<b>43 Jahre waren Sie im Dienst der ladinischen Schule. Wie hat sie sich in dieser Zeit verändert?</b><BR />Edith Ploner: Als ich begonnen habe zu unterrichten, war der Unterricht und die ganze Schulorganisation ziemlich anders. Der Direktor war damals noch eine Autoritätsperson. Der Unterricht war vorwiegend frontal und es gab noch keine Computer an den Schulen.<BR /><BR /><b>Wann war das?</b><BR />Ploner: Das war 1981. Ich war damals 19 Jahre alt, wurde von 2 Direktoren kontaktiert, ob ich nicht unterrichten wollte. Ich habe mich damals für meine Herkunftsschule entschieden. Mein Universitätsstudium habe ich dann nebenher absolviert.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-66592727_listbox" /><BR /><BR /><BR /><b>Also hat sich Ihrer Meinung nach vor allem das Ansehen von Lehrpersonen und Direktoren geändert?</b><BR />Ploner: Nicht nur. Es hat sich viel in der Pädagogik getan. Die Unterrichtsmethoden haben sich geändert: Früher gab es kaum fächerübergreifende Projekte, heutzutage sind sie gang und gäbe. Der Schritt vom Fachwissen zu den Kompetenzen ist noch im Gange. Man denke auch an den Eintritt der Digitalisierung in der Schule. <BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-66592728_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>In Südtirol ist wieder die Diskussion um den muttersprachlichen Unterricht aufgeflammt. Könnte das ladinische Modell die Lösung sein, da Deutsch und Italienisch hier gleichwertig sind?</b><BR />Ploner: Das ladinische Bildungssystem ist ganz bestimmt inklusiv: Es gibt in den ladinischen Tälern nämlich nicht die Möglichkeit, zwischen mehreren Modellen zu wählen. Das System ist anspruchsvoll, vor allem für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund oder für jene, von anderen Schulrealitäten, die während ihrer Schulkarriere zu uns kommen. <BR /><BR /><b>Haben sich die sprachlichen Unterschiede bei den Schülern und Schülerinnen im Laufe der Zeit vergrößert?</b><BR />Ploner: Ja, vor allem weil es heutzutage knapp 200 Schüler und Schülerinnen mit Migrationshintergrund an den ladinischen Schulen und Kindergärten gibt. Das hat es früher nicht gegeben. Aber auch die individuellen Sprachkompetenzen der Kinder und Jugendlichen sind sehr unterschiedlich: Bereits beim Eintritt in den Kindergarten gibt es ein-, zwei- oder dreisprachige Kompetenzen, gelegentlich auch mehr und darauf aufbauend gilt es diese zu fördern und weiterzuentwickeln. Früher war die Sprachlandschaft homogener. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1074180_image" /></div> <BR /><BR /><b>Ist es da nicht an der Zeit, über Sonderklassen nachzudenken, um das Sprachniveau starker Schüler nicht zu gefährden?</b><BR />Ploner: Eine Sonderklasse wäre nie vorstellbar. Kinder haben in allen Klassen unterschiedliche Kompetenzen, nicht nur im sprachlichen Bereich. Es gibt nicht DAS Modell der perfekten Einsprachigkeit und auch nicht der perfekten Zwei- oder Dreisprachigkeit. Es gibt Unterschiede zwischen den Schülern und Schülerinnen, allein aufgrund der unterschiedlichen Begabungen, die Kinder mitbringen. Kinder und Jugendliche lernen gemeinsam und bilden eine bunte Gemeinschaft, die ein Reichtum darstellt und nicht als Problem angesehen werden soll. <BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-66593374_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Ein weiteres Diskussionsthema in Südtirol ist der akute Lehrermangel.</b><BR />Ploner: Es stimmt, es ist nicht leicht, qualifizierte Lehrpersonen für alle Bildungsstufen und Fächer zu finden. Seit Längerem gibt es in bestimmten Fächern das Problem. Das hat aber schon vor 20 Jahren begonnen, vor allem in Fächern, die sehr spezifisch sind.<BR /><BR /><b>Was, glauben Sie, ist die Ursache?</b><BR />Ploner: Der lange Ausbildungsweg, um zu einem unbefristeten Arbeitsvertrag zu kommen und die Gehälter der Lehrpersonen. Zudem sind für das ladinische Bildungssystem die Zweisprachigkeitsprüfung und eine eigene Ladinischprüfung Zugangsvoraussetzung. Die hohen Wohnungsmieten in den ladinischen Tälern schrecken mögliche auswärtige Lehrpersonen ab. Wir hatten schon qualifizierte Lehrpersonen von außerhalb der beiden Täler, die deswegen abgesprungen sind. Und das Problem wird sich in den kommenden Jahren verschärfen, wenn keine Lösungen gefunden werden.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1074183_image" /></div> <BR /><BR /><BR /><b>Wie geht es dann weiter?</b><BR />Ploner: Es ist an der Zeit, den Kollektivvertrag für die Lehrpersonen zu erneuern. Es braucht einen Inflationsausgleich und eine Gehaltsverbesserung. Aber nicht nur. Es bräuchte auch mehr Anerkennung für den Beruf vonseiten der Gesellschaft, um den Beruf attraktiver zu machen. Für mich ist es einer der schönsten Berufe, die es gibt, aber zunehmend anspruchsvoll, was die geforderten Kompetenzen anbelangt.<BR /><BR /><b>Hat sich die Situation an den Schulen in den vergangenen Jahren generell verschlechtert?</b><BR />Ploner: Es gab auf jeden Fall viele Neuerungen. Ob das nun gut oder schlecht ist, ist nicht leicht zu beurteilen. Die Schule ist komplexer geworden, aber auch weltoffener. In meinen 43 Dienstjahren ist vor allem auch die Achtsamkeit gegenüber den einzelnen Schülern und Schülerinnen gewachsen. Man versucht jetzt mehr, die Talente der Jugendlichen zu fördern, und weniger, zu strafen. Das ist sicher positiv.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-66593580_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Läuft man da nicht Gefahr, dass das Bildungsniveau der Schüler sinkt?</b><BR />Ploner: Die Fähigkeiten und Kompetenzen der Jugendlichen sind sehr unterschiedlich. Von einem allgemeinen Bildungsniveau zu sprechen, ist wohl nicht leicht. Oft ist die Schule noch nicht imstande, auf die Talente der Schüler und Schülerinnen einzugehen. Das Wissen, das die Schule vermittelt, reicht heutzutage längst nicht mehr für ein ganzes Leben aus – man muss sich ständig weiterbilden und dazulernen. <BR /><BR /><b>„Sitzenbleiben“ ist außer Mode gekommen, wollen Sie damit sagen.</b><BR />Ploner: Ich bin keine Verfechterin der Wiederholungen, außer in Ausnahmefällen, da ich der Meinung bin, dass man mit 19 Jahren die Oberschule abschließen sollte, um sich dann neuen Wegen öffnen zu können. In Mitteleuropa haben die meisten schon mit 18 Jahren eine Matura.<BR /><BR /><b>Vor welchen Herausforderungen steht die Schule?</b><BR />Ploner: Jahr für Jahr gibt es neue Herausforderungen, Hürden und Stolpersteine. Langfristig gesehen sollte das Ziel der Schule sein, jeden einzelnen Schüler und jede einzelne Schülerin individuell zu fördern. Das ist für mich die größte Herausforderung.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1074186_image" /></div> <BR /><BR /><BR /><b>Wie schaut es mit der Künstlichen Intelligenz (KI) aus?</b><BR />Ploner: KI ist natürlich auch eine große Herausforderung. Die Schüler und Schülerinnen sind meistens schon bewanderter als die Lehrpersonen. Man muss verstehen, welche Gefahren dahinterstecken, und ihnen den richtigen Umgang beibringen. <BR /><BR /><b>Meistens werden neue Technologien wie Smartphones oder KI an den Schulen einfach verboten. Ist das der richtige Weg?</b><BR />Ploner: Für mich nicht. Die Aufgaben an die Schüler und Schülerinnen müssen so formuliert werden, dass sie nicht mit der KI ausgeführt werden können. Ich bin absolut nicht für Verbote. Es braucht aber klare Regeln, damit ein sinnvoller Umgang mit den neuen Technologien möglich ist, denn sie werden in unserem Leben nicht mehr wegzudenken sein. <BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-66593585_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Für Sie beginnt jetzt ein neuer Lebensabschnitt. Haben Sie schon Pläne?</b><BR />Ploner: Ich habe mehrere Projektideen, möchte jetzt aber erst einmal eine Zeit lang ausatmen können. <BR /><BR /><b>Welche 3 Tipps geben Sie Ihrem Nachfolger oder Ihrer Nachfolgerin mit auf den Weg?</b><BR />Ploner: Ein Schulamtsleiter muss sich gut vernetzen können. Er oder sie braucht eine gute Zeiteinteilung und soll auf ein gutes Zusammenspiel zwischen der Landesdirektion, der Bildungsverwaltung und den Kindergarten- und Schuldirektionen achten. Die Freude an der Arbeit ist dabei das Grundlegendste.