Der von seinen Landsleuten immer noch hoch geschätzte und seit Jahren als Kriegsverbrecher gesuchte Ratko Mladic war offenbar ahnungslos und suchte hinter seiner falschen Identität als Milorad Komadic Schutz.In einem unscheinbaren bäuerlichen Anwesen in der Provinz wurde der Ex-General der Serben - für viele ist er ein Star - aus den 90er-Jahren ohne große Zwischenfälle festgenommen. Er hatte bei einem Verwandten Unterschlupf gefunden. Dem geht es wirtschaftlich offensichtlich nicht so prächtig, worauf das rostige Eingangstor zum bescheidenen Hof hinweist. Die immer befürchtete Schießerei der Leibgarde um Mladic und das von ihm angedrohte Blutbad gab es nicht.In ersten Kommentaren zeigte sich der berühmte Mann auf der Straße tief enttäuscht. „Mladic hat uns jahrelang verteidigt, hat dem Staat geholfen und den Armen Essen gegeben“, lautet eine Zuschrift an die Zeitung „Blic“, die von vielen hundert Menschen unterstützt wurde. „Riesenverrat an Serbien“ und „Freiheit für die serbischen Heroen“, hieß es in anderen Kommentaren. Das ist verständlich: Selbst bei der letzten Umfrage sprachen sich noch 51 Prozent der Bürger gegen eine Verhaftung von Mladic aus.Der heimische Analytiker Zoran Dragis hat eine klare Antwort auf die Frage, warum Mladic nach so vielen Jahren gerade jetzt dingfest gemacht wurde. „Es bleibt der Eindruck, dass die Regierung in Serbien die ganze Zeit wusste, wo er sich versteckt“, sagte er der Belgrader Agentur Beta: „Und als jetzt die EU-Kandidatur bedroht wurde, musste man Mladic schnell aufspüren.“Die serbischen Medien jedenfalls waren völlig unvorbereitet. Die erste Meldung kam von einer Zeitung im Nachbarland Kroatien. Staatschef Boris Tadic beeilte sich dann auch bei der Veröffentlichung der sensationellen Nachricht, gleich als Gegenleistung die EU-Kandidatur seines Landes einzufordern. Dem wird sich Brüssel wahrscheinlich nicht entziehen können, auch wenn zentrale Reformen wie die Rückgabe des noch von den Kommunisten 1945 enteigneten Privateigentums immer noch auf sich warten lassen. Denn Mladic wurde bisher von vielen EU-Politikern als Bedingung aller Bedingungen für die Öffnung der EU-Tore verstanden.Staatspräsident Tadic, der alles und jedes im Land bestimmt und alle Fäden fest in der Hand hält, hat sich offensichtlich zu dieser hoch riskanten Strategie durchgerungen: Weil seine DS-Partei – einst mit Abstand stärkste Kraft im Land – dramatisch an Zustimmung verloren hat, benötigt er einen neuen Trumpf vor den nächsten Parlamentswahlen im kommenden Frühjahr. Angesicht einer darnieder liegenden Wirtschaft, einer völlig verunglückten Privatisierung sowie von Arbeitslosigkeit und sozialer Not soll die EU-Mitgliedschaft jetzt das neue politische Ass im Ärmel werden.Dazu müssen der Bevölkerung die Segnungen Brüssels nahe gebracht werden. Dafür bleibt bis zum Frühjahr noch genügend Zeit. Bis dahin, so hofft Tadic, werden alle Mladic-Fans die Vorteile von dessen Verhaftung eingesehen haben und ihm und seiner DS doch noch einmal eine Chance einräumen.dpa