Bereits im Mutterleib wurde bei Matteo diese besonders seltene Hirnfehlbildung festgestellt. Die Eltern entschieden sich dennoch für das Kind. Die ersten Jahre waren für die kleine Familie ein Kraftakt. Heute aber bestreitet sie ihren Alltag mit viel Zuversicht – und hilft anderen Betroffenen in aller Welt.<BR /><BR /><BR />Mutter Sabine Bertagnolli erinnert sich noch an die schwierigen ersten Jahre mit ihrem heute 15-jährigen Sohn, als wäre es gestern gewesen: „Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, dass ich nicht Schuld trage an der Erkrankung von Matteo.“ <BR /><BR /><b>Komplikationen bei der Schwangerschaft</b><BR /><BR />Bei einer routinemäßigen Voruntersuchung wurde bei Matteo bereits im Mutterleib eine Hirnfehlbildung festgestellt. Da es sich um eine sehr seltene zerebrale Ausprägung handelte, waren sich die Ärzte bis zum Zeitpunkt der Geburt nicht sicher, ob Matteo tatsächlich beeinträchtigt sein würde. „Demnach waren mein Mann und ich noch recht zuversichtlich. Wir wollten uns dem Glauben nicht verwehren, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen. Erst als mein Sohn dann – unmittelbar nach seiner Geburt am 18. Februar 2006 – auf die Intensivstation verlegt worden war, erkannten wir die Schwere der Situation“, erzählt die Mutter. <BR /><BR />Für die beiden frisch gebackenen Eltern brach eine Welt zusammen. Eine Welt, in der mit der Geburt ihres ersten Sohnes viele Erwartungen steckten. <BR /><BR />Kräftezehrende Stunden folgten. Nur zu bestimmten Zeiten durfte die Mutter zu ihrem Sohn auf die Intensivstation. „Ich lag mit anderen Frauen im Krankenhauszimmer, die ihre Kinder bei sich haben konnten. Und ich, ich war alleine.“<BR /><BR /><b>Diagnose: semilobäre Holoprosenzephalie (HPE)</b><BR /><BR />Auch nach der Geburt konnten die Ärzte keine genaue Diagnose stellen und konfrontierten die junge Familie mit den unterschiedlichsten Folgeerscheinungen. Von Beginn an mussten Sabine Bertagnolli und ihr Mann Roberto Fratucello mit der Unsicherheit leben, nicht zu wissen, was ihrem Sohn genau fehlte: „Wir befanden uns in einer völligen Dunkelheit. Die Erkrankung von Matteo konnte alles und nichts bedeuten“, so die Mutter. <BR /><BR />Dann stellte der zuständige Neuropsychiater zunächst eine leichtere Form der sogenannten Holoprosenzephalie fest. Zahlreiche Visiten und Untersuchungen später führte die Osteopathin Helene Schenk die Eltern dann doch zur richtigen Diagnose: Matteo leidet an einer semilobären Holoprosenzephalie (siehe Infobox unten), eine schwerwiegendere Ausprägung der Holoprosenzephalie. Betroffen sind sowohl das Vorderhirn mit neurologischen Störungen, als auch das Gesicht – mit Anomalien unterschiedlicher Schweregrade. <BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-52324322_listbox" /><BR /><BR /><BR />Gemeinsam mit Physiotherapeuten und Ärzten gelang es den Eltern, die Anfangszeit mit Matteo gut zu überbrücken. Sabine Bertagnolli kündigte ihren Job und konzentrierte sich voll und ganz auf ihren Kleinen, der aufgrund seiner bereits auftretenden Lähmungserscheinungen besonders intensiv betreut werden musste, wie sie erzählt: „Mein Mann und ich wurden zu den exklusivsten Physiotherapeuten meines Sohnes ernannt.“ Abends, als Matteo schlief, vertiefte die engagierte Mutter ihr Wissen mit reichlich Videomaterial, welches ihnen die Physiotherapeuten zur Verfügung gestellt hatten. <BR /><BR /><b>„Fragte mich, ob ich was falsch gemacht hatte“</b><BR /><BR />Gleichzeitig kämpfte die junge Mutter nachts mit Albträumen und einem unsäglichen Schuldgefühl: „Ich fragte mich ständig, ob ich während der Schwangerschaft irgendetwas falsch gemacht hatte. Ich wäre fast in eine langwierige Depression verfallen.“ Mit der Zeit fand Sabine Bertagnolli allerdings schrittweise wieder die Kraft, den Strudel negativer Gedanken hinter sich zu lassen. Das geschah nicht zuletzt auch für Matteo, der auf ihre Unterstützung angewiesen war.<BR /><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="724772_image" /></div> <BR /><BR />Um ihrem Sohn ein ganz normales Leben zu ermöglichen, besuchten sie oft den örtlichen Kinderspielplatz: „Dort beobachtete ich, wie Kinder ohne Beeinträchtigung meinen Sohn anstarrten und Abstand hielten. Das verletzte mich. Ich lernte jedoch mit der Zeit, dass ich aktiv auf Kinder und Eltern zugehen muss, um sie über meinen Sohn aufzuklären.“ <BR /><BR />Diese intensive Inklusionsarbeit setzte Sabine Bertagnolli auch in der Schule fort, und so wuchs Matteo zu einem aufgeschlossenen Jungen heran, der heute soziale Kontakte nicht scheut – im Gegenteil: „Matteo ist ein wunderbar aufgeschlossener Mensch. Er hat einen großen Freundeskreis, der Menschen mit Beeinträchtigung und Menschen ohne Beeinträchtigung zusammenführt. Davon profitieren alle. Auch ich habe dadurch gelernt, den Menschen wertfrei und so unvoreingenommen als möglich zu begegnen“, betont die Mutter.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="724775_image" /></div> <BR /><BR /><b>Der gemeinnützige Verein „Amigos de Matteo“ entsteht</b><BR /><BR />2008 kehrte die kleine Familie dem Alltag zwischen Visiten und Krankenausbesuchen für einige Wochen den Rücken zu. Ihr Ziel: Sal Rei, eine Stadt im Nordwesten der kapverdischen Insel Boa Vista. In einem Hotel lernte die Familie eine einheimische Frau kennen. Sie erzählte, dass auch ihr Sohn an einer körperlichen Beeinträchtigung leide, jedoch keinen Rollstuhl besäße. „Sechs Monate später brachten wir dieser jungen Frau einen Rollstuhl von Matteo. Und das war die Geburtsstunde unseres gemeinnützigen Vereins „Amigos de Matteo„“, so Sabine Bertagnolli, die in Folge zur Präsidentin des Vereins wurde. <BR /><BR />Bei ihrem ersten Aufenthalt begann die Familie bereits mit der Planung der Hilfsarbeit, indem sie zunächst eine Liste erstellte, mittels der sie möglichst alle Inselbewohner mit Beeinträchtigung erfasste. In den folgenden Jahren flogen die drei dann gemeinsam mit einer Physiotherapeutin nach Boa Vista, um all jenen Menschen eine Behandlung zu ermöglichen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="724778_image" /></div> <BR /><BR />Mit dem ehrenamtlichen Projekt „Amigos de Matteo“ setzt sich Sabine Bertagnolli auch für die Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigung in Südtirol und dem Trentino ein: „Für mich bedeutet Inklusion, gesucht und geliebt zu werden, nicht aus Mitleid, sondern aus purer Freude heraus.“ Dabei sei es ihr wichtig, nicht nur ihren Sohn, sondern alle Menschen mit Beeinträchtigung, an normalen Freizeitbetätigungen wie etwa Zumba tanzen oder Segeln teilhaben zu lassen.<BR /><BR />„Vor allem junge Menschen mit Beeinträchtigung sollten ihren Alltag gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen ohne Beeinträchtigung leben können, um nicht immer als “der oder die Andere„ wahrgenommen zu werden. Auch „normale„ Kinder können viel von Kindern mit Beeinträchtigung lernen, ganz besonders den Umgang mit Menschen“, betont sie.<BR /><BR /><b>Das Ehrenzeichen der Republik erhalten</b><BR /><BR />Für ihr großes Engagement wurde Sabine Bertagnolli als Präsidentin der Vereinigung „Amigos de Matteo“ am Tag der italienischen Republik (2. Juni 2021) der „Cavaliere“-Titel verliehen, ein Ehrenzeichen, das an Personen vergeben wird, die sich durch besonderes soziales Engagement auszeichnen. <BR /><BR />Für Ulrich Seitz, Direktor des Dienstleistungszentrums für das Ehrenamt, sind Vereine wie „Amigos de Matteo“ dazu da, Ängste und Vorurteile gegenüber Menschen mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen abzubauen und Hemmungen abzulegen<BR />