<BR />Im Interview erklärt sie auch, warum viele Demenzerkrankungen vermieden oder verzögert werden könnten. <BR /><BR /><b>Warum vergisst man oft viele Dinge, wie z.B. wo man den Autoschlüssel zuletzt hingelegt hat?</b><BR />Barbara Plagg: Weil wir die Fähigkeit unseres Gedächtnisses zum Mulitasken überschätzen. Das kann man ganz gut an sich selbst austesten: Wenn die Leser und Leserinnen probieren, den nächsten Satz zu lesen und gleichzeitig die Vokale zu zählen, merken sie schnell, dass selbst 2 simple Aufgaben unser Gehirn schnell überfordern und nur nacheinander erledigt werden können. Wenn wir jetzt am Handy hängen, mit der Arbeitskollegin diskutieren, uns nebenbei die Schuhe ausziehen und daran denken, dass wir noch Hafermilch einkaufen müssen, brauchen wir uns nachher nicht zu wundern, dass der Autoschlüssel neben dem Kühlschrank liegt. Unsere Umwelt ist komplex, unser Alltag stressig – da muss unser Gehirn ständig Informationen rausfiltern, um effizient zu bleiben. Unsere Aufmerksamkeit ist begrenzt und noch begrenzter ist sie, wenn wir abgelenkt, überlastet, übermüdet oder gestresst sind. Besonders der Hippocampus, ein Hirnareal, das für die Gedächtnisbildung wichtig ist, reagiert empfindlich auf Stress. Und zwar mit verminderter Leistungsfähigkeit.<BR /><BR /><embed id="dtext86-69227641_quote" /><BR /><BR /><b>Warum erinnern wir uns leichter daran, wo wir waren, als der Tsunami sich am 26. Dezember 2004 ereignete, als daran, was wir am 24. Dezember 2004 gemacht haben?</b><BR />Plagg: Dieses Phänomen, dass wohl fast alle noch genau wissen, wo sie am 11. September 2001 waren, was sie gerade gemacht haben und wer ihnen gesagt hat, dass Flugzeuge ins WTC geflogen sind, nennen wir “Blitzlichterinnerungen“. Außergewöhnliche historische Ereignisse, die eine starke emotionale Qualität auslösen, erinnern wir besser, weil durch die Aktivierung von Stresshormonen und bestimmten Hirnareale die neuronale Reaktion besonders intensiv ausfällt und stabile Erinnerungsspuren hinterlässt. Auch private Ereignisse, die emotional eingefärbt sind, speichern wir leichter ab und können sie besser abrufen.<BR /><BR /><b>Warum verändern sich Erinnerungen?</b><BR />Plagg: Den Erinnerungsprozess darf man sich weniger wie das Anwerfen eines Diaprojektors vorstellen, sondern mehr wie ein „Wiederzusammensetzen“ von Eindrücken: Erinnern ist kein statischer, sondern ein dynamischer Prozess. Erinnern bedeuet immer, dass unser Gedächtnis ein vergangenes Ereignis anhand von Eckpunkten rekonstruiert. Und während eines jeden Abrufs kaschiert unser Gedächtnis elegant Lücken, füllt Inkonsistenzen mit plausiblen Informationen, ergänzt alte Erinnerungen mit neuen Informationen und bewertet eine Erinnerung aus dem heutigen Kontext möglicherweise neu. Deswegen ist die unangenehme Geschichte, wie wir uns damals bei der Weihnachtsfeier vor allen blamiert haben, inzwischen eigentlich ganz witzig.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1147254_image" /></div> <BR /><b> Ernährung, Bewegung, Mediennutzung, Stress, Schlaf, Liebe – all das sind alles Faktoren, die unsere Gehirngesundheit beeinflussen. Aber ist es nicht unmöglich, alle gleichzeitig in ein optimales Gleichgewicht zu bringen?</b><BR />Plagg: Es braucht keine Perfektion, es reicht eine alltagstaugliche Balance. Es ist unrealistisch und auch unangenehm, eine private Gesundheitsdiktatur aufzubauen, an der man dann immer wieder scheitert und die einem frustriert. Es sollte darum gehen, praktikable Möglichkeiten für den Alltag zu finden, die nicht nur gut tun, sondern sich auch gut anfühlen. Deswegen findet man in meinem Buch am Ende eines jeden Kapitels alltagstaugliche und kostenlose bis kostengünstige Tipps, die man leicht umsetzen kann. Jeder und jede von uns hat unterschiedliche Lebensumstände und damit unterschiedliche Baustellen – die eine schläft schlecht, macht aber viel Sport, der andere nutzt Medien in einem gesunden Maß, ernährt sich aber schlecht. Es hilft, sich auf einen oder 2 Aspekte zu konzentrieren und sich vor Augen zu halten: Schon kleine Veränderungen können langfristig einen großen Effekt haben! Und die müssen natürlich angepasst an unsere Lebensumstände und Möglichkeiten sein. Es muss kein Marathon sein, es darf ein flotter Spaziergang sein. Es muss keine ausgebuffte Ernährungsumstellung nach dem MIND-Modell sein, es reicht eine alltagstaugliche gesunde Ernährung. <BR /><BR /><embed id="dtext86-69227647_quote" /><BR /><BR /><b>Welchen Einfluss hat unser Gehirn auf unsere Persönlichkeit?</b><BR />Plagg: Unsere Gehirne sind sich zwar von der Form her zum Verwechseln ähnlich, aber das, was darin abgespeichert ist, ist so unterschiedlich, dass wir auf diesselben Dinge sehr unterschiedlich reagieren: Von 2 Menschen, die einen Hund sehen, will der eine schreiend weglaufen und der andere das Tier hätscheln und tätscheln. Das liegt daran, dass unsere Persönlichkeit durch unsere Erfahrungen geprägt wird. Unser Gedächtnis ist nämlich viel mehr als nur ein Speicher für Faktenwissen und autobiographische Daten – es formt auch unsere Persönlichkeit mit. Denn unser Gehirn passt sich an den gemachten Erfahrungen an und formt damit über langfristige Erfahrungen und Lernprozesse auch unsere Gewohnheiten, Einstellungen und Verhaltenstendenzen.<BR /><BR /><embed id="dtext86-69227850_quote" /><BR /><BR /><b>Ab wann sollte ich in meine Gehirngesundheit investieren?</b><BR />Plagg: Eigentlich ab dann, wenn man ein Gehirn habt – also bereits in der Kindheit und Jugend. Dort werden viele Fundamente für viele kognitive Fähigkeiten gelegt und ab dann bleibt die Gehirngesundheit ein lebenslanger Prozess. Denn unser Gehirn verändert sich, hat ständig mit neuen Herausforderungen zu kämpfen und sollte deswegen auch immer umsorgt werden. Unsere Gehirnleistung ist keine selbstverständliche und statische Fähigkeit, auf die wir einfach immer zurückgreifen können. Unser Denkorgan reagiert empfindlich auf das, was uns das Leben gerade so serviert, auf den Stress bei der Arbeit, auf die schlaflosen Nächte im Wochenbett, auf die Traurigkeit nach dem Verlust eines Freundes, auf die Frustschokolade jeden Abend und auf das stundenlange Handyscrolling. Leider ist es zu oft so, dass einem Themen erst interessieren, wenn man erste Mangelerscheinungen bemerkt. Dann kann man zwar immer noch viel machen, aber noch besser wäre es, wenn wir schon unsere Kinder mit Gehirn-Gesundheitskompetenzen ausstatten würden. Deshalb richtet sich mein Buch nicht nur an ältere Menschen, sondern an alle, die ein Gehirn haben.<BR /><BR /><embed id="dtext86-69227854_quote" /><BR /><BR /><b> Ist Demenz vermeidbar?</b><BR />Plagg: Jein. Die gute Nachricht ist: Die wenigsten Demenzen sind monogenetische Formen, also Erkrankungen, die einem in die Wiege gelegt werden und dann ist es auch egal, wieviel Yoga man macht und Chiasamen isst, man wird die Erkrankung trotzdem bekommen. Bei Alzheimer schätzt man in etwa, dass nur zwischen 1-5 Prozent der Erkrankungen vererbbar sind. Der Großteil der Demenzen entsteht durch ein komplexes Zusammenspiel aus genetischer Prädisposition, Lebensstil, Vorerkrankungen und anderen Faktoren. Das liegt vor allem auch daran, dass bei den meisten Demenzen die Gefäßgesundheit eine große Rolle spielt und darauf hat man einen Einfluss. Auch wenn es keine Garantie gibt, eine Demenz vollständig zu vermeiden, lässt sich durch gesunde Lebensstilfaktoren das Risiko erheblich senken. Damit haben wir – trotz genetischer Vorbelastung – einen bedeutenden Einfluss darauf, wie sich unsere Gehirngesundheit entwickelt.<BR /><BR /><embed id="dtext86-69227858_quote" /><BR /><BR /><b>Wann ist es für Prävention zu spät? </b><BR /> Plagg: Es ist nie - absolut nie - zu spät, in seine Gehirngesundheit zu investieren. Die Bildung neuer Synapsen und damit neuer Gedächtnisinhalte ist ein Leben lang möglich und selbst neue Nervenzellen, das weiß man inzwischen, können im Hippocampus bis ins hohe Alter gebildet werden. Unser Gehirn ist unglaublich plastisch und profitiert davon, wenn wir es benutzen. Man sagt in der Wissenschaft dazu auch “Use it or lose it“ – benutze es, oder verliere es. Natürlich sind im fortgeschrittenen Stadium einer Demenz die Effekte von Gesundheitsmaßnahmen geringer. Dennoch können ein strukturierter Tagesablauf, soziale Interaktion und gezielte therapeutische Angebote weiterhin Lebensqualität erhalten.<BR /><BR /><BR /><b>Abschließend: Haben Sie noch ein paar Tipps, wie man sein Gehirn fit halten kann?</b><BR />Plagg: Das kommt drauf an. In der Gehirngesundheit gilt: Sag mir, wer du bist und wie du lebst, und ich sage dir, was du für dein Gehirn Gutes tun kannst. Je nach Lebensumständen werden deshalb für unterschiedliche Leser und Leserinnen unterschiedliche Kapitel und Alltagstipps im Buch wichtig sein. Für die meisten gelten jedoch klassische Tipps: tägliche Spaziergänge, ausgewogene Ernährung mit viel Gemüse, Obst, Hülsenfrüchten und Vollkornprodukten, Neues lernen und Abwechslung im Alltag halten, soziale Kontakte pflegen, Stress gut managen, ausreichend schlafen, regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen - besonders Blutdruck, Blutzucker und Cholesterinwerte im Auge behalten. Und natürlich: Viel lesen. <BR /><BR /><b>Buchtipp:</b> „Smart bis zum Sarg. Gesundes Gehirn, starkes Gedächtnis“ von Dr. Barbara Plagg, Raetia Verlag 2024, 408 Seiten.<BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />Buchtipp: „Smart bis zum Sarg. Gesundes Gehirn, starkes Gedächtnis“, von Dr. Barbara Plagg, Raetia Verlag 2024, 408 Seiten.