Wie der junge Mann sein Leben mit Asperger gestaltet, warum er sich für den Schutz von Haien einsetzt, was passiert, wenn ihn ein Thema nicht mehr loslässt und warum ihn die Spezies „Mensch“ abstößt, hat er gegenüber s+ erzählt.<BR /><BR />David wirkt gelassen, der Blick konzentriert. Er mag es, alleine durch Brixens Altstadt zu flanieren. Sein Augenmerk liegt auf den Füßen der Passanten: „Ich suche nach Menschen, die dieselben paar Schuhe tragen“, sagt er. Detailwahrnehmungen wie diese helfen dem 19-Jährigen dabei, die Flut an visuellen Eindrücken ein Stück weit zu ordnen: nach Farben, Formen und Zahlen. <BR /><BR /><b>Zwischen klassischem Bild und Wirklichkeit</b><BR /><BR />David wurde mit dem Asperger-Syndrom geboren. Im Frühjahr 2019 erhielt er die Diagnose. Für seine Mutter Anna war David allerdings immer schon besonders: „Ich hatte von Beginn an eine gewisse Ahnung. Doch mein Umfeld beteuerte mir, David wäre mit Sicherheit nicht autistisch veranlagt, da er ja freundlich sei und Blickkontakt halten könne.“ Ein Fehlschluss. Denn: In den Köpfen vieler Menschen habe sich ein bestimmtes Bild von Menschen mit Autismus eingebrannt, mittels dem sie Betroffene zu charakterisieren versuchen, ist auch David überzeugt. „Das klassische Bild des Autisten, der inselbegabt ist, keine Gefühle zeigen kann und soziale Kontakte eher meidet als knüpft, ist ein reines Klischee.“ <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="764825_image" /></div> <BR /><BR />Natürlich gebe es bestimmte Wesenszüge, die alle Autisten betreffen, wie etwa sich wiederholende und stereotype Verhaltensweisen sowie Auffälligkeiten in der sozialen Interaktion und Kommunikation. Dennoch unterscheide sich jeder Autist merklich vom anderen, merkt der Brixner an. <BR /><BR />Elisabeth Callegari, Psychologin des Fachzentrums für Autismus in Südtirol „Il Cerchio – Der Kreis“ legt dar, dass gemäß dem italienischen Autismus-Observatorium in der obersten Gesundheitsbehörde ISS, ein Kind von 77 im Alter zwischen sieben und neun Jahren an der Autismus-Spektrum-Störung leide. Allein in Südtirol gebe es – laut Dr. Callegari – über 400 Fälle von Menschen mit Autismus, die zwischen 0 und 21 Jahre alt seien. Die Gesamtzahl an Autismusfällen in Südtirol sei dementsprechend noch höher. <BR /><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="764828_image" /></div> <BR /><b>Davids Einsatz für den Tier- und Umweltschutz</b><BR /><BR />Bereits im zarten Alter von drei Jahren erfreute sich David an einem Anatomie-Buch, das seiner Mutter gehörte. Stundenlang betrachtete er die darin abgebildete Gestalt und Struktur einzelner Körperteile, Organe und Zellen. Heute ist es der Tier- und Umweltschutz, der das Interesse des jungen Mannes weckt. Seit Längerem schon setzt sich David gegen das sogenannte „Shark Finning“ ein: „Diesen vom Aussterben bedrohten Meeresbewohnern werden die Flossen abgetrennt, oft noch bei lebendigem Leibe. Der Rumpf des Haies wird anschließend als überflüssiger Ballast über Bord geworfen. Und da die Haie nicht mehr schwimmen können, ersticken sie elendig“, erklärt er ausführlich. Hat David einmal ein Thema gepackt, lässt es ihn vorerst nicht mehr los. <BR /><BR />Dieses konzentrierte Interesse auf einem Gebiet führt seine Mutter Anna auf das Asperger-Syndrom zurück: „Er ist dann so drin in seinem Thema, dass er im Gespräch das Zeitgefühl verliert und niemand anderen mehr zu Wort kommen lässt.“ In solchen Fällen reiche es, David darauf aufmerksam zu machen. „Dann verstehe ich, was Sache ist“, schmunzelt David „und ich halte mich höflich zurück.“ <BR /><BR /><b>„Es ist die Spezies „Mensch„, die mich abstößt“</b><BR /><BR />Zu Menschen pflegt David ein zwiespältiges Verhältnis: „Ich mag Menschen eigentlich nicht.“ Dann spezifiziert er: „Nun, es ist nicht so, dass ich meine Mutter oder den Passanten hier nicht mag. Es ist die Spezies “Mensch„, die mich abstößt.“ Menschen seien zu sehr auf sich selbst fokussiert, fährt er fort. „Sie vergessen, die Andersheit wertzuschätzen. Wir sind nun mal nicht alle gleich, versuchen uns aber fortwährend anzupassen – aus Angst vor Ablehnung.“ <BR /><BR />Auch David erlebte Zurückweisung, besonders in der Grundschulzeit. Weil er in der Pause aufgrund seiner fein- und grobmotorischen Schwierigkeiten nicht mit den anderen Fußball spielen wollte, wurde er jahrelang gemobbt. Verbal und körperlich. <BR /><BR /><b>Klassische Lernmethoden nicht geeignet</b><BR /><BR />Eine zusätzliche Konzentrationsschwäche machte David während des Unterrichts zu schaffen. Klassische Lernmethoden bereiteten ihm zusehends Mühe: „Ich verstehe die Lerninhalte. Allerdings brauche ich aufgrund meiner Konzentrationsschwierigkeiten einfach länger als andere. Und diese zusätzliche Zeit steht mir nicht immer zu“, erklärt der 19-Jährige. <BR /><BR />Außerdem sei nicht jede klassische Lernmethode auf Davids Bedürfnisse angeschnitten, wie auch seine Mutter weiß: „Ich erinnere mich, als sich David in der Grundschule eine eigene Methode angeeignet hatte, um Divisionen zu lösen. Diese wurde von der Lehrperson allerdings nicht toleriert.“ In diesem Bereich gelte es, so die engagierte Mutter weiter, den Blick zu weiten und zu verstehen, dass die Anwendung einer einzigen Lerntechnik nicht für jedes Kind die richtige sei. Zudem wünsche sich Anna, dass klischeebehaftete Vorstellungen von Menschen mit Autismus langsam, aber sicher abgelegt werden: „Bevor sich die Leute von einem Thema wie Autismus ein eigenes Bild machen, sollten sie sich zunächst informieren und vielleicht mal mit Betroffenen direkt sprechen.“<BR /><BR /><b>Davids „Coming-out “ als Asperger</b><BR /><BR />Frühling 2019. David saß in der Schulklasse, als ihn starkes Unwohlsein überkam. Die Lehrer, seine Mitschüler, die schlechte Note in Mathe – alles nervte ihn zusehends. Es kam zu einem „Overload“: „Nach der Schule rannte ich nach draußen, auf der verzweifelten Suche nach einem Ort, an dem ich runterkommen konnte“, erzählt er rückblickend. „Die negativen Gefühle stauten sich so sehr an, dass ich nicht mehr klar denken konnte. Ich war „überladen„ und musste mich so schnell als möglich wieder abreagieren.“ <BR /><BR />Ohne irgendjemanden zu informieren, rannte der damals 16-Jährige aus seiner Schule zur ziemlich weit entfernten Industriezone und von dort aus wieder in Richtung Innenstadt zurück. Schließlich fand David in einer Bibliothek die nötige Ruhe. Nach diesem Ereignis stellte man ihm offiziell die Diagnose „Asperger-Syndrom“. Kurze Zeit später „outete“ er sich vor seinen Klassenkameraden, in der Hoffnung, mehr Verständnis zu erfahren. <BR /><BR />Was die Inklusion von Menschen mit Autismus anbelange, habe Südtirol noch einen langen Weg vor sich, meint Davids Mutter Anna. Sie erzählt von Supermärkten in Florenz, die auf die Licht- und Geräuschempfindlichkeit von Menschen mit Autismus zugeschnitten sind, genauso wie von einer eigenen Schule für Autisten in Mailand, die in Zusammenarbeit mit Unternehmen die Schüler auf den Arbeitsalltag vorbereitet. Für die Realisation solcher Projekte sei jedoch finanzielle Hilfe nötig, die zum Teil den betroffenen Familien selbst fehle, betont die Brixnerin mit Blick auf die Sozialpolitik, während David von seinem Spaziergang in der Stadt nach Hause kommt. Er wirkt ruhig – und gelassen. <BR /><BR /><BR /><BR /><BR />