„Für uns ist es ein Abschluss – und doch bleibt so viel offen“, sagt Christine Rauter, Evis Schwester, die seit Jahrzehnten gegen das Vergessen ankämpft. Gemeinsam mit spanischen Ermittlern wurde ein letztes Kapitel aufgeschlagen.<BR /><BR />Was geschah wirklich mit Evi Rauter? Gibt es noch Hoffnung, dass sie eines Tages heimkehren kann? Und wer trägt die Verantwortung für die rätselhaften Fehler, die den Fall bis heute überschattet haben?<h3> Der rätselhafte Fall Evi Rauter</h3>Mehr als 30 Jahre lang galt die zum Zeitpunkt ihres Verschwindens 19-jährige Evi Rauter aus Lana als vermisst. Obwohl sie bereits 20 Stunden nach ihrem Verschwinden im September 1990 leblos aufgefunden worden war – 1000 Kilometer entfernt, in Spanien. Erst 2022 konnte das namenlose „Mädchen von Portbou“ als Evi Rauter identifiziert werden. Nun stehen die Ermittler wieder vor einer Sackgasse: Ihre sterblichen Überreste sind nicht dort, wo sie laut offiziellen Dokumenten sein sollten. 200 Skelette wurden exhumiert, doch von Evi fehlt jede Spur.<BR /><BR />„Sie ist 3 Mal verschwunden: 1990 aus Florenz, 2001 aus ihrer Grabnische und jetzt auch aus dem Massengrab im spanischen Figueres“, sagt ihre Schwester Christine Rauter.<BR /><BR />Evi Rauter nach 34 Jahren endlich heimbringen: Die Hoffnung war groß, als ein Team aus spanischen Archäologen, Pathologen, Beamten, Zeitzeugen und Helfern vor wenigen Wochen das Massengrab öffnete, in dem Evi Rauter ihre letzte Ruhe gefunden haben soll. Endlich wollten die Experten Gewissheit schaffen: Wie starb die junge Frau? An ihrem einbalsamierten Körper, so hofften sie, würden sich auch nach so langer Zeit noch Spuren finden lassen. „Wir wollten Evi endlich nach Hause nach Lana holen“, sagt ihre Schwester.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="769493_image" /></div> <h3> 3 Tage Grabungsarbeiten: Neue Rätsel</h3>„Alle, die 1990 mit dem Fall Evi zu tun hatten und noch leben, waren da“, erzählt Christine Rauter, die die Exhumierung in Figueres verfolgte: die Pathologen, die Evi einbalsamierten, der Friedhofsdirektor, Arbeiter, Polizisten, Archäologen und die katalanischen Journalisten Tura Soler und Carles Porta, die seit über 30 Jahren über den Fall berichten.<BR /><BR />„Es war sehr emotional – für mich, aber auch für die anderen.“ 18 Monate hatte sie sich auf den Tag vorbereitet: „Und dann war er da. Man muss sachlich bleiben“, sagt Christine Rauter.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1120377_image" /></div> <BR />Der Friedhof wurde abgesperrt. Nur autorisierte Personen durften die Grabungsarbeiten beobachten.<BR /><BR />Das Team arbeitete gewissenhaft, die Aufgabe war mühsam: „30 Quadratmeter wurden bis zu 3 Meter tief ausgehoben“, berichtet Christine Rauter. 3 Tage lang arbeiteten sich die Experten der verschiedenen Fachrichtungen bei strömendem Regen Schicht für Schicht durch die Erde.<BR /><BR />Sie suchten nach einer einbalsamierten Leiche in einem weißen Plastiksack. So geschützt, hätte der Körper von Evi Rauter auch nach so langer Zeit noch vollständig erhalten sein müssen. „Dieselben Ärzte, die Evis Leichnam 1990 konservierten, hatten ein Jahr zuvor die gleiche Prozedur an der Leiche des Künstlers Salvador Dalí durchgeführt. Und dessen Körper war noch völlig intakt, als er vor einigen Jahren exhumiert wurde“, weiß Christine Rauter. Kaum vorstellbar also, dass ihre Arbeit an Evi fehlerhaft war und der Leichnam trotz aller Bemühungen verwest sein könnte.<BR /><BR />Doch auch diese Möglichkeit wurde von den Ausgräbern in Betracht gezogen: Unter den Hunderten von menschlichen Überresten, die in Figueres zum Vorschein kamen, wurden alle untersucht, die von einer jungen Frau stammen könnten. Trotzdem: Von Evi Rauter fehlte jede Spur. <b><BR /><BR />Wie kann das sein? Wurde sie nie ins Massengrab gelegt – obwohl dies in den offiziellen Dokumenten so vermerkt ist?</b><BR /><h3> Rückblick: Der Tod im September 1990</h3>Im September 1990 wurde die damals 19-Jährige im französisch-spanischen Grenzort Portbou tot an einer Kiefer hängend augefunden. Die Ermittler gingen von Suizid aus. Mehrere Indizien, die auf einen Mord hindeuteten, wurden nicht weiter verfolgt. Eine Obduktion wurde nicht durchgeführt.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1115640_image" /></div> <BR />Die Tote wurde nicht identifiziert. Niemand wusste, dass es sich um die vermisste Evi Rauter handelte. „Die Vermisstenanzeige, die ich im September 1990 in Florenz aufgab, und die Beschreibung der damals unbekannten Leiche in Portbou sind wortwörtlich identisch“, erinnert sich Christine Rauter. „Auch ohne Fotos, nur mit dem Text, hätte jedes Kind sehen müssen, dass es sich um dieselbe Person handelt. Ein Fax hätte gereicht.“ <a href="https://www.stol.it/artikel/chronik/das-maedchen-von-portbou-es-gibt-viele-hypothesen-zum-tod-meiner-schwester" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">(Hier lesen Sie mehr dazu.)</a><BR /><BR />Aber niemand hat diesen Zusammenhang hergestellt. Ein folgenschwerer Fehler. Evi Rauters Leiche wurde einbalsamiert und namenlos in einer Nische auf dem Friedhof von Figueres beigesetzt.<BR /><BR />Für die spanischen Ermittler war der Fall damit bis auf weiteres abgeschlossen. Lokale Journalisten berichteten jedoch immer wieder darüber. Das Schicksal des „Mädchens von Portbou“ ließ die Menschen nicht los. Doch bis zu den italienischen Behörden drangen die Nachrichten nicht vor. Sowohl in Florenz, wo sie zuletzt gesehen wurde, als auch in ihrer Heimat Südtirol galt Evi Rauter für die nächsten 30 Jahre als verschollen.<h3> Wohin wurde Evi Rauters Leiche gebracht?</h3>Im Jahr 2001 – so geht aus den Gemeindeakten hervor – wurde Evis Leichnam aus der Nische in ein anonymes Erdgrab umgebettet. Eine richterliche Genehmigung dafür gab es nicht. Verhängnisvoll: Die illegale Umbettung ins Massengrab erfolgte genau 3 Monate, bevor ein Gericht eine DNA-Analyse der damals noch anonymen Toten anordnete.<BR /><BR />Dass Evi Rauter anhand von Fotos aus dem Jahr 1990 doch noch identifiziert werden konnte, ist einem Bericht des österreichischen Privatsenders ATV („Ungelöst – Cold Case Austria“) zu verdanken, der auf Recherchen von Carles Porta für das katalanische Fernsehformat „Crims“ zurückgeht. Darin wurden Fotos des „Mädchens von Portbou“ gezeigt. Eine Frau aus Südtirol erkannte Evi wieder und stellte die bis dahin fehlende Verbindung her. <a href="https://www.stol.it/artikel/chronik/spektakulaere-wende-in-cold-case-in-spanien-tote-ist-evi-rauter-aus-lana" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">(Hier lesen Sie die Details.)</a> Evi Rauter konnte endlich identifiziert werden, die Familie hatte nach über 3 Jahrzehnten Gewissheit, wenn auch traurige.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1115649_image" /></div> <h3> Große Zweifel an der Suizid-Theorie</h3>Was genau mit Evi Rauter geschah, ist bis heute nicht geklärt: Spanische Pathologen, Gerichtsmediziner, Polizisten und Journalisten bezweifeln stark, dass Selbstmord die Todesursache war. Der Gerichtsmediziner Rogelio Lacaci vermutet sogar, dass es sich „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um Fremdverschulden handelt“.<BR /><BR />Auch die Familie Rauter glaubt nicht an einen Suizid, nichts habe je darauf hingedeutet, dass Evi depressiv gewesen sein könnte. Christine Rauter: „Vieles passt nicht zusammen: Evis Fingernägel waren supersauber, keine Rindenspuren darunter, keine Kratzer oder Abschürfungen an Armen, Kinn oder Füßen: Das passt nicht zu der Theorie, dass sie selbst auf den Baum geklettert sein könnte“. <a href="https://www.stol.it/artikel/chronik/akte-evi-rauter-vorlaeufig-zu-wir-geben-die-hoffnung-nicht-auf" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">(Mehr dazu lesen Sie hier.)</a><h3> Der lange Weg zur Exhumierung</h3>2023 wandte sich Christine Rauter an das Gericht und die Verwaltung in Figueres – mit der Bitte, den Leichnam exhumieren lassen zu dürfen. „Das war eine sehr lange und bürokratische Geschichte“, erinnert sie sich. 18 Monate lang musste sie auf die erforderlichen Genehmigung warten.<BR /><BR />Mitte Dezember 2024 begannen endlich die Arbeiten auf dem Stadtfriedhof. 200 Skelette legten die Experten bei den Ausgrabungen frei. Sie wurden vor Ort untersucht. Ein Unterkiefer, ein Schädel mit Haaren und ein Hüftknochen wurden genauer untersucht, aber auch sie wurden aussortiert. „Einige Merkmale passten zum Alter, aber nicht zum Geschlecht und umgekehrt“, erklärte die Gerichtsmedizinerin Laia Nogué von der medizinischen Fakultät der Universität Vic laut lokalen Medienberichten.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1120380_image" /></div> <BR /><BR />Nogué und der Archäologe und Anthropologe Ot Ordeig kamen zu dem Schluss, dass die Leiche nie in diesem Grab bestattet wurde.<BR /><BR />Gegenüber der spanischen Presse betonte Ordeig, dass alle Zeugenaussagen aus dem Jahr 2001 berücksichtigt worden seien. Diese seien jedoch zum Teil ungenau und daher als unzuverlässig einzustufen. „Die Arbeiter, die Evi damals unerlaubt aus ihrer Nische geholt haben, leben nicht mehr“, erklärt auch Christine Rauter. Erklärungsversuche für die schier unglaubliche Zahl von Fehlern und Pannen in diesem Fall gibt es einige: Zufriedenstellend ist keine.<h3> Christine Rauter: „Für uns ist es ein Abschluss“</h3>Für die Familie Rauter ist dies das vorläufige Ende ihrer Suche: „Mehr können wir nicht tun. Das war der letzte Versuch“, sagt Christine Rauter. „Für uns ist es ein Abschluss.“<BR /><BR />Das italienische Strafverfahren zu dem Fall, das 2022 in Florenz gegen Unbekannt eröffnet wurde, ist aus Mangel an Beweisen vorerst geschlossen. Es kann jederzeit wieder aufgenommen werden, wenn sich neue Hinweise ergeben. „Ich stehe weiterhin mit allen in Kontakt, die an dem Fall arbeiten“, sagt Christine Rauter.<BR /><BR />Auf dem Friedhof ihres Fundortes Portbou soll ein Denkmal für Evi errichtet werden. Auch in Südtirol wird ihr Schicksal nicht in Vergessenheit geraten.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1120383_image" /></div>