„Leider ist es nicht so, dass die Betroffenen hier einige Wochen intensiv behandelt werden und danach ihr Leben wieder normal weiterführen können“, sagt die Intensivmedizinerin. <BR /><BR /><BR /><BR /><BR />Ruhig liegt er da, der neue Trakt des Bozner Krankenhauses, in dem auch die Intensivstation untergebracht ist. Auch die Ärzte und Pfleger, die auf der Covid-Intensivstation im 2. Stock arbeiten, machen einen gefassten Eindruck. Unter ihnen befindet sich die Oberärztin Dr. Julia Kompatscher, sie nimmt sich eine halbe Stunde Zeit für unseren Termin, führt zum abgesperrten Bereich, wo hinter einer Glaswand derzeit 10 Covid-Intensivpatienten behandelt werden. Sie alle müssen maschinell beatmet werden, bekommen jeden Tag mindestens 10 verschiedene Medikamente verabreicht. Seit Beginn der Pandemie landeten in Südtirol mehr als 600 Infizierte auf einer Intensivstation des Landes. <BR /><BR /><BR /><b>Wie erleben Sie hier auf der Covid-Intensivstation derzeit die 4. Welle?</b><BR />Dr. Julia Kompatscher: Es gibt einen klaren Unterschied zu den vorherigen Corona-Wellen: Man hätte diese schweren Verläufe mit der Impfung verhindern können. Genau diese Tatsache ist für uns sehr bitter.<BR /><BR /><b>Wie meinen Sie das?</b><BR />Dr. Kompatscher: Solange es die Impfung nicht gegeben hat, infizierte das Virus die Leute und jene die schwer erkrankten, sind auf der Intensivstation gelandet. Es herrschte ein Lockdown, die Menschen blieben zu Hause, Freizeitunfälle auf Skipisten, Autounfälle und ähnliches mehr blieben weitgehend aus. Jetzt hingegen kommt zur üblichen Belastung auf der Intensivstation noch jene durch die Covid-Infizierten, die eine Intensivbetreuung benötigen. Wir müssen gleichermaßen für alle da sein – also jenen Menschen helfen, die etwa dringende OPs brauchen und natürlich auch den Covid-Patienten. Letztere hätten jedoch durch die Impfung den schweren Verlauf verhindern können und hätten mit großer Wahrscheinlichkeit keinen Intensivaufenthalt benötigt.<BR /><BR /><embed id="dtext86-52055151_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Man merkt, dass Sie dieser Umstand bedrückt. Patient bleibt aber allemal Patient, oder?</b><BR />Dr. Kompatscher: Das ist unser Beruf, wir machen keine Unterschiede, sondern behandeln jeden professionell. Dasselbe gilt beispielsweise auch für Schwerverletzte, die betrunken einen Autounfall erleiden. Nur müsste das alles in diesem Ausmaß nicht sein, mit einer einfachen Impfung können sich die Leute schützen und müssten nicht bei uns landen. <BR /><BR /><b>Wie viele von den derzeit hier behandelten Covid-Intensivpatienten sind denn nicht geimpft?</b><BR />Dr. Kompatscher: Tatsächlich 9 von 10, wobei der eine geimpfte Patient eine andere Pathologie hat, zwar positiv ist, jedoch ohne Lungensymptomatik. Von diesen 10 Covid-Intensivpatienten müssten also 9 gar nicht hier sein. Sie werden aber Weihnachten wohl hier verbringen müssen, anstatt bei ihrer Familie zu sein. Diese traurige Realität macht uns sehr nachdenklich und betroffen. Auch weil wir sehen, dass viele bei uns dann zur Einsicht kommen.<BR /><BR /><b>Also erst dann, wenn es zu spät ist?</b><BR />Dr. Kompatscher: So ist es, leider. Bevor sie intubiert werden müssen, weil ihre Lunge so schwer von der Covid-Infektion betroffen ist und sie ohne Hilfe des Beatmungsgerätes keine ausreichende Sauerstoffanreicherung ihres Blutes erzielen, kommt oft der Sinneswandel: Hätte ich mich doch impfen lassen! Dem stimmen dann auch die Angehörigen zu, die zuvor von der Impfung abgeraten haben. Dann wird man oftmals Zeuge des Leids, das ganze Familien erschüttert. Fälle, in denen die eigenen Kinder ihren Eltern entschieden von der Impfung abgeraten haben, sie nun aber auf der Covid-Intensivstation wiederfinden. Dann werden sie von Schuldgefühlen geplagt, was nur allzu menschlich ist. Für uns ist es bitter, all dieses Leid mitansehen zu müssen, das verhindert werden hätte können. Unsere Message ist klar: Lasst euch impfen, das ist die einzige Lösung. Man sollte jenen Leuten Glauben schenken, die auf den Covidstationen arbeiten. Und nicht jenen Leuten, die auf Facebook oder sonstigen Kanälen vorgeben, etwas von Corona zu verstehen.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="716939_image" /></div> <BR /><BR /><BR /><b>Fast 2 Jahre arbeiten Sie nun im permanenten Ausnahmezustand. Wie geht man damit auf Dauer um?</b><BR />Dr. Kompatscher: Ein gewisses Pensum sind wir ja gewöhnt. Und wir wissen auch mit den Schicksalen, die sich hier zutragen, umzugehen und sie einzuordnen. Auf der anderen Seite hinterlässt dieser permanente Ausnahmezustand natürlich seine Spuren, nach fast 2 Jahren merke ich das auch körperlich. Seitdem haben wir weit über dem Level gearbeitet, das eigentlich zumutbar ist. Und es hört nicht auf, ein Ende ist nicht absehbar.<BR /><BR /><b>Man gewöhnt sich also nicht an den Dauerdruck?</b><BR />Dr. Kompatscher: Nein, vielmehr muss man damit umgehen lernen. Das gelingt nicht jedem, und das ist nur menschlich. Es gibt Kollegen, die aus diesem Grund gekündigt haben. Seit ein paar Wochen ist diese erhöhte Belastung wieder deutlich spürbar, die Frequenz der Einweisungen ist gestiegen und man muss schauen, auf die jeweilige Situation angemessen zu reagieren. Je mehr Patienten wir hier haben, desto höher ist das Stresslevel. <BR /><BR /><b>Wie bekommen Sie persönlich am besten den Kopf frei?</b><BR />Dr. Kompatscher: Mit Sport. Im Winter beim Skitourengehen, im Sommer beim Berggehen und Radfahren. Dieser Ausgleich ist für mich sehr wichtig und gibt neue Kraft. Prinzipiell arbeiten wir Mediziner gerne und viel, verrichten auch viele Nachtschichten. Man wählt diesen Beruf aus Überzeugung und mit dem Ziel, den Menschen zu helfen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="716942_image" /></div> <BR /><BR /><b>Und irgendwie hat es Sie hier auf die Covid-Intensivstation verschlagen …</b><BR />Dr. Kompatscher: Das war der Situation geschuldet, als im März 2020 die Grenzen geschlossen waren und ich 3 Wochen in meinem Garten zubringen musste. Ich habe natürlich mitbekommen, dass meine Kollegen diesseits und jenseits der Grenze wie die Wahnsinnigen arbeiten. Ein Kollege von mir und ich haben ein Gesuch um Freistellung an unsere Klinik in Innsbruck gerichtet, das zunächst für einen Monat gebilligt worden ist. Letztlich bin ich hier geblieben, arbeite zur Hälfte auf der Landesintensivstation in Bozen und zur anderen Hälfte in Innsbruck.<BR /><BR /><b>Die Situation in Innsbruck und dem Bundesland Tirol ist noch schlimmer, dort sind landesweit rund 70 Patienten in intensivmedizinischer Behandlung …</b><BR />Dr. Kompatscher: Ja, momentan sind wir hier etwas besser dran als in Tirol oder Deutschland wo die Grenze der Intensivkapazitäten schon fast erreicht ist. Auch wenn die Zahlen hier momentan konstant sind, glaube ich, dass sich die Lage noch verschlimmern wird. Weit mehr als 60.000 Ungeimpfte sind einfach viel zu viele bei einem derart virulenten Erreger, den man sich fast im Vorbeigehen einfangen kann. Viele Leute verstehen nicht, dass rund 70 Prozent Geimpfte zu wenige sind.<BR /><BR /><b>Viele sehen es erst ein, sobald es sie selbst trifft ...</b><BR />Dr. Kompatscher: Richtig, dann ändert sich die Wahrnehmung komplett. Leider ist es nicht so, dass die Betroffenen hier einige Wochen intensiv behandelt werden und danach ihr Leben wieder normal weiterführen können. Oftmals ist danach nichts mehr wie vorher, viele benötigen eine lange Rehabilitation bis sie wieder fähig sind, die alltäglichen Dinge des Lebens durchzuführen. Viele realisieren dann was passiert ist, leider jedoch zu spät.<BR /><BR /><embed id="dtext86-52055155_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Die Impfgegner sind zwar eine kleine Minderheit, die sich aber Gehör verschafft. Wo orten Sie hier die Ursachen, dass ein nicht unwesentlicher Teil der Bevölkerung den Ärzten, Medien und der Politik kein Vertrauen mehr entgegenbringt?</b><BR />Dr. Kompatscher: Zur Veranschaulichung möchte ich nur ein kleines Beispiel nennen: Eine meiner Bekannten hat mich vor mehreren Jahren gefragt, welche Impfungen es braucht, um eine Reise nach Afrika antreten zu können. Ich habe ihr die Impfungen mitsamt möglichen Nebenwirkungen erklärt, sie hat sich alles ohne Nachfragen impfen lassen, war alles kein Thema – Hauptsache Afrika. Jetzt bei Covid hingegen kam die Frage: Hm, sollen wir uns wirklich impfen lassen? Dabei ist die Covid-Impfung im Vergleich zu manchen Reise-Impfungen eine sehr nebenwirkungsarme. Ein Großteil Europas ist geimpft, die Nebenwirkungen sind verschwindend gering. Bisher habe ich noch keinen Impfschaden gesehen. Und ich kenne auch keinen Kollegen, dem einer bekannt wäre.<BR /><BR /><b>Woher dann diese hartnäckige Skepsis?</b><BR />Dr. Kompatscher: Durch diverse soziale Medien werden unterschiedlichste Meinungen verbreitet, ohne nachweisbare reale Referenzen, wodurch viele bestimmt verunsichert werden. Auch Geschichten, welche oft leider unreell sind, verbreiten sich rasend schnell. Leider entspricht vieles nicht der Wahrheit. Viele Leute, die nicht geimpft sind, müssten sich wahrscheinlich von den Tatsachen selbst ein Bild machen, dann würden sie ihre Meinung vermutlich schnell ändern und sich impfen lassen.<BR />