Aus den Augen, aus dem Sinn … Das gilt nicht ganz für alle Substanzen, die durch das Klo oder Waschbecken hinuntergespült werden. Wird nämlich das Abwasser genauer untersucht, lassen sich u.a. interessante Rückschlüsse auf den Drogenkonsum im jeweiligen Einzugsgebiet ziehen. <BR /><BR />Seit Jahren werden solche Untersuchungen auch in der Bozner Kläranlage gemacht – im Zuge der EU-weiten Abwasserstudie, die im Auftrag der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) in über 100 Städten durchgeführt wird.<h3> Bei Kokain spielt Bozen europaweit in der ersten Liga</h3>Was bei den Bozner Abwasserdaten besonders auffällig ist: Mit einem Wert von 367 Milligramm (mg) je 1000 Personen pro Tag liegt die Landeshauptstadt im Vergleich zu anderen europäischen Städten ziemlich weit vorne: Nämlich auf Rang 27 von 104. Etwas beruhigender ist nur die Tatsache, dass dieser Wert seit fünf Jahren recht stabil ist.<BR /><BR />Geht es um den Nachweis von Cannabis im Bozner Abwasser, steigen die Werte seit 2020 wieder an (2022: 43,4 mg je 1000 Personen pro Tag, 2020 waren es noch 33,9 mg). 2018 und 2019 lagen sie allerdings noch höher. Aber: Im Vergleich liegt Bozen hier im Ranking weit hinten: Platz 47 von 55 (nicht alle Drogen wurden in allen Städten erfasst; Anm. d. Red.).<BR /><BR />Ergebnisse zu Amphetaminen („Speed“) hingegen gibt es für 2022 aus Bozen keine. 2021 waren die Werte jedoch steil angestiegen (Verdreifachung von knapp 2 auf knapp 6 mg/1000 Personen pro Tag). Ebenso keine Werte aus Bozen gibt es zu Ketamin. Bei Methamphetaminen („Crystal Meth“) ist im Vergleich zu 2021 ein Rückgang zu verzeichnen (von knapp 2 mg auf 0,5 mg/1000 Personen pro Tag). Im europaweiten Vergleich liegt hier Bozen auch weit hinten (Rang 89 von 93). Das gilt auch für MDMA („Ecstasy“): Rang 85 von 103. Aber: Hier hat es in Bozen zwischen 2021 und 2022 wieder einen starken Anstieg gegeben – und zwar von ca. 1 mg auf ca. 3 mg/1000 Personen pro Tag. Die Werte lagen 2018 und 2019 aber schon höher (bei 5 mg). Was insgesamt bei den Bozner Daten auffällt: Sowohl bei Cannabis als auch bei Ecstasy ist das „Tal“ mit tieferen Werten in der Coronakrise durchschritten – und es geht wieder in Richtung „Normalzustand“. <h3> So erklärt die Expertin den hohen Kokainkonsum in Bozen</h3>Dr. Bettina Meraner, geschäftsführende Primarin des Dienstes für Abhängigkeitserkrankungen in Bozen, weiß um den hohen Konsum von Kokain in der Landeshauptstadt: „Kokain ist extrem verbreitet bei uns. Es war immer schon dort, wo Geld ist.“ Der Handelswert sei zwar in den vergangenen Jahren stark gesunken; die Substanz werde aber schnell abgebaut, weshalb der Drang zum erneuten Konsumieren sehr stark sei. „So wird an einem Abend viel Kokain konsumiert – und das muss man sich erst einmal leisten können.“ Für junge Konsumenten werde die Substanz hingegen stark verschnitten, was den Einstieg erleichtere.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="879494_image" /></div> <BR /><BR />Neben der Leistbarkeit verortet Dr. Meraner als zweiten Grund für den hohen Kokainkonsum in Bozen auch die geografische Lage: „Bozen liegt wie Verona und Brescia an der Kreuzung zwischen der Ost-West- und der Nord-Süd-Route der Drogenströme.“<BR /><BR />Die neuesten Daten zum gleichbleibend hohen Kokainkonsum in Bozen decken sich auch mit der starken Nachfrage beim Dienst für Abhängigkeitserkrankungen nach Behandlungen wegen Kokainabhängigkeit – übrigens seit Jahren.<h3> Bumerangeffekte nach der Corona-Pandemie</h3>Die Rückkehr zur „Normalität“ bei Cannabis und Ecstasy nach dem Tief in Corona-Zeiten ist für Dr. Meraner auch logisch erklärbar. Während der Pandemie sei es schwierig gewesen, diese Drogen zu beschaffen. Nun sei dies wieder leichter. Ecstasy werde laut Dr. Meraner außerdem vorwiegend gemeinsam und beim Tanzen in Diskotheken konsumiert. „Weil diese eineinhalb Jahre geschlossen waren, ist Ecstasy enorm zurückgegangen. Ebenso Cannabis, das viel beim Ausgehen konsumiert wird.“ Beide Drogen kehren nun – wie ein Bumerang – nach der Pandemie wieder verstärkt zurück.<BR /><BR />Generell habe die Corona-Zeit einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf den Drogenkonsum – der sich wohl erst in nächster Zeit verstärkt zeigen könne. Denn, so Dr. Meraner, „wir leben in einer gewissen Erschöpfungsphase nach der Pandemie, mit dem Krieg, den wirtschaftlichen Folgen … Die Menschen haben mehr Schwierigkeiten, mit negativen Gefühlen umzugehen – und greifen deshalb leichter zu chemischen Hilfen.“<BR /><BR />Einfache Lösungen für all diese Probleme gebe es aber nicht. „Es braucht gesamtgesellschaftliche Prozesse, um die Familie zu stärken, die Eltern zu unterstützen, das Gleichgewicht zwischen Arbeit und Freizeit wiederherzustellen sowie wieder gesunde Rituale zu entwickeln“, mahnt Dr. Meraner. Auf der Behandlungsseite versuche der Dienst für Abhängigkeitserkrankungen derzeit noch mehr als vorher schon auf die Bedürfnisse von jungen Menschen einzugehen: „In Bozen gibt es etwa ein eigenes Team, das nur Jugendliche behandelt und nur Angebote für sie entwickelt.“ <BR />