR /> <a href="https://www.stol.it/artikel/chronik/misshandlung-und-missbrauch-von-kindern-die-zahl-der-faelle-steigt" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">Hier erfahren Sie mehr zum Thema.</a>