Erst am 5. Dezember stürzte ein Kletterer in der Salewa-Halle, die täglich von rund 170 Kletterern besucht wird, von rund neun Metern Höhe in die Tiefe und prallte am Boden auf.Er hatte mit einem diagnostizierten Becken- und Fersenbruch „extremes Glück im Unglück“, bringt es Salewa-Cube-Geschäftsführer Martin Knapp auf den Punkt.Der Rollstuhl hätte es genauso gut sein können, wäre der Kletterer nicht zuerst teilweise auf seinen Kletterpartner und dann erst auf den Boden gestürzt.Noch schlimmer erwischte es einen Kletterer im Februar: Er könnte querschnittsgelähmt bleiben. In beiden Fällen waren Sicherungsfehler Grund für die Stürze.STOL hat mit Salewa-Cube-Geschäftsführer Martin Knapp, über die Risiken des Sports und über Sicherheitsmaßnahmen in den Kletterhallen gesprochen.Knapp stellt klar: Unfälle können trotz Sensibilisierung nie ganz vermieden werden.Südtirol Online: Die Kletterunfälle häufen sich: Ein Boom mit Nebenwirkungen?Martin Knapp: Es klettern immer mehr Personen und dementsprechend passiert häufiger etwas. Der Anstieg der Unfälle geht mit dem Anstieg der Kletterer einher. Wir erleben derzeit eine Art Kletter-Renaissance, die toll ist. Aber nur, wenn der Klettersport richtig ausgeübt wird. Nur dann ist er ein sicherer Sport.STOL: Die Salewa-Halle hat im Mai 2011 ihre Tore geöffnet: Wie viele Unfälle wurden bisher gezählt?Knapp: Drei schwere Unfälle. Die leichteren Unfälle, dazu zähle ich das Umknicken beim Bouldern oder Kratzwunden, die zählen wir schon gar nicht mehr.STOL: Was waren die Gründe für die schweren Unfälle: Ausschließlich Sicherungsfehler?Knapp: Ausschließlich klassische Sicherungsfehler: Entweder wurde das Sicherungsgerät falsch bedient, oder das Seil verkehrt eingelegt.STOL: Was wird in den Kletterhallen unternommen, um Unfälle zu vermeiden?Knapp: Wenn Personen zu uns in die Kletterhalle kommen, die wir nicht kennen und bei denen uns Alarmzeichen auffallen, dann intervenieren wir. Mit Alarmzeichen meine ich folgendes: Wenn sich die Personen bei uns alles – Seil, Gurt, Sicherungsgerät und Schuhe – ausleihen. Dann wird nachgefragt: „Könnt ihr sichern“? Wir fragen nicht: „Könnt ihr klettern?“ Das interessiert uns nicht. Wichtig ist, dass die Personen mit den Sicherungsgeräten umgehen können. Ob sie dann eine 3er-Route oder eine 5a gehen, das ist uns egal. Alle Kletterer müssen außerdem eine Haftungsausschlusserklärung unterzeichnen, dass auf Eigenverantwortung geklettert wird. Das ist eine versicherungstechnische Formsache.STOL: Dann werden die Kletterer, ob unerfahren oder erfahren, auf die Kletterwand losgelassen?Knapp: Nein, jemand von unserem Personal ist regelmäßig in der Halle unterwegs, um die Lage zu beobachten und gegebenenfalls zu intervenieren.STOL: Dennoch: Grundsätzlich darf jeder, auch ein völlig Unerfahrener, in der Halle klettern.Knapp: Grundsätzlich ja. Aber wenn mir derjenige sagt, dass er nicht klettern kann, dann erhält er kein Seil. Dann wird er von uns, also vom Personal, zu den Selbstsicherungsanlagen in der Halle begleitet und dort in die Sicherungstechniken eingewiesen.STOL: Und wenn derjenige nicht zugibt, dass er nicht klettern kann? Klettern ist Mode und jeder glaubt, klettern zu können.Knapp: Mehr als fragen, können wir nicht. Wenn uns eine ehrliche Antwort gegeben wird, dann können wir weiterhelfen. Alles andere ist fahrlässig und unverantwortlich.STOL: Wer haftet bei Unfällen: der Kletterer oder die Hallenbetreiber?Knapp: Bei Sicherungsfehlern einzig und allein der Kletterer. Der Hallenbetreiber hat dafür zu sorgen, dass die Struktur in Ordnung ist und regelmäßig gewartet wird. Aber wenn jemand einen Sicherungsfehler macht und der Partner abstürzt, dann kann der Hallenbetreiber nicht zur Verantwortung gezogen werden.STOL: Denkt man nie an die Einführung einer „Platzreife“ ähnlich wie beim Golfsport, um damit Kletterer zu Kursen zu verpflichten und Unfälle zu vermeiden?Knapp: Wir können niemanden verpflichten, wir können nur Kurse empfehlen und zu diesen raten. Genau deshalb bieten wir, sowie der Alpenverein und der CAI, Kletterkurse bzw. Sturz- und Sicherungstrainings in der Halle an.STOL: Wie sieht es mit Informationsschildern in der Salewa-Halle aus, die erklären, wie die Sicherungsgeräte zu bedienen sind.Knapp: Wir haben zwar Informationsschilder im unteren Bereich aufgestellt, aber leider werden diese Bedienungsanleitungen kaum bis gar nicht angeschaut. Es gibt genügend Personen, die glauben, klettern zu können und diese „Gebrauchsanweisungen“ keines Blickes würdigen, dabei aber Fehler machen. Sie vergessen elementare Dinge, beispielsweise den Partnercheck.STOL: Was sind weitere Gefahrenquellen?Knapp: Auch die Konzentrationsspannen sind nicht zu unterschätzen: Wenn ich mir heute sicher bin, dass ich gut sichere, um mich dann vom netten Madl nebenan ablenken zu lassen, dann wird es gefährlich. Denn genau beim Klettern geht es um Sekundenbruchteile. Der Sichernde muss deshalb zu jeder Zeit zu 100 Prozent auf den Partner konzentriert sein. Leider ist das – wie wir beobachten – sehr oft nicht der Fall.STOL: Interveniert das Hallenpersonal?Knapp: Unser Personal wurde angewiesen, in solchen Situationen zu intervenieren und es tut es auch. Der Kletterer, der falsch sichert, wird angesprochen und auf die Fehlerquelle hingewiesen. Manche Kletterer sind froh und bedanken sich beim Personal, andere wiederum geben patzig zu verstehen, dass man sich nicht einzumischen habe. Dann wird es für uns schwierig.STOL: Das heißt, letztendlich kann nur verstärkt an die Eigenverantwortung der Kletterer appelliert werden?Knapp: Ganz genau, an die Eigenverantwortung appellieren, aufklären und sensibilisieren. Mehr können wir nicht tun. Es geht darum, vor Selbstüberschätzung zu schützen. Die Grundregeln muss jeder kennen und können.STOL: Zusammengefasst: Ist Selbstüberschätzung die größte Gefahr im Klettersport?Knapp: Selbstüberschätzung und das unkorrekte Bedienen von Sicherheitsgeräten.STOL: Ihr Schluss-Appell?Knapp: Anfänger dürfen sich selbst nicht überschätzen. Sie sollen bei Interesse am Klettersport einen Kletterkurs machen. Dann erst haben sie das notwendige Rüstzeug, um diesen Sport zu betreiben. Und: Sie müssen sich von erfahrenen Kletterern etwas sagen lassen. Sie müssen sich selber informieren, mit voller Konzentration bei der Sache sein und sich absichern – durch Partnercheck.Interview: Johanna Gasser