Im Interview erinnert er sich an die Herausforderungen bei der Konservierung des Eismanns, verrät, warum Ötzis Haut so glasiert aussieht und was er sich für Ötzis Zukunft wünscht.<BR /><BR /><b>Wie kam es, dass sie Ötzis „Leibarzt“ wurden?</b><BR />Dr. Eduard Egarter Vigl: Als Primar der Pathologie am Bozner Spital schien ich wohl prädestiniert dafür – zumindest nach Auffassung des damaligen Landeskonservators Dr. Helmuth Stampfer. Er rief mich an und meinte: „Wir brauchen jemanden, der sich um die Mumie kümmert.“ Und da ich derjenige sei, der „am meisten mit Leichen zu tun hat“, habe man an mich gedacht. Ich war etwas überrumpelt, meine berufliche Ausbildung hatte nichts mit Mumien zu tun. Ich reiste also in Europa herum und schaute mir andere Mumien an, doch weder die Salzmumien aus dem Mittleren Orient noch die Torfmumien aus Nordeuropa oder in Flüssigkeit konservierte Mumien (z.B. Lenin) waren mit dem Mann aus dem Gletscher vergleichbar. Es gab einfach kein Rezept und keine erprobten Erfahrungen, die auf Ötzi übertragbar gewesen wären: Er ist eben auch konservatorisch einzigartig. <BR /><BR /><b>Da war guter Rat sicher teuer....</b><BR /> Dr. Egarter Vigl: Im Vorfeld der Überführung der Mumie von Innsbruck nach Bozen wurde eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, bestehend aus namhaften Wissenschaftlern der Uni Innsbruck, den Zuständigen des Landes, der Firma Syremont, die große Erfahrung in der Konservierung und Behandlung antiker Funde hat, der technischen Universität Mailand und der Firma Angelantoni, die auf Kühltechniken spezialisiert ist. Die Arbeitsgruppe traf sich ab Herbst 1997 regelmäßige. Schließlich wurde im Keller des neuen Meraner Spitals ein Prototyp der Kühlzelle aufgebaut und an einer Anatomieleiche getestet. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="879992_image" /></div> <BR /><BR /><b>Was brachten diese Experimente?</b><BR /> Dr. Egarter Vigl: Die Ergebnisse waren nie vollständig zufriedenstellend. Doch die Zeit drängte, denn der Termin für den Transport der Mumie nach Bozen – der 18. Jänner – stand unverrückbar fest. Kurz vor Weihnachten beschlossen man dann, mit der Konservierungsmethode weiterzumachen, die bis dahin am Institut für Anatomie der Uni Innsbruck die besten Resultate erbracht hatte, wohl wissend, dass die museale Ausstellung ganz andere Herausforderungen stellen würde. Aber bis zur Eröffnung des Museums würde man die Probleme schon noch in den Griff kriegen, hoffte man mit Optimismus. <b><BR /><BR /></b><b>Worin bestand denn die größte Schwierigkeit?</b><BR />Dr. Egarter Vigl: Das Hauptproblem bestand darin, die richtige Balance zwischen der Konservierungstemperatur und der Feuchtigkeit im Konservierungsambiente zu finden: Wenn die Mumie zu kalt war, wurde sie trocken, oberflächlich grau und unansehnlich. Die Haut erlitt Schrunden und brach auf. War das Ambiente zu feucht, war die Temperatur zu hoch und das Risiko der mikrobiellen Kontamination zu groß. Ich war damals für die Konservierung verantwortlich und versuchte, das Problem mit einer variablen Temperatursteuerung zu lösen; d.h. die Temperatur in der Kühlzelle abwechselnd für einige Zeit um 2 Grad zu verringern und sie dann wieder um 2 Grad zu erhöhen. Ich hoffte, so die Feuchtigkeit von den Wänden der Zelle auf die Mumie transferieren zu können. In den kürzeren Wärmephasen sollte die Feuchtigkeit dann wieder an die Wände zurückgegeben werden. Unterm Strich erwartete ich mir einen Feuchtigkeitsgewinn für Ötzi. Es hat nicht geklappt. Die Physik kann man nicht austricksen.<BR /><BR /><embed id="dtext86-58902711_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Wie bekamen Sie das Problem dann doch in den Griff?</b><BR />Dr. Egarter Vigl: Mit einem „Hausfrauentrick“: Ich habe die Mumie für Stunden mittels einer Orchideen-Sprühpumpe rundum mit sterilem Wasser eingenebelt, bis sich auf der ganzen Körperoberfläche eine durchsichtige Eisschicht gebildet hatte und, siehe da, das Ergebnis war mehr als gut: Die Mumie war feucht genug, hatte eine ausreichende Wasserreserve für mehrere Tage und durch die Eisschicht zusätzlich einen mechanischen und mikrobiologischen Schutz. Äußerlich erschien die Mumie dem Betrachter fast wie „glasiert“, was auch einige Besucher des Museums später kritisierten. <BR /><BR /><b>Niemand hat so viel Zeit mit Ötzi verbracht wie Sie. Was war Ihr spannendstes Erlebnis?</b><BR />Dr. Egarter Vigl: Zweifellos der Moment, als der Radiologe Dr. Paul Gostner, damals Primar für Röntgendiagnostik am Bozner Krankenhaus, die Pfeilspitze entdeckte. Wir haben dann gemeinsam den Befund zu interpretieren und gerichtsmedizinisch in ein Tatortszenario einzubetten versucht – mit der Schlussfolgerung, dass Ötzi wohl durch einen Pfeilschuss in den Rücken gewaltsam zu Tode gekommen war. Das war schon eine irre Geschichte. Bis zum Jahr 2001 hatte es verschiedene Theorien zur Todesursache gegeben, aber an einen gewaltsamen Tod durch Dritte hatte niemand gedacht. <h3> „Hoffe auf baldigen Baubeginn“</h3><b>Und damit wurde der Wirbel um Ötzi neu entfacht...</b><BR />Dr. Egarter Vigl: Nach dieser Entdeckung rollte eine Medienwelle wie ein Tsunami über uns. Ich habe ja weiterhin meine Arbeit im Bozner Krankenhaus gemacht, kam aber nach der Mord-Geschichte bald an meine Grenzen. In dieser Zeit entstand erstmals mein Plan, in Bozen ein Forschungsinstitut für Ötzi und Mumien im Allgemeinen anzusiedeln, welches ja dann 2006 an der EURAC realisiert wurde.<BR /><BR /><b>Schauen wir ein wenig voraus: Was wünschen Sie Ötzi für die Zukunft?</b><BR />Dr. Egarter Vigl: Ich hoffe auf den baldigen Baubeginn eines neuen Museums für Archäologie – egal wo. Wenn man das Interesse an Ötzi weiterhin lebendig erhalten will, bedarf es einer raumgreifenden Unterbringung der Mumie und aller Beifunde, um die technisch-medialen Möglichkeiten der modernen Museumspräsentation zu nutzen. Ich sehe Ötzi in einer interaktiven Darstellung zwischen seiner Mumie, den Besuchern jeden Alters, Forschung, Naturwissenschaften, Medizin und Kriminalistik, und dies alles eingebettet in einen archäologischen Rahmen, der Fragen der Alpenfrühgeschichte und der Herkunftsgenetik behandelt. Mumienforschung unterm Mikroskop und im Genlabor sind die richtigen Ansätze für die Naturwissenschaften. Doch so spektakulär die Erkenntnisse auch sein mögen, sie sind oft hochtheoretisch und nur für wenige zugänglich. Wichtig sind aber auch greifbare Ergebnisse, die der durchschnittliche Museumsbesucher versteht. Um es plakativ zu sagen: Unter einem Opfer, das ein Messer im Rücken hat, kann sich auch derjenige, der mit DNA nichts anfangen kann, etwas vorstellen. Einen kombinierten Zugang zum Thema würde ich gut sehen.