Wollten Sie schon immer Gegenstände, Menschen Landschaften oder Rezepte riechen, die sie an einem Bildschirm sehen? Marianna Obrist aus Latzfons forscht in Großbritannien, um es möglich zu machen. <i><BR /><BR />Von Evi Schmid</i><BR /><BR /><BR />„Meine Eltern zweifeln manchmal, ob ich wirklich ihre Tochter bin“, lacht Marianna Obrist, wenn sie die Reaktion ihrer Eltern auf ihren ausgefallenen Beruf beschreibt. Seit Juli 2020 ist die junge Frau aus Latzfons Professorin für Multisensory Interfaces am University College London. Dort forscht sie mit einem international zusammengesetzten Team daran, wie Geschmack, Geruch und Berührungen über Computer übertragen und mit visuellen und akustischen Erlebnissen verbunden werden können.<BR /><BR />Marianna Obrist wuchs in Latzfons auf, am Kleinbauernhof der Eltern: „Wir hatten vorwiegend Ziegen“. Nach der Pflichtschule besuchte sie die Handelsschule in Brixen und Bozen. Ihr Studium der Kommunikations- und Politikwissenschaften führte sie an die Paris-Lodron-Universität Salzburg. „Im zweiten Studienjahr habe ich begonnen, in einem Start-Up-Unternehmen im Bereich Webdesign zu arbeiten“, erinnert sich Obrist. Damit und mit der Unterstützung ihrer Eltern finanzierte sie ihr Studium. <BR /><BR />Gleichzeitig lernte sie neue Technologien kennen, die sie dazu bewegten, Studienkurse über neue Informations- und Kommunikationstechnologien zu besuchen. Auch ihre Masterarbeit widmete Obrist diesem Thema.<BR /><BR /><b>Ein neues Kapitel</b><BR /><BR /> Für ihre Doktorarbeit wurde ihr ein Professor der Computerwissenschaften zugewiesen. „Damals entwickelte sich gerade der neue Schwerpunkt Mensch-Computer-Interaktion. Das war genau mein Thema – angesiedelt zwischen den 2 Fakultäten Kommunikations- und Computerwissenschaften“, erzählt Obrist. Es folgte eine Anstellung als Forschungsassistentin, 2007 nach ihrem Doktorat mit Auszeichnung eine als Assistenzprofessorin für Mensch-Computer-Interaktion im Fach Computerwissenschaften. <BR /><BR />Trotz einiger Chancen, irgendwo anders hinzugehen, blieb Obrist in Salzburg, „was gut für meine Karriere und meine Forschung war“. Nach 13 Jahren dort schlug Obrist ein neues Kapitel auf – zumindest geografisch. Sie bewarb sich um ein Marie-Curie-Stipendium der Europäischen Union, das sie für 2 Jahre nach Newcastle, einer Universitätsstadt im Nordosten Englands, führte. „Ich verbrachte diese Zeit in der Computerwissenschaft, innerhalb eines Labors, das sich auf die Schnittstellen zwischen Mensch und Computer spezialisiert hatte“. Obrist überlegte, wo sie ihren eigenen Forschungsbeitrag verankern kann und machte erste Studien zu multisensorischen Erfahrungen im Umgang mit Computern.<BR /><BR />Der Ansatz war und ist, neue Technologien für die Interaktion Mensch-Computer zu erforschen und zu entwickeln. „Noch erfolgt diese in erster Linie über das Sehen, das Display, die Sprache und zunehmend über den Tastsinn. Wir schauen, wie auch unsere anderen Sinne, Geruch und Geschmack, verwendet werden können“, sagt Obrist. In Newcastle fiel die Entscheidung, in England zu bleiben. „Auch weil ich damals meinen heutigen Ehemann kennengelernt habe“, lacht Obrist.<BR /><BR /><b>„Geruch und Tastsinn einbauen“</b><BR /><BR />Nach 2 Jahren folgte der Umzug in den Süden Englands, an die Küste. An der Universität von Sussex baute Obrist ein eigenes Forschungslabor auf. Seit Juli 2020 ist sie Professorin für Multisensory Interfaces am University College London. <BR /><BR />Ihren Fachbereich beschreibt die Professorin anhand von Beispielen neuer technologischer Entwicklungen im Bereich Unterhaltung, virtuelle Realitäten und Gesundheit. „Einen Film zu sehen mit Musik und Ton ist ein ganz anderes Erlebnis als ohne. Wenn auch Geruch und Tastsinn eingebaut werden, könnten noch viel mehr Emotionen vermittelt werden“, erklärt Obrist, „wir sind dabei herauszufinden, wie neben dem Soundtrack auch über andere Sinne solche Tracks generiert werden können“. Es gilt zu verstehen, wie Menschen auf solche Simulationen reagieren, und darauf bauend Technologien zu entwickeln, die diese transportieren.<BR /><BR />„Für die anderen Sinne ist diese Interaktion noch nicht Normalität und Realität, weshalb es ein gewisses Training braucht“, betont Obrist. Was sie meint, wird an ihrem Beispiel aus der virtuellen Realität deutlich, „wo es schon sehr viele Entwicklungen gibt, etwa in der Autobranche“.<BR /><BR /><b>Informationen über Gerüche</b><BR /><BR />Statt des klassischen Duftbaums im Auto könnte eine eingebaute Druckerpatrone einen Duft verströmen. „Das ist atmosphärisch. Wir untersuchen, ob wir Gerüche verwenden können, um auch Informationen zu übermitteln“, führt Obrist aus – etwa, dass langsamer gefahren oder bald getankt werden muss. <BR /><BR />Im Labor wurde dies bereits getestet. „Der Vorteil der Informationsübermittlung über Gerüche ist, dass ich nicht auf den Monitor schauen muss und mich ganz auf das Fahren konzentrieren kann“, sagt Obrist. Einschränkungen sind gegeben, etwa wenn der Fahrer „die Nase zu hat“. Die Assoziationen zwischen Geruch und Information müssen erst verstanden werden.<BR /><BR />Das dritte Beispiel kommt aus dem Bereich Gesundheit. Bei Covid-19 ist der Verlust des Geschmacks- und Geruchssinn ein wichtiges Krankheitssymptom. „Vor Weihnachten haben wir noch einen Förderbeitrag der EU erhalten, bei dem es darum geht, neue digitale Gesundheitstechnologien zu entwickeln“, erklärt Obrist: mit denen – ähnlich einem Augen- und Hörtest – der Geruchssinn gemessen und beobachtet werden kann. Mit Gesundheitsexperten wird an einem benutzergerechten Riechtest gearbeitet.<BR /><BR />Vor 5 Jahren hätte sich dies Obrist nicht vorstellen können. „Für uns war die grundlegende Frage, wie Menschen auf Gerüche bzw. Geschmack reagieren und mit welchen Technologien sie designt werden können. Jetzt kommen diese Anwendungsbeispiele zum Vorschein“, erklärt Obrist.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="610349_image" /></div> Der Mangel an persönlichen Kontakten ist – wegen Homeoffice und sozialer Distanzierung – eine weitere Begleiterscheinung von Covid-19. „Im Händedruck, in einfachen Gesten sind sehr viele Informationen enthalten. Vor Jahren haben wir begonnen, an Technologien zum Tastsinn zu arbeiten und zu schauen, welche Emotionen über diesen vermittelt werden können“, sagt Obrist. <BR /><BR />Diesem Thema widmet sich auch das EU-Projekt „touchless“ (kontaktlos), das im Jänner gestartet ist. Entwickelt werden Technologien, die Vibrationen nutzen, um Berührungen, unterschiedliche Gefühle zu übertragen und damit die soziale Interaktion zu unterstützen. „Dazu reicht es, die Hand über das Gerät zu halten“, erklärt Obrist. <BR /><BR /><b>Alle Sinne berücksichtigen</b><BR /><BR />Auch der Geruch ist im sozialen Miteinander wesentlich, beeinflusst er doch stark den ersten Eindruck eines Menschen. „Mit Covid-19 fehlt das alles“, betont Obrist. Hier gebe es viele Möglichkeiten, dieses neue Wissen einfließen zu lassen. <BR /><BR />Ihren Forschungsbereich und Beispiele, wo die Technologie in Zukunft hingehen kann, beschreibt Obrist in ihrem populärwissenschaftlichen Buch „Multisensory Experiences“ (multisensorische Erfahrungen). Es ist im Herbst 2020 erschienen, beim Schreiben war das Coronavirus noch kein Thema. Dennoch ist es nun laut Obrist eine zusätzliche Untermauerung, „wie wichtig unsere Sinne sind, speziell in einer Zeit, in der das alltägliche Leben so beeinflusst wird von Technik“.<BR /><BR /> „Unsere Forschung ist sehr jung“, ist sich Obrist bewusst, dass vieles daraus erst in 10, 20 Jahren im Alltag verankert sein dürfte. „Und die neuen Technologien müssen nicht überall sein“, meint Obrist. Sinnvoll sei ihre Anwendung im medizinischen, Unterhaltungs- und Bildungsbereich. „Wenn mehrere Sinne beim Lernen involviert werden können, werden die Inhalte besser aufgenommen“, verdeutlicht Obrist.<BR /><BR /><b>Verschlossene Inhalte zugänglich machen</b><BR /><BR /> Die Integration von Gerüche- und Gefühl-Tracks in Konzert und Theater würde Blinden und Tauben ansonsten verschlossene Inhalte zugänglich machen. Gerade im universitären und sozialen Bereich würde so der Erfahrungsbereich ausgedehnt. Das verlangt allerdings laut Obrist noch Forschung, etwa darüber was das passende Äquivalent für Farbe und Leinwand ist, um ein Kunstwerk über taktile, geschmackliche und olfaktorische Reize zu beschreiben.<BR /><BR />Das Buch von Carlos Velasco und Marianna Obrist „Multisensory Experiences: Where the senses meets technology“ ist im Verlag Oxford University Press erschienen.