Öffentliche Diskussionen und Gespräche über Depression – egal, ob fachlicher oder nicht fachlicher Natur – sind in vielerlei Hinsicht vorteilhaft: Davon ist Martin Fronthaler, Leiter des Therapiezentrums Bad Bachgart in Rodeneck, überzeugt. Birgt die Enttabuisierung dieses Themas aber auch Gefahren, wie zum Beispiel eine Banalisierung dieser ernstzunehmenden Erkrankung in der Alltagssprache? Darüber hat die s+ mit ihm gesprochen. <BR /><BR /><BR /><b>„Heute mal wieder depressiv?“ Eine Aussage, die mittlerweile oft herangezogen wird, um triste Gemütszustände zu beschreiben. Nehmen solche Aussagen der ernstzunehmenden Erkrankung Depression an Bedeutungswert?</b><BR />Martin Fronthaler: Grundsätzlich stimmt das. Vor allem Betroffene und Angehörige reagieren irritiert auf solche Aussagen. Ich für mich selbst halte aber doch daran fest, dass das mediale und zwischenmenschliche Sprechen darüber sehr wichtig ist, vor allem für Betroffene. Der Begriff ist nicht nur für den psychiatrischen Kontext „gepachtet“, er ist Besitz des allgemeinen Wortschatzes. Eine Aussage wie „Ich fühle mich depressiv“, kann und darf ruhig auch im Alltagsgebrauch für einen Stimmungseinbruch verwendet werden. <BR /><BR /><b>Worin liegt der Unterschied zwischen dem alltäglichen Gebrauch des Begriffs und der Beschreibung des psychischen Störungsbildes?</b><BR />Eine feststellbare Diagnose vom Fachpersonal hebt sich vom alltäglichen Gebrauch des Begriffes deutlich ab. Für eine Diagnosestellung braucht es ein paar Kriterien, die auch verallgemeinerbar sind. <BR /><BR /><b>Was sind solche allgemeine Kriterien, die der Erkrankung ein Gesicht geben?</b><BR />Eine Depression zeichnet sich dadurch aus, dass sie über mehrere Wochen aufrecht bleibt – in der Symptomatik eines Stimmungstiefs, von Niedergeschlagenheit und Antriebslosigkeit, über Schlafstörungen und Ängstlichkeit bis hin zu körperlichen Symptomen, wie etwa Kreislaufproblemen oder kognitiven Einbußen.<BR /><BR /><b>Welche Rolle spielt der Alltagsgebrauch dieses Begriffes dann?</b><BR />Der Begriff „Depression“ wird von vielen dafür genutzt, um eine Störung, an der sie leiden, die sie aber noch nicht dingfest machen und in Worte fassen können – zum Beispiel eine Essstörung oder auch eine Alkoholsucht – erstmals zu kommunizieren. Dann fassen sie auch den Mut, Hilfe zu suchen. Denn: Kommunikation ist das Um und Auf – auch bei psychischen Erkrankungen. <BR /><BR /><embed id="dtext86-56591882_quote" /><BR /><BR /><b>Also kann man von einem Modewort im positiven Sinne sprechen?</b><BR />Genau. Seien wir froh, dass dieser Begriff Einzug gefunden hat in unsere Alltagssprache. Der Begriff Burnout hat jenen der Depression übrigens geholfen, salonfähig zu werden. Burnout ist einfach erklärbar und einfach zu beschreiben. Vor allem aber ist der Begriff gesellschaftstauglich geworden! Wichtig festzuhalten ist allerdings: Burnout ist effektiv keine etablierte psychische Erkrankung, der Begriff hat vielen Menschen geholfen, sich an öffentliche Anlaufstellen zu wenden und offener über psychische Krisen zu sprechen. <BR /><BR /><b>Auch in den sozialen Netzwerken, wie Instagram und YouTube, die vorwiegend von jungen Menschen genutzt werden, sind psychische Erkrankungen präsent. Kann das auch gefährlich sein?</b><BR />Unterm Strich bin ich froh, dass auch diese Plattformen den Bann brechen, über die Depression und andere Störungsbilder zu sprechen. Ganz gewiss gibt es auch Blogger und Influencer, die sich ganz bewusst an eine bestimmte Gruppierung von Menschen wenden und damit Werbung machen und Geld verdienen. Das ist bedenklich. Wichtig ist es daher, sich auf ernsthafte und seriöse Profile zu konzentrieren, die über psychische Erkrankungen, persönliche Erfahrungen und Behandlungsmöglichkeiten informieren.<h3> Das sagt ein Betroffener</h3>Jemand, der genau weiß, wovon Martin Fronthaler spricht, ist Robert Pisetta. Er war bereits in Bad Bachgart in Behandlung. Das war im Sommer 2019. Seit einer gefühlten Ewigkeit trägt der gebürtige Branzoller die Depression mit sich herum, wie einen Rucksack, den man nie ablegt.<BR /><BR />Heute lebt und arbeitet der ausgebildete Sozialarbeiter in Wien. Aktuell ist er stabil – und dennoch gehören Antidepressiva zu seinem Alltag. „Meine Depression ist für mich eine dauerhafte Begleitperson. Es fühlt sich an, als wäre ich in einer Beziehung mit ihr“, sagt Pisetta. Die beiden koexistieren, wobei es auch immer wieder Momente gebe, in denen Pisetta mit seiner Depression heftige Auseinandersetzungen führe.<BR /><BR />„Wenn ich mir selbst entgleite, weil ich mal wieder zu wenig auf mich geachtet habe, dann verändert sich meine Grundgefühle, die ich Freude und Lebenslust nenne. Ich kann zwar immer noch Emotionen empfinden, hinter denen dann aber eine Leere steckt.“ Zu Beginn fiel es ihm schwer, diese Leere in Worte zu fassen, bis eine Fachperson bestätigte: Es ist Depression.<BR /><BR />Dieser Stand-by-Modus hält bei Pisetta teilweise Wochen und Monate an – und wird zur Belastungsprobe. Denn: Er ist nicht einfach schlecht drauf, sondern psychisch krank.<h3> „Vorsicht“ mit Begriffen</h3>Die Unterscheidung ist deshalb wichtig, weil das Abtun von Freud- und Antriebslosigkeit als „deprimiert“ oder „nicht gut drauf sein“ häufig verhindere, dass Betroffene sich professionelle Hilfe suchen. „Für ein Stimmungstief gibt es andere konkrete Bezeichnungen. Wenn jemand zu mir sagt „Ich bin depressiv„, dann gehe ich davon aus, dass diese Person bereits krank ist, obwohl sie es gar nicht ist. Und das nimmt dem Begriff einen bestimmten Wert.“ <BR /><BR />Denn: „Die Depression ist eine ernstzunehmende Erkrankung, die auch zum Tode führen kann“, wie Pisetta betont: „Ich sage in einem Moment der Euphorie ja auch nicht: “Heute bin ich überglücklich, also völlig manisch„. Deshalb: Vorsicht im Umgang mit den Begriffen!“<BR /><BR />Auch die Meinung des 29-Jährigen zum Thema soziale Netzwerke und zur Präsentation bzw. Inszenierung psychischer Erkrankungen auf Plattformen wie Instagram und YouTube geht klar in eine Richtung: „Was sehr wichtig ist, ist die Abklärung der Quellenlage. Sprich: Wer spricht und postet, welche Absicht steckt dahinter und woher holen sich diese Personen die Informationen? Die Inszenierung von psychischen Erkrankungen, mit denen Influencer heute Geld verdienen, das geht einfach nicht. Gerade bei einer so ernsten Erkrankung.“ Gerade vor einer Woche, so erzählt Pisetta, sei ein Bekannter von ihm an der wohl schlimmsten Folgen einer Depression <BR />gestorben: dem Suizid.<BR /><BR />