In einer Zeit, in der sich jeder Zweite vegan oder vegetarisch ernährt und immer mehr Leute ihren Hund wie ein Kleinkind verhätscheln, stehen die Jäger unter Generalverdacht, stellt unser Autor fest. <BR /><BR /><BR />„Gut!, sehr gut!“, sagt Tomas Walzl, und beschreibt mit seiner Rechten einen Halbkreis über eine waldumrahmte Wiese. Wie hingewürfelt sprenkeln weiße, blaue und zartviolette Tupfer das Grün, Teppiche blühender Krokusse. Zwar enthalte das krautige Gewächs aus der Familie der Schwertlilien einen Stoff, der beim Menschen zu Durchfall, Übelkeit und Erbrechen führen könne, sagt Walzl. „Aber die Rehe stürzen sich darauf – für sie ist das hier ein Delikatessenladen.“ <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="763997_image" /></div> <BR />Was wiederum für uns gut ist, wegen der Rehe sind wir hier – genauer: wegen der Geißen, die demnächst, wenn das Gras höher gewachsen sein wird, hier in der Wiese ihre Jungtiere gebären. „Setzen“ heiße das in der Waidmannssprache, sagt Tomas Walzl. Mein Begleiter – rundliches Gesicht, weißer Haarschopf, in einem grünen Hemd steckend – ist Jäger. Und, kein Widerspruch, er liebt das Wild, das er totschießt. „Notgedrungen, wir müssen den Bestand regulieren“, sagt Walzl und hebt wie entschuldigend seine Schultern.<BR /><BR />Dass man ihnen vorwirft, lediglich auf Trophäen scharf zu sein – diese weitverbreitete Ansicht macht den Jägern zu schaffen. Sie finden das ungerecht. Daher haben sich an diesem Frühjahrstag in Vöran gleich vier Zunftvertreter eingefunden, um Imagepflege zu betreiben. Treffpunkt ist das Betriebsbüro von Edwin Pircher in der Handwerkerzone. „Heizungs- und Sanitäranlagen“ steht draußen neben der Eingangstür. Drinnen hängt ein Hirschgeweih an der Wand. <h3> „Grausame“ Jäger?</h3>Pircher, Revierleiter von Vöran, hat Kekse und einen Krug mit Wasser auf den Tisch gestellt. Neben dem Hausherrn und Tomas Walzl sitzen zwei weitere in Waldgrün gekleidete Männer am Tisch: Tobias Gamper, Jagdaufseher, und Siegfried Pircher, Bezirksjägermeister. Gamper, Berufsehre, hat ein wettergegerbtes Gesicht. Pircher, im Ruhestand, frisch gewählt als Bezirksjägermeister – „einer muss es ja machen!“ – hat ebenfalls eine Hautfarbe, wie man sie nur an der frischen Luft bekommt. <BR /><BR />Warum er nicht gleich eine Weinflasche geköpft habe?, fragt mit einem Grinsen Jagdaufseher Gamper den Hausherrn. Als der Bezirksjägermeister zum dritten Mal innerhalb von Minuten eine Nachricht auf seinem Handy liest, spottet einer: „Normalerweise heißt es, eine junge Freundin oder Ziegen muss man sich richten, wenn man viel Stress haben will - ihm scheint die Rente nicht gutzutun.“ <BR /><BR />Dann wird es ernst: In einer Zeit, in der sich jeder Zweite vegan oder vegetarisch ernährt und immer mehr Leute ihren Hund wie ein Kleinkind verhätscheln, stehen die Jäger unter Generalverdacht. Es sei doch verlogen, sein Schnitzel und seine Salami zu essen, um dann über die „grausamen“ Jäger herzufallen, schimpft Revierleiter Pircher. „Wir tun Sinnvolles!“, meint Jagdaufseher Gamper, etwa wenn die Jäger für Lichtungen in Nadelwäldern sorgen, damit sich der Auerhahn wohlfühlt.<BR /><BR /> „Dass wir auf alles schießen, was sich bewegt – das stimmt einfach nicht!“, sagt unter beifälligem Kopfnicken Siegfried Pircher. Das Gegenteil sei richtig: Das Herumstreifen im Wald, die Natur beobachten und dabei die Zeit vergessen, darum gehe es. „Ansprechen“ tue man das Wild, es ins Auge fassen, sein Alter, das Geschlecht und die „konditionelle Verfassung“ feststellen, erfahre ich. Soweit sei es aber gekommen, dass man sich heute fast schämen müsse, mit einem erlegten Wild ins Tal herunterzukommen! Dabei sei die Jagd früher als edles Handwerk geachtet worden, so ändern sich die Zeiten! <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="764000_image" /></div> <BR /><BR />Thomas Walzl hat bisher wenig gesagt, das Reden scheint er lieber anderen zu überlassen. Aber er spielt hier eine wichtige Rolle. Er ist nämlich ein Kitz-Retter und damit das Gegenbild zum „bösen“ Tiertöter. 16 Stunden habe am Stück dagesessen, bevor er seinen letzten Bock schoss, sagt Walzl jetzt. „Davor bin ich garantiert 100 Stunden herumgepirscht!“ Und: Voriges Jahr habe er hier auf der Wiese einige Rehkitze in Sicherheit bringen können, bevor der Bauer mit der Mähmaschine darübergefahren sei. <BR /><BR />Wie die Rettung der süßen Neugeborenen mit dem braunweiß gepunkteten Fell funktioniert, führt Walzl später auf der Wiese hinter der Handwerkerzone vor, sie heißt Premar. Der Bauer aus Gargazon hat ein Plastikköfferchen geöffnet und greift nach einer Drohe mit Kamera, die er mit 4 Propellern surrend in die Luft steigen lässt. Einen Winter lang habe er studiert, dann eine Drohnenflug-Prüfung abgelegt, erzählt Walzl, während er das 6000 Euro teure Fluggerät – „kein Landesbeitrag, alles selbst bezahlt!“- anhand eines Kästchens mit Knöpfen und Hebeln über unseren Köpfen hin und her dirigiert. Auf dem Monitor blinken mal rot, mal blau, von der Wärmebildkamera erfasste Objekte auf. <h3> Um 4 Uhr morgens raus</h3>Das Problem: Nicht nur Lebewesen wie Rehkitze, oder, gerade jetzt, unsere Gruppe, strahlen Wärme aus. Sondern etwa auch sonnenaufgeheizte Steine oder Glasscherben. Daher muss Walzl, um Fehler zu vermeiden, um 4 Uhr morgens raus, mit Sonnenaufgang wird es zu warm. „Voriges Jahr war ich eine Woche lang jeden Tag im Morgengrauen unterwegs“, erzählt Walzl. So konnte er im Revier Vöran inmitten der Heuwiesen 17 Kitze aufspüren.<BR /><BR /> In Lederhandschuhen, in der Hand ausgerupfte Grasbüschel, um nicht den Menschengeruch zu übertragen, legte Walzl die hilflosen Neugeborenen in eine Kiste, die er dann am Wiesenrand deponierte. „Danach muss es schnell gehen – der Bauer muss die Wiese in wenigen Stunden gemäht haben, damit wieder Ruhe einkehrt.“ Wird das Rehkitz nämlich nicht alle paar Stunden gesäugt, stirbt es. „Es trocknet aus“, sagt Walzl. <BR /><BR />Eine Kitzrettung gibt es heute nicht. Die Wurfzeit wird erst in 14 Tagen beginnen. Im Wald nebenan stehen sicher einige Geißen herum, später, wenn es dämmert, werden sie zum Äsen auf die Wiese kommen, meint Tomas Walzl. Die Drohne zum Überprüfen losschicken will er nicht: „Das Wild soll seine Ruhe haben.“ Das Wild. Es liegt Walzl und seinen Zunftgenossen am Herzen. Als Nahrungsquelle, gewiss. Aber auch prinzipiell, als Lebewesen, aus Respekt. „Das Wildbret ehren“, nennt es Bezirksjägermeister Pircher, die Kollegen nicken. Klar, sagt Pircher: wenn er dann vor einem stehe, der Bock, dann sei der Puls gleich auf 180. „Es ist eine Passion.“ <h3> „Das vergisst man nicht so schnell“</h3>Wir sind auf dem Weg zurück zu den geparkten Autos, als Tomas Walzl nachdenklich seinen Kopf hin und herdreht. Er habe die Szene noch genau vor Augen, sagt der Bauer aus Gargazon, wie bei der letzten Rettungsaktion die Ricke ihr Kitz rief, lockend, verzweifelt und dann erleichtert, als der Nachwuchs antwortete. „Das Kitz lag sicher in einer Kiste am Wiesenrand. Wie die Geiß zögernd herantrat und dann mit der Schnauze die Kiste umwarf, das Kitz unter ihren Bauch schlüpfte und am Euter saugte – das vergisst man nicht so schnell!“<BR /><BR /> Sie sind eben zartbesaiteter, als sie sich geben, die Jäger. Mannsbilder mit klobigen Händen und einer Neigung zu markigen Sprüchen. Nicht zu verleugnen auch eine gewisse, nicht näher bestimmbare Freude am Schießen. Unnötig zu erwähnen, dass solche Ausdrücke: „sensibel, zart besaitet“, im Wortschatz dieser Naturburschen nicht vorkommen. Es klänge zu verweichlicht. Wie es sich gehört, mit einem schraubstockmäßigen Händedruck, verabschieden wir uns. <BR /><BR />