„Müllmann zu sein, das war nicht gerade mein Jugendtraum“, sagt Günther Fuchsberger. Der 55-Jährige aus St. Jakob ist seit 6 Jahren bei den Bozner Umweltdiensten SEAB. Vorher war er Lkw-Fahrer.„Die Firma, bei der ich arbeitete, hat von heute auf morgen zugesperrt. Da war es Glück, dass gerade ein Wettbewerb der SEAB herauskam: Ich wurde angestellt.“ 4 Jahre war Fuchsberger Fahrer, seit 2 Jahren koordiniert er die Schichten seiner Kollegen. Es ist ein guter Job, sagt er. Was man dafür mitbringen muss? „Die Mittelschule, den Zweisprachigkeitsnachweis D. Als Fahrer die notwendigen Führerscheine.“ Er überlegt einen Augenblick, dann fügt er an: „Und einen robusten Magen.“Schichtbeginn im MorgengrauenEs ist kurz nach 5 Uhr. Noch schaut der Vollmond vom Himmel hinter Schloss Sigmundskron. Er leuchtet auf die geparkten Fahrzeuge mit dem orangen Schriftzug SEAB, die hinter dem Müllverbrennungsofen auf ihren Einsatz warten. Um den Hof reihen sich im Neonlicht der Scheinwerfer mehrere niedrige Gebäude. Vor einem sitzen auf Plastikstühlen Männer in orangefarbenen Overalls, trinken Kaffee aus kleinen Bechern, rauchen, lachen. Wie ihre Wagen warten sie auf ihren Einsatz. Den wilden Müll zu suchen, zu finden und zu beseitigen: Das ist ihr Job.„Wilder Müll“ sind alle Abfälle, die nicht in, sondern neben der Mülltonne landen. In Bozen ist das illegale Entsorgen von Abfall zu einem so großen Problem geworden, dass die Umweltdienste der Stadt einen eigenen Trupp einsetzen, der ausschließlich diesen einsammelt. Die Kompetenzen der Wilder-Müll-Männer sind genau verteilt: Die einen kümmern sich um den wilden Sperrmüll, die anderen um den wilden Restmüll.Wer was einsammelt, ist genau geregeltVormittags sind 10 Mitarbeiter mit wildem Müll beschäftigt. „Wir unterscheiden zwischen Tag- und Nachtschicht. In der Nachtschicht sammeln 6 Mannschaften normalen Müll, eine Mannschaft wilden. Bei Tag ist es umgekehrt: 3 Mannschaften sammeln normalen Müll, die restlichen 4 wilden“, erklärt Fuchsberger.„Wir sind ein gutes Team, alle arbeiten gut zusammen.“ Wenn es notwendig sei, werden Schichten getauscht, wer tagsüber bei den Kindern bleiben wolle oder einmal mehr Verdienst brauche und darum öfters in der Nachtschicht arbeiten wolle, dem werde das meist auch ermöglicht. „Wir schauen zusammen und dann geht alles besser von der Hand“, sagt Fuchsberger.Um 5.30 Uhr geht es los. Die Laster schwärmen in die ganze Stadt aus. Darin sitzen Müllmänner, bewaffnet mit Schaufeln und festen Handschuhen, und Straßenkehrer mit Reisigbesen. Fuchsberger folgt ihnen mit einem Kleintransporter. Normalerweise startet er erst um 6 Uhr, nach getaner Büroarbeit; heute – die Reporterin an Bord – macht er eine Ausnahme. Der Transporter wird für die nächsten Stunden zur Einsatzzentrale.Das Telefon läutet, über die Freisprechanlage meldet sich einer der Müllmänner: „Wir haben 2 Türen gesehen, die wären abzuholen.“ Der Mann gibt den Standort durch, Fuchsberger wählt die Nummer der beiden Männer im Laster vor seinem: Massimo Luison und Walter Plazzer kümmern sich heute um den wilden Sperrmüll in Bozen-Süd.Sie fahren ein Stück, biegen auf einen Parkplatz an den Gleisen ab. An den Müllglocken lehnen 2 Sperrplatten. Wie sich herausstellt, sind die vermeintlichen Türen eine ausgebaute Küchenarbeitsfläche. Luison und Plazzer steigen aus, streifen ihre Handschuhe über und schieben die Platten mit Schwung auf die Ladefläche. Die beiden sind ein eingespieltes Team, viel reden brauchen sie nicht. Weiter geht’s.„Die Leute lassen einfach alles liegen – wohl aus Bequemlichkeit. Wir müssen das Zeug zusammenklauben“, seufzt Fuchsberger. „Unsere Männer haben schon ein Gespür dafür entwickelt, wo etwas liegen könnte“, sagt er, während er den beiden vor ihm Fahrenden um die Kurve folgt.Die Müllmänner der SEAB arbeiten 6 Tage die Woche, sonn- und feiertags übernimmt eine Sozialgenossenschaft. „Der einzige Tag im Jahr, an dem die Müllabfuhr nicht kommt, ist der 25. Dezember. Am 26. sieht es in der Stadt dann aus, als wäre der Abfall ein ganzes Jahr lang nicht abgeholt worden“, sagt Fuchsberger.Die Öffentlichkeit kostet das allein in Bozen 1.200.000 Euro im Jahr. In Leifers sind es zwischen 120.000 und 130.000 Euro. „Die Kosten können wir nur ungefähr schätzen“, erklärt Selma Sutic vom SEAB-Pressebüro. „Ein wichtiger Teil dieser Abfälle wird von Mitarbeitern eingesammelt, die gerade dabei sind, andere Dienste zu verrichten – z. B. Restmüll sammeln oder Straßen kehren.“ Personal- und Benzinkosten sind in den Beträgen enthalten, „nicht aber die Kosten der Entsorgung oder Verbrennung.“ Die wären nämlich bei korrekter Entsorgung dieselben.Alte Möbel, Scherben, Reste vom SchnellimbissDie Sperrmüllsammler sind inzwischen eine Straße weitergefahren und wieder fündig geworden: An einem Maschendrahtzaun lehnt ein verblichenes rotes Sofa, darauf ein Stoßdämpfer. „Audi A3 2006“ hat jemand mit Filzstift draufgeschrieben.„Das werde ich nie verstehen“, ärgert sich Fuchsberger. „Der Wertstoffhof ist 100 Meter von hier entfernt. Wenn ich mir schon die Mühe mache und das Sofa mit meinem Auto in die Industriezone bringe, warum gebe ich es dann nicht im Wertstoffhof ab? Da würden mir die Mitarbeiter sogar das Abladen abnehmen.“Luison und Plazzer scheinen sich nicht zu ärgern. Wortlos klappen sie die Laderampe herunter, packen das Sofa, hieven es hinauf. Surrend fährt die Rampe nach oben. Die beiden Müllmänner schieben das Möbel auf die Ladefläche, auf der inzwischen auch die Scherben eines Spiegels, ein Besenstiel, mehrere Kleiderhaken und ein Einkaufswagen liegen. „Wir sortieren die Sachen schon vor: Holz hierhin, Metall dahin“, erklärt Fuchsberger.Die Sache mit den Einkaufswagen, sagt Fuchsberger, die sei ganz besonders ärgerlich. Immer öfter fänden SEAB-Mitarbeiter auf ihren Touren solche Wagen an Parkplätzen: „Die Leute gehen vom Supermarkt bis zum Auto und lassen den Einkaufswagen dann dort zurück. Die kosten richtig viel. Wenn sie gut sind und man erkennen kann, zu welchem Geschäft sie gehören, kriegen die Besitzer sie von uns wieder.“Die Leute, die ihren Müll wild ablagern, seien nicht besonders einsichtig, wenn sie darauf angesprochen werden. „Ein Mann, den ich auf frischer Tat ertappt habe, meinte zu mir, da sei doch gar nichts dabei, wenn er sein Zeug neben die Tonnen legt. Er hat mir seine Daten gegeben, ganz ohne Schuldbewusstsein.“Liegt mehr Müll in den Straßen, gerade weil die Leute wissen, dass die SEAB alles abholt? „Manchmal fragen wir uns schon: Ziehen wir den wilden Müll an?“, sagt Fuchsberger. Er zuckt mit den Achseln. „Manchmal hilft es, wenn eine Sammelstelle wegkommt. Dann bleibt manchmal auch der wilde Müll drumherum aus. An manchen Stellen laden die Leute aber auch noch ab, nachdem die Glocken schon 2 Jahre verschwunden sind. An anderen Stellen wird es erst besser, wenn Müllkübel aufgestellt werden.“Auf wilde Müllablagerung stehen VerwaltungsstrafenDie Stadt hat eigens 3 Umweltwachen engagiert. Sie sprechen Wiederholungstäter gezielt an und stellen Verwaltungsstrafen aus. Etwa 100 Euro sind fällig. „Oft hilft das. Zum Beispiel bei Geschäftsleuten, die Kleiderhaken oder Obstkisten einfach neben die Tonnen stellen. Nach der ersten Strafe hört das meistens auf“, weiß Fuchsberger.Wieder klingelt das Telefon. Über die Freisprechanlage meldet sich ein Kollege der Restmüllsammlung. Fuchsberger und er sprechen sich ab, schicken eine Truppe da hin, die andere dort. „Die Altstadt muss als erstes gemacht werden. Da darf um 7 Uhr nichts mehr liegen“, erklärt er.Männer mit einer Mission: Bozen aufräumenEs ist 6.30 Uhr. Fuchsberger lenkt seinen Wagen über die Drususallee Richtung Zentrum, durch die schmalen Straßen der Wohnanlagen: Alles schon sauber. „Hier waren die Kollegen schon“, sagt er. An einem normalen Mittwoch wie diesem liege auch nicht so viel wie montags. „Das ist der schlimmste Tag“, sagt Fuchsberger. „Neuerdings grassiert der wilde Müll auch samstags. Wir haben noch nicht verstanden, warum.“Andere Regelmäßigkeiten haben die Müllmänner aber schon durchschaut: „Wenn Matratzengeschäfte besondere Angebote haben, finden wir jede Menge alte Matratzen. Bei Sofas ist das ähnlich. Wenn jetzt die Sommerreifen aufgezogen werden, liegen bald an jeder Ecke die alten Winterreifen.“Ein Straßenkehrer-Auto fährt vorbei, der Fahrer hebt die Hand und grüßt. Man kennt sich, hat ein gemeinsames Ziel: Das wegzuschaffen, was andere achtlos liegen lassen – und dabei möglichst nicht stören. Um 7.15 Uhr sind die orangefarbenen Wagen von der Straße verschwunden. Der Berufsverkehr setzt ein.Um 8 sind die Männer zurück. Für sie bedeutet das: Pause, Zeit für einen Kaffee und eine Lagebesprechung. „Manchmal spendieren uns die Leute einen Macchiato, weil sie unsere Arbeit schätzen. Das freut einen schon.“Dann geht es weiter: Getan ist die Arbeit nie.D/kn