„Anders als heute hatten Wandergesellen ursprünglich keine andere Wahl, als loszuziehen. Damals ging es ums nackte Überleben. Man war auf sich allein gestellt, Wandergesellen untereinander verfeindet“, erklärt Friedrich Jacobi. Heute sehe das Ganze anders aus, Gesellen machen sich nicht mehr notgedrungen auf die Walz. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1109235_image" /></div> <BR /><BR />Obwohl sich die Tradition der Walz im Laufe der Jahre gewandelt hat, sind viele Regeln, Prinzipien und Verfahren nach wie vor unverändert, sodass ein Wandergeselle in seiner traditionellen Tracht für manche wie ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit wirken mag. Auch Jakob Tomalak (22) und Friedrich Jacobi (22) aus Norddeutschland wirken auf so manchen Zeitgenossen wie ein Relikt aus vergangenen Tagen. <BR /><BR />Tomalak, der seit rund 4 Wochen auf Wanderschaft ist und Jacobi, seit rund anderthalb Jahren auf der Walz, haben jüngst bei ihrer Gesellenwanderung auch Südtirol durchstreift. Wir haben die beiden Dachdecker aus Norddeutschland getroffen und nachgehakt, was es mit der Walz auf sich hat und wie sich die Tradition mit der Zeit gewandelt hat.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1109238_image" /></div> <BR /><BR /><b>Woher kommt die Tradition der Walz?<BR /></b>Friedrich Jacobi: Die Gesellenwanderung geht auf das Mittelalter zurück, als Mitteleuropa aus vielen kleinen Königreichen bestand. Aufgrund des Arbeitsmangels zogen damals viele Handwerker der Kirche hinterher; denn wo beispielsweise ein neuer Dom errichtet wurde, waren viele helfende Hände gefragt. In dieser Zeit waren Gesellen Rivalen, jeder musste sich allein durchschlagen. Mit der späteren Gründung von Gesellenvereinigung und deren Körpervereinigung schwand diese Rivalität allmählich. Auch die Öffnung der Grenzen und die gesellschaftlichen Umwälzungen der 1970er-Jahre trugen dazu bei, dass die Gewalt aus dem Alltag der Wandergesellen verschwand und das Überqueren von Ländergrenzen deutlich leichter wurde.<BR /><BR /><b>Wie hat sich die Walz im Vergleich zum Mittelalter verändert?<BR /></b>Friedrich: Dadurch, dass mehr Arbeit verfügbar ist, ziehen Wandergesellen im Gegensatz zum Mittelalter heutzutage nicht mehr los, weil sie keine andere Wahl haben; sondern um neue Handwerkstechniken kennenzulernen und um die Welt zu bereisen. Außerdem betrachten sich Wandergesellen untereinander nicht mehr als Rivalen. Es herrscht eine Brüderlichkeit, man unterstützt sich gegenseitig. Auch die Öffnung der Grenzen hat neue Möglichkeiten eröffnet und das Reisen erleichtert.<BR /><BR /><b>Kann ein jeder Handwerker auf die Walz? <BR /></b>Jakob Tomalak: Grundsätzlich dürfen nur Handwerker mit Gesellenbrief auf die Walz, die nicht eigenen Problemen davonlaufen wollen. Dementsprechend darf ein Wandergeselle keine größeren Vorstrafen auf dem Kerbholz haben, muss unverheiratet und kinderlos sein. Bevor es jedoch auf die Walz geht, muss ein Geselle von einem Wandergesellen losgebracht werden und sich als geeignet erweisen. Dies geschieht, indem beide für mehrere Monate gemeinsam unterwegs sind, sodass der Losgebrachte zeigen kann, wie er sich auf Wanderschaft bewährt. Ich selbst bin noch nicht auf der Walz, wurde aber vor etwa vier Monaten von Friedrich losgebracht.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1109241_image" /></div> <BR /><BR /><b>Gibt es bestimmte Regeln und Grundsätze während der Wanderschaft?<BR /></b>Jakob: Es gibt strenge Regeln, die ein Wandergeselle zu befolgen hat: Wir dürfen uns unserem Heimatort nicht weniger als 50 Kilometer nähern und müssen für mindestens 3 Jahre und einen Tag fortbleiben. Es darf weder Geld für Unterkunft noch für Transport ausgegeben werden, auch Handys sind tabu. Außerdem dürfen wir nur für unsere handwerklichen Dienstleistungen Geld verlangen und uns nicht mit damit bereichern, auf der Walz zu sein. In der Öffentlichkeit trägt ein jeder Wandergeselle stets die Kluft- unser traditionelles Gewand. Alles, was wir bei uns haben, bevor wir aufbrechen, ist ein Schlafsack, eine Geldbörse, unser Werkzeug, der Wanderstock und ein Wanderbuch. Es ist Zeugnis der Wanderschaft und darin werden besondere Aufenthaltsorte und die Firmen, bei denen wir gearbeitet haben, vermerkt.<BR /><BR /><b>Wie läuft der Aufbruch ab?<BR /></b>Friedrich: Früher war es üblich, dem Gesellen vor seinem Aufbruch ein Ohrloch zu schlagen. In den letzten 50 Jahren sind jedoch zusätzliche Bräuche hinzugekommen. Heute wird vor der Gesellenwanderung gemeinsam mit Familie und Freunden am Ortsschild der Heimatgemeinde eine halbe Flasche Schnaps getrunken. Diese wird dann vergraben, damit der Wandergeselle bei seiner Rückkehr seinen Angehörigen etwas zu trinken anbieten kann. Anschließend klettert der Geselle über das Ortsschild und bricht auf, ohne einen Blick zurück zu werfen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1109244_image" /></div> <BR /><BR /><b>Müsst ihr oft unter freiem Himmel schlafen?</b><BR />Friedrich: Es kommt vor. Da wir ohne Handy unterwegs sind, kommen wir oft ins Gespräch mit Menschen. Viele bieten uns dann eine Unterkunft oder anderweitige Hilfe an. Aber natürlich gibt es auch Situationen, in denen wir gezwungen sind, unter freiem Himmel zu schlafen.<BR /><BR /><b>Wie kam es dazu, dass ihr aufgebrochen seid?<BR /></b>Jakob: In der Schule kam ich über einen Vortrag zum ersten Mal mit dem Thema Gesellenwanderung in Berührung. Mich hat der Freiheitsgedanke dahinter gereizt, ich wollte schon immer viel reisen. <BR /><BR />Friedrich: Schon im Kindergarten habe ich zu meinen Eltern gesagt, „ich will um die Welt reisen.“ Als Pfadfinder hörte ich dann zum ersten Mal Lieder über Wandergesellen. Da man für die Walz nur wenig braucht – ein paar Euro, etwas Werkzeug, einen Wanderstock und einen Schlafsack – und ich ohnehin den Wunsch hatte, zu reisen und der Routine des Alltags zu entkommen, bin ich schließlich aufgebrochen.<BR /><BR /><b>Was vermisst ihr am meisten?<BR /></b>Jakob: Nichts, ich bin aber auch erst vor rund 4 Wochen aufgebrochen.<BR /><BR />Friedrich: Am meisten vermisse ich meine Familie und meine engsten Freunde. Aber auch meine Privatsphäre und mich hinter meinen eigenen 4 Wänden zurück ziehen zu können. Allerdings habe ich dies aufgegeben und gegen neue Erfahrungen und Bekanntschaften eingetauscht.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1109247_image" /></div> <BR /><BR /><b>Das Schönste an der Wanderschaft?<BR /></b>Jakob: So weit entfernt vom eigenen Alltag zu sein, ist eine Erfahrung, die man sonst kaum macht. Aber auch die Brüderlichkeit unter den Wandergesellen und in den Gesellenvereinigungen sind etwas ganz Besonderes für mich.<BR /><BR />Friedrich: Es ist besonders schön, wie herzlich wir aufgenommen werden und wie viele Menschen auf uns zukommen, um ihre Hilfe anzubieten.<BR /><BR /><b>Wohin hat es euch bisher getrieben?<BR /></b>Jakob: In den 4 Wochen, die ich nun bisher unterwegs war, hat mich meine Reise durch die Schweiz, nach Österreich, Deutschland und wieder zurück nach Italien geführt. <BR /><BR />Friedrich: In den anderthalb Jahren, die ich schon auf der Walz bin, zog es mich quer durch Europa – nach Dänemark, Schweden, Polen und Tschechien. Von Nürnberg aus reiste ich nach Rom, dann weiter nach Rumänien. Ich folgte dem Schwarzen Meer bis nach Istanbul und kehrte am Meer entlang wieder zurück.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1109250_image" /></div> <BR /><BR /><b>Wohin wollt ihr als nächstes?<BR /></b>Beide: Überallhin! Konkrete Zielen hat keiner von uns.