„Ich erinnere mich ganz genau an das, was ich im Krieg mitgemacht habe“, sagt Martha Ebner.<BR /><BR /><b>Wie war es für Sie, die Bilder aus Kiew zu sehen?</b><BR />Martha Ebner: Ich erinnere mich ganz genau an das, was ich im Krieg mitgemacht habe. Wenn ich sehe, wie die Leute in den U-Bahn-Schächten und Kellern sitzen, fällt mir ein, wie ich in einem ebensolchen Keller gesessen bin. Was man da für Ängste hat!<BR /><BR /><BR /><b>Lange waren wir in Europa verschont vom Krieg. Viele Menschen wissen nicht, wie sie mit der Bedrohung umgehen sollen. Wie kann man solche Angst aushalten?</b><BR />Ebner: Dazu kann ich nicht viel Rat geben. Ich erinnere mich, jedes Mal, wenn die Sirene geheult hat, bin ich in Panik geraten. Das Gefühl habe ich erst verloren, als der Krieg aus war. Selbst heute noch erinnere mich bei den Mittags-Sirenen an die Zeit – ganz zu schweigen davon, wenn man im Fernsehen sieht, wie die Bomben fallen. Das ist wirklich arg für mich. Jene, die es mitgemacht haben, können es nachfühlen.<BR /><BR /><BR /><b>Der Krieg dauert erst wenige Tage, doch sie fühlen sich jetzt schon an wie eine Ewigkeit.</b><BR />Ebner: Jeden Tag hofft man, dass es aufhört. Man hat schon Sorge. Wenn man sieht, wie die armen Kinder und die Frauen sich von ihren Vätern und Söhnen verabschieden müssen… Ich hatte einen Bruder, der mit 21 Jahren gefallen ist. Er war Flieger und ist über Nürnberg abgeschossen worden. Man weiß, wie die Eltern leiden, wie hart das ist. Daran denkt man auch, wenn man die jungen Männer sieht, die sagen, sie wollen ihr Land verteidigen. Man weiß nicht, ob sie am nächsten Tag noch leben. Ich muss auch immer an die vielen Mütter denken: Welche Ängste sie wohl ausstehen müssen! Das Schicksal der Ukrainer berührt uns besonders, weil das alles auch so nah ist. <BR /><BR /><embed id="dtext86-53126783_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Sehen Sie Parallelen zum Zweiten Weltkrieg?</b><BR />Ebner: Wie sich Präsident Putin gibt: Da hat man schon den Eindruck, dass er ein Diktator ist. Parallelen sehe ich im Schicksal der Menschen: Sie erleben das, was die Leute damals mitmachen mussten. Wenn man zurückdenkt, wie alles überall bombardiert war… Es gibt einen Film über Bozen nach der Bombardierung: Ich erinnere mich, dass mir erst beim Anschauen so richtig bewusstgeworden ist, wie groß die Zerstörung tatsächlich war. Was in der Ukraine passiert, ist eine Katastrophe. Die Leute müssen anstehen für Lebensmittel. Das war alles schon da, man hat es selber miterlebt. Wir haben alle geglaubt, dass das in Europa nicht mehr möglich wäre – nicht im Entferntesten. <BR /><BR /><BR /><b>Es gibt viel Not, aber auch überraschend viel Gegenwehr der Ukrainer.</b><BR />Ebner: Das ist beeindruckend. Im Ersten Weltkrieg sind die Kaiserjäger mit Begeisterung in den Krieg gezogen. Das war auch beim Zweiten Weltkrieg so: Wie viele Freiwillige auch bei uns in den Krieg gegangen sind! Die Leute in der Ukraine sind vielleicht noch impulsiver…aber es ist so ähnlich wie damals. Keiner denkt, morgen könnte er nicht mehr da sein.<BR /><BR /><embed id="dtext86-53126784_quote" /><BR /><BR /><b>Sie waren an der Seite von Kanonikus Michael Gamper selbst aktiv gegen die faschistische und nationalsozialistische Unterdrückung. Wie haben Sie den Mut dazu aufgebracht?</b><BR />Ebner: Das Risiko, das wir eingegangen sind, kann ich schwer beschreiben. Man hat einfach im Unterschied zu anderen der Realität ins Auge gesehen. Ich hatte gesehen, wie fanatisch die Nationalsozialisten waren. Der Kanonikus hat flüchten müssen. An das Risiko denkt man in dem Moment nicht. Die Überzeugung, die man hat, die lebt man einfach.<BR /><BR /><BR /><b>Sie haben in der schwierigen Optionszeit gegen die Nazipropaganda gearbeitet: Wie wichtig sind gute Informationen in Kriegszeiten?</b><BR />Ebner: Anno dazumal hat man ein- oder zweimal am Tag den so genannten Wehrmachtsbericht empfangen – über Mittag, wo es die Leute haben hören können. Man ist darüber informiert worden, wie viele Schiffe untergegangen sind, wie viele Feindflieger gezählt wurden… Man hat nur „Sieg – Sieg – Sieg“ gehört. Ich kann mich noch erinnern, dass ich daheim oft gesagt habe: „Jetzt siegen sie, aber morgen ist alles anders“. Das hätte man gar nicht laut sagen dürfen. Die einzige Nachrichtenquelle waren die englischen Sender. Sich diese Nachrichten anzuhören, war ganz streng verboten. Man hat es halt im Geheimen getan. Andere Informationen als jene der Nationalsozialisten hat man sonst nicht bekommen.<BR /><BR /><BR /><b>Die westliche Welt steht geschlossen zur Ukraine: Haben wir unsere Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg gezogen?</b><BR />Ebner: Die EU ist aufgewacht. Noch vor ein paar Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass Deutschland so viel Geld für Aufrüstung zur Verfügung stellt wie jetzt. Sie haben gemerkt, dass sie sich wehren müssen. Wir können nur hoffen… Ein 60 Kilometer langer Konvoi aus Panzern rollt auf Kiew zu: Das kann man sich nicht vorstellen. Man kann nur hoffen, dass sich alle vielleicht doch noch an einen Tisch setzen. <BR /><BR /><BR /><b>Zur Person:</b><BR /><BR />Martha Ebner, am 6. Juni 1922 in Bozen geboren, musste Faschismus und Nationalsozialismus miterleiden. Sie arbeitete in der Verlagsanstalt Athesia als rechte Hand ihres Onkels, Kanonikus Michael Gamper. 1944 heiratete sie Toni Ebner (†1981) aus Aldein und unterstützte ihn beim Aufbau der SVP. Sie leitet die „Südtiroler Frau“. Martha Ebner ist Mitgründerin von „Frauen helfen Frauen“ und der Krebshilfe sowie Trägerin des Ehrenzeichens des Landes Tirol. <BR />