Der Fall Garlasco, die Ermittlungen um den Mord an der Wirtschaftsstudentin Chiara Poggi im August 2007, beschäftigt jetzt auch die Regierung in Rom. Der italienische Justizminister Carlo Nordio meinte, er halte es für unvernünftig, dass nach ein oder zwei Freisprüchen schließlich doch ein Schuldspruch gefällt wurde, ohne das gesamte Verfahren neu aufzurollen. <BR /><BR />Damit spielte er unmissverständlich auf den Fall Alberto Stasi an, dem Freund des Opfers, der zweimal freigesprochen, aber dann im Jahr 2015 wegen vorsätzlichen Mordes zu 16 Jahren Haft verurteilt wurde.<BR /><BR />Nordio betonte jedoch, dass es keine Konsequenzen für die ermittelnden Richter geben werde. Eine richterliche Verantwortung liege nur dann vor, „wenn ein Richter das Gesetz nicht kennt oder die Akten nicht versteht“. Deshalb gebe es in demokratischen Rechtsstaaten auch zwei oder drei Instanzen, da man davon ausgehe, dass ein Urteil auch falsch sein könne.<h3> Minister kritisiert Zustand des Justizsystems</h3>Abschließend kritisierte Nordio den Zustand des italienischen Justizsystems und erklärte, dass das negative Bild der Justiz in der öffentlichen Meinung weniger den Richtern als vielmehr den unvollkommenen Gesetzen geschuldet sei: „Die Richter müssen mit Gesetzen arbeiten, die es erlauben, Prozesse endlos hinauszuzögern – selbst wenn man den Mut haben sollte, sie zu beenden“, erklärte der Justizminister aus den Reihen der „Fratelli d´Italia“.<BR /><BR />„Die Äußerungen von Justizminister Nordio sind absolut nachvollziehbar“, sagte der Anwalt Massimo Lovati, der Andrea Sempio verteidigt. Sempio ist ein Freund von Chiaras Bruder Marco, der oft in der Wohnung der Familie Poggi verkehrte. Seit einigen Monaten wird auch gegen ihn ermittelt.<h3> Steckt kriminelle Organisation hinter dem Mord?</h3>Lovati fügte hinzu, dass er nach wie vor an die Unschuld von Alberto Stasi glaube. Seiner Meinung nach stecke eine kriminelle Organisation hinter dem Mord, die sexuelle und pädokriminelle Straftaten begangen habe. Der Anwalt behauptet seit Jahren, Chiara Poggi sei ermordet worden, weil sie etwas „Unsagbares“ entdeckt habe. <BR /><BR />In der Nähe von Garlasco gebe es einen Ort, an dem jeden Mittwoch Exorzismen stattfanden – später seien dort auch Fälle von Pädophilie bekannt geworden. Diese Ereignisse stünden zwar zeitlich fünf Jahre nach dem Mord an Chiara Poggi, doch solche Dinge seien schon vorher geschehen, „das wisse jeder“, erklärte der Anwalt. Auf die Frage, ob Chiara Poggi deshalb ermordet wurde, weil sie etwas entdeckt hatte, antwortet er im Interview mit der Tageszeitung „La Repubblica“: „Das ist meine Theorie“.<BR /><BR />Zum verurteilten Alberto Stasi meinte Lovati, dieser habe „viele Lügen“ über den Fund der Leiche erzählt. Wer so viel lügt, sei vermutlich manipuliert worden. Auf die Frage, ob Stasi verurteilt wurde, um den wahren Täter zu schützen, sagt er: „Er wurde bis zur zweiten Instanz freigesprochen und dann zu nur sechzehn Jahren verurteilt. Er hatte keine andere Wahl, als zu schweigen- sonst wäre er tot“. Laut dem Anwalt gebe es mehrere Auftraggeber, die den Mord an Chiara veranlasst hätten. Sein Mandant Sempio habe mit dem Mord jedoch nichts zu tun. Er sei „ein Außenseiter“.