In einem spannenden Interview erzählt er warum er manchmal ein Lügner sein muss, von einem Ausflug in den OP-Saal, einem blonden Schulmädchen namens Julia Unterberger, was er von seinem Ex-Kollegen Cuno Tarfusser hält, warum Italien Rechts gewählt hat und warum die Meraner ein Gefühl der Unsicherheit auf den Straßen spüren.<BR /><BR /><b>Herr Rispoli, Ihr Vater zog mit Ihrer Mutter und Ihrem Bruder Andrea (Armeekorps-General der Carabinieri, Anm. d. Red.) 1963 von Mailand nach Meran. Warum?</b><BR />Guido Rispoli: Mein Vater, ein Orthopäde, war Arzt des Unfallversicherungsinstituts INAIL und wurde vor die Wahl gestellt: Bari oder Meran. Er „optierte“ für Meran, weil er fasziniert war von Südtirol und der deutschen Welt. Er operierte im Böhler-Spital.<BR /><BR /><b>Ein Umzug in Zeiten von Südtirols „Anni di piombo“...</b><BR />Rispoli: Mein Vater war Neapolitaner, aber vom Äußeren ein Normanne, blond, blaue Augen. Von einer „Qui siamo in Italia“-Haltung meilenweit entfernt. „Wir müssen es uns verdienen, hier zu leben. Wenn ihr hier bleiben wollt, müsst ihr Deutsch lernen“ sagte er zu uns. Uns Buben hat das sehr geprägt. Wenn Italiener von auswärts sagen, die Südtiroler wollen nicht Italienisch reden, dann ist das eine Dummheit. Da muss man den Südtirolern schon mit einer „Qui siamo in Italia“-Haltung kommen, damit sie nicht Italienisch reden. Sonst ist genau das Gegenteil der Fall: Wer versucht, Deutsch zu reden, wird von den Südtirolern deutscher Muttersprache geschätzt. Wenn Südtiroler merken, dass sich Italiener schwertun, Deutsch zu reden, reden sie sofort Italienisch mit uns. Ich rede aus Erfahrung.<BR /><BR /><b>Und zwar?</b><BR />Rispoli: Ich habe jahrelang für den Tennisverein Quellenhof von Heini Dorfer gespielt, da war der Quellenhof noch ein Gasthaus und ein Tennisplatz. Ich war der beste Spieler des Passeiertals (lacht). Wir haben Turniere gespielt bis St. Leonhard, haben auf dem Platz verbissen gegeneinander gekämpft, aber ich wurde immer respektiert und das in einem sehr deutsch geprägten Passeier.<BR /><BR /><b>Haben Sie dann die deutsche Schule besucht?</b><BR />Rispoli: Nein, ich wurde mit 3, 4 Jahren in den deutschen Kindergarten geschickt. Habe nichts verstanden, außer dass es da eine Welt gibt, in der Deutsch gesprochen wird. Ich fand den Anschluss nicht, hatte das Gefühl nicht zu entsprechen und wurde nach ein paar Monaten wieder herausgenommen. Daraufhin haben mein Bruder und ich den italienischen Kindergarten, Volks-, Mittel- und Oberschule besucht. Wir hatten daheim aber immer ein Südtiroler Hausmädchen, das mit uns Dialekt sprach. Hochdeutsch ist wichtig, aber um mit anderen Kindern und Freunden zu reden, muss man ein wenig Dialekt reden.<BR /><BR /><b>Sie besuchten das Klassische Lyzeum, das in der heutigen Stadtbibliothek untergebracht war. Ein Stock deutsches Klassisches und ein Stock italienisches. Hatten Sie deutschsprachige Freunde?</b><BR />Rispoli: Nein, auch wenn mir ein blondes Mädchen namens Julia Unterberger – wir sind beide 1961-er – schon aufgefallen ist.<BR /><BR /><b>1980 maturierten Sie mit der Höchstzahl 60. Arzt werden wollten Sie nicht?</b><BR />Rispoli (lacht): Mein Vater hat Andrea und mich mit in den OP-Saal genommen, um uns zu testen (lacht). Aber das war nichts. Ich habe 2 linke Hände und schlechte Augen und mein Bruder interessierte sich schon als Kind leidenschaftlich für alles Militärische.<BR /><BR /><b>War Jus Ihre Wahl?</b><BR />Rispoli: Anfangs tendierte ich zu Ingenieurwesen, dann entschied ich mich für Jus, weil es viele Wege eröffnete: Rechtsanwalt, Notar, Richter, Staatsanwalt, öffentliche Verwaltung. <BR /><BR /><b>Warum entschieden Sie sich für Innsbruck?</b><BR />Rispoli: Das wollte nicht ich, das wollte partout mein Vater. Ich wollte nach Padua, weil da Laura (Rispolis spätere Frau, Anm. d. Red.) studierte. Aber das Diktat meines Vaters lautete: Innsbruck oder Rom, weil wir dort ein Haus besitzen. Das sorgte für enorme Spannung im Haus und ging soweit, dass ich aus Protest 2 Nächte auswärts geschlafen habe, ohne meinen Eltern etwas zu sagen. Als ich zurückkam, meinte mein Vater: Du kannst auch noch 5 Nächte wegbleiben, Innsbruck oder Rom. So hab ich mich für Innsbruck entschieden, in der Hoffnung, Laura wenigstens am Wochenende zu sehen.<BR /><BR /><b>Wie war Innsbruck?</b><BR />Rispoli: Für die Inskription musste ich mich als Italiener im Unterschied zu den deutschsprachigen Südtirolern in der Ausländerschlange anstellen. Ich verstand den Südtiroler Dialekt recht gut, aber die Hochsprache musste ich erst richtig lernen. Die Südtiroler Studenten unterstützen mich, wo sie konnten. Einer davon war Karl Elsler (späterer Gemeindesekretär von Terlan, Anm. d. Red.). Mit Karl Zeller konnte ich oft im Auto heimfahren, er fuhr wie ein Verrückter, aber Unfall hat er nie einen gebaut. Aber abgesehen von dieser praktisch-menschlichen Seite: Diese schwierige Zeit hat mich sehr geformt.<BR /><BR /><b>Inwiefern?</b><BR />Rispoli: Ich war der einzige Italiener. Nach dem ersten Jahr hatte ich die schwierigste Prüfung meines Lebens, es war die erste Staatsprüfung und alles auf Deutsch: Römisches Recht und Rechtsgeschichte, Österreichisches Privatrecht und Rechtsgeschichte, Kirchenrecht usw. Ich habe gelernt wie besessen, zum Schluss bekam ich einstimmig ein Genügend. Danach war das Studium ein Spaziergang, ein schönes Leben. Verfassungsrecht auf Italienisch und Regionalrecht auf Deutsch lehrte Roland Riz.<BR /><BR /><b>Und wie war Prof. Riz?</b><BR />Rispoli: Der Vater der Autonomie hat uns in seinen Bann gezogen. Er konnte gut reden, war ein Vorbild. Im Unterschied zu anderen Professoren verlor er sich nicht in Kleinigkeiten, um zu zeigen, wie gescheit er ist. Er lenkte unseren Blick aufs Wesentliche, ein hervorragender Professor.<BR /><BR /><b>Sie haben sich danach im Gerichtssaal wiedergetroffen. Sie als Ankläger, er als Verteidiger. Wie war es da?</b><BR />Rispoli: Ja, beispielsweise im Mordfall Carmen Wieser. Formell im Gerichtssaal, aber sonst sehr freundlich. Ich glaube, ich habe ihm gefallen.<BR /><BR /><b>Mit 26 Jahren Rechtsanwalt, mit 27 die Richterprüfung bestanden und Staatsanwalt. Warum nicht Anwalt werden?</b><BR />Rispoli: Als Anwalt könnte man reicher werden, aber ich wollte diese Laufbahn einschlagen.<BR /><BR /><b>Als Staatsanwalt arbeiteten Sie Seite an Seite mit Cuno Tarfusser. Fast wie Zwillinge...</b><BR />Rispoli: Wir waren ein sehr gutes Paar. Grob gesagt, war ich der Techniker, er der Praktiker. Ich habe mich in die Gesetzesnormen vertieft, hab die Sachlage studiert und lieferte fundiertes, juridisches Rüstzeug, hatte aber meine Mängel und war wohl zu wohlerzogen. Cuno hat mir einen Schubs gegeben. Er war bei Verhören und im Umgang mit der Gerichtspolizei meisterhaft. Er hat mich gelehrt, den Chef herauszukehren.<BR /><BR /><b>2009 als Tarfusser nach Den Haag ging, Sie Leitender Staatsanwalt wurden, ging das Tandem zu Bruch.</b><BR />Rispoli: Ja, aber das heißt nicht, dass ich deswegen alles was vorher war, schlechtreden müsste. Denn es war eine gute, erfolgreiche Zeit. Denn ob ein Staatsanwalt gut arbeitet, lässt sich an den Strafbescheiden ablesen, die nach Ermittlungen und Gerichtsverfahren ins Strafregister eingetragen werden.<BR /><b><BR />In Südtirol kennt fast jeder jeden. Hat Sie das in Ihrer Arbeit nie behindert?</b><BR />Rispoli: Die Familie Rispoli ist keine alteingesessene Familie und hatte keine besonderen Beziehungen. Das machte das Arbeiten für mich viel einfacher. Ich kannte niemanden, der Macht hatte, bin nicht Teil der Fränzi-Connection (lacht). Ich muss aber auch sagen, dass es für mich 2016 Zeit war zu gehen, einfach weil alles zu eng wurde.<BR /><BR /><b>In Merans High Society sind Sie nicht anzutreffen...</b><BR />Rispoli: Ich lebe in Meran ein ganz normales Leben. Meran war immer meine Stadt, mein Zuhause, mein Rückzugsort. Man kennt mich, der Umgang ist ungezwungen freundlich, mitunter herzlich. Ich glaube, die Meraner mögen mich, auch weil ich denke, kein eingebildeter Mensch zu sein. Allerdings bei den Verfahren „Stein an Stein“, SEL bzw. all jenen Verfahren, die die öffentliche Verwaltung betrafen, war ich ein wenig besorgt, dass mich die Leute jetzt schief anschauen. Aber davon war keine Spur.<BR /><BR /><b>Guido Rispoli als Privatmensch und als Staatsanwalt?</b><BR />Rispoli: Ich habe nicht viele Gesichter, aber als Staatsanwalt kann ich nicht immer rundheraus ehrlich sein. Ein Beispiel: Werde ich gefragt, ob jemand abgehört wird, muss ich lügen. Ich muss ein Lügner sein, um Ermittlungen nicht zu gefährden.<BR /><BR /><b>2016 das Intermezzo in Campobasso, 800 Kilometer von Meran entfernt, ein weiterer Sprung auf der Karriereleiter.</b><BR />Rispoli: Da hat’s geheißen: „Wer ist dieser Tedesco?“ Mein Vater hätte seine Freude gehabt (lacht). Der Menschenschlag dort ist den Südtirolern viel ähnlicher als den Süditalienern: Sie lieben ihr Land, ihre Felder, ihre Wiesen. <BR /><BR /><b>2019 wieder ein Karrieresprung als Generalstaatsanwalt von Brescia und Leiter der Staatsanwaltschaften von Brescia, Bergamo, Cremona und Mantua mit einem Gebiet von 3,5 Mio. Einwohnern. Wollen Sie noch weiter nach oben?</b><BR />Rispoli: Ich bin ein „Carrierista“, mir war es schon wichtig Karriere zu machen, aber jetzt ist genug. Ich habe mich auf Wirtschaftsdelikte spezialisiert, denn die Provinz Brescia zählt mit 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu den wirtschaftsstärksten Regionen Europas. Das zieht auch Kriminalität an. Aber Brescia ist und bleibt mein Arbeitsplatz, Meran meine Heimat.<BR /><BR /><b>Wie hat sich Meran seit Ihrer Jugendzeit verändert?</b><BR />Rispoli: Meran ist heute 10-mal schöner. Schöner und reicher. Als ich jung war, prägten Rekruten Meran, die wegen des Wehrdienstes gezwungenermaßen hier waren, die Stadt aber nicht liebten so wie deutsche und österreichische Gäste das Stadtbild und die Kultur. Jetzt ist Meran kosmopolitisch. Diese Vielfalt ist Reichtum. Die Spannungen zwischen Deutschen und Italienern sind gleich Null, Meran ist eine Stadt, die aufgeblüht ist, eine öffentliche Hand, die allen unter die Arme greift. Das sieht man auch an den Ansuchen um bedingungsloses Grundeinkommen, die hier gleich Null sind. Und noch etwas zeichnet Südtirol aus...<BR /><b><BR />Das wäre?</b><BR />Rispoli: Im Italienischen sagt man „dal male viene il bene“, aus Schlechtem entsteht Gutes. Als die Südtiroler nach der faschistischen Unterdrückung wieder Herr im eigenen Haus waren, haben sie einen Gemeinsinn entwickelt, den ich nirgendwo in Italien gesehen habe, aber auch nicht in Innsbruck. Es ist diese Liebe zum Öffentlichen, zu geputzten Straßen, aufgeräumten Plätzen, die keine Löcher haben sollen, zu Hecken, die akkurat geschnitten sind.<BR /><BR /><b>Hat das nicht schlicht und ergreifend damit zu tun, dass wir dank Autonomie einfach mehr Geld haben?</b><BR />Rispoli: Das gilt auch fürs Trentino, aber auch dort sehe ich nicht diesen Gemeinsinn.<BR /><BR /><b>Meran ist aber kein ruhiges Pflaster mehr. Zum Beispiel Raubüberfälle am helllichten Tag wie in Mailand oder Neapel. Die Menschen verlangen immer öfter nach strengeren Regeln. Können Sie das verstehen?</b><BR />Rispoli: Ja, das tue ich. Begonnen hat das Ganze mit dem EU-Verfahren wegen der oft untragbaren Zustände in Italiens Gefängnis. Das Bozner Gefängnis ist das beste Beispiel. Um dem Verfahren auszuweichen, gab es 2 Möglichkeiten: Neue Gefängnisse bauen, aber dazu fehlte das Geld, oder mittels neuen Normen die Leute zu bestrafen, ohne dass sie ins Gefängnis müssen. Hausarrest oder Bewährungsstrafen in sozialen Einrichtungen etwa. Aber das hat seinen Preis. Leute, die mich vor 3 Wochen bestohlen haben, sehe ich in dieser Woche wieder auf der Straße. Das sorgt unter den Menschen für ein Gefühl der Unsicherheit, aber auch die Sicherheitsbehörden frustriert das. Und genau unter diesem Blickwinkel sind auch die jüngsten Parlamentswahlen zu sehen.<BR /><BR /><b>Wie meinen Sie das?</b><BR />Rispoli: Der Sieg der Mitte-Rechts-Parteien ist entsprechend einzuordnen. Ich bin kein Extremist und will auch niemand verteidigen, aber ich glaube, die Menschen wollen Sicherheit, dass kontrolliert wird und man auch nachts bedenkenlos unterwegs sein kann. Und hierzulande hat diese Wahl sehr wenig mit einem Pro oder Kontra Autonomie zu tun. <BR /><BR /><b>Zurück zu Ihnen: Sie sind ein DOC-Meraner. Fühlen Sie sich auch als Südtiroler?</b><BR />Rispoli: Ja, als ein Südtiroler italienischer Muttersprache und ich bin stolz darauf. Und ich habe immer mehr den Eindruck, dass, wenn Italien unsere Autonomie angreifen möchte, sich 90 Prozent der Italiener in Südtirol dagegen wehren würden.<BR />