<b>Haben Sie 25 Jahre nach dem Tod Ihres Bruders noch Hoffnung, dass der oder die Täter eines Tages gefasst werden?</b><BR />Albin Gross: Natürlich schwindet die Hoffnung von Jahr zu Jahr. Aber dann sieht man im Fernsehen alte Fälle, die als Cold Case aufgerollt werden – und das motiviert einen wieder. Ganz habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben – auch aufgrund der DNA-Möglichkeiten. Als sich der Tod meines Bruders zum 10. Mal jährte, war ich mit der Familie in Magdeburg. Der Staatsanwalt sagte damals: Wenn keine neuen Indizien auftauchen, dann wird der Fall nicht mehr aufgerollt. Mord verjährt jedoch nie. Man müsste zuerst klären, ob es ein Unfall oder ein Mord war. Aber wo sollen die Indizien herkommen? Wir als Familie können nicht Indizien sammeln. Wir haben alles versucht – auch über Privatdetektive – aber es ist nichts herausgekommen. <BR /><BR /><b>Es gibt verschiedene Thesen, wie Ihr Bruder zu Tode gekommen ist. Welche halten Sie für die wahrscheinlichste?</b><BR />Gross: Von der Werkstatt komme ich, was mein Bauchgefühl betrifft, nie ganz weg. Am 6. März 1998, als es geschah, waren gegen 17 Uhr nur mehr 2 Mechaniker dort. Wir haben 10 Jahre danach die Werkstatt aufgesucht: Einer der beiden Mechaniker hat sich mit der Familie konfrontiert, der andere hingegen nicht. Warum war dieser Mechaniker nicht fähig, 10 Jahre nach dem Tod meines Bruders der Familie in die Augen zu schauen? Da macht man sich seine Gedanken. Und man kommt bei den Überlegungen von der Werkstatt nicht weg. Aber dieser Mechaniker wurde mehrmals befragt und es konnte nichts bewiesen werden. Der andere Mechaniker sagte uns, es tue ihm leid um die Familie und dass das alles passiert sei, aber er habe auch sehr viel mitgemacht und sehr viel darunter gelitten. Denn tagelang seien sie als Mechaniker befragt worden. Immer wieder sei die Polizei gekommen und sie seien auch von der Bevölkerung verdächtigt worden, obwohl sie unschuldig seien. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="872132_image" /></div> <BR /><BR /><b>Gehen Sie davon aus, dass der Täter irgendwann vielleicht doch Reue zeigen und sich stellen könnte, weil ihn das Gewissen drückt?</b><BR />Gross: Diese Hoffnung habe ich fast aufgegeben. Meine Lebenserfahrung hat mir gezeigt: Manche Leute haben kein Gewissen. Einmal hatte ich schon große Hoffnung, dass der Fall aufgeklärt würde. Ein Mann, der aus dem Knast entlassen wurde, meldete sich bei mir und behauptete, jemand im Gefängnis habe „aus der Schule geplaudert“. Ich habe dies dann sofort der Magdeburger Polizei weitergeleitet. Die Magdeburger Polizei ist der Sache auf den Grund gegangen, aber da hatte nur jemand fantasiert. Zeitlich hätte es mit dem Tatzeitpunkt nicht übereingestimmt. Die Polizei hat es dann wieder ad acta gelegt. Man wollte versuchen, aus der Hoffnung, die die Verwandtschaft hat, Kapital zu schlagen. Denn die Auslobung steht ja noch. <BR /><BR /><b>Es sind also nach wie vor 50.000 Euro Belohnung ausgesetzt für sachdienliche Hinweise, die zur Ergreifung des Täters führen?</b><BR />Gross: Ja. In dieser Gegend ist das sehr viel Geld. Aber in diesem Fall hat es nichts gebracht.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="872135_image" /></div> <BR /><BR /><b>Es gibt 4 Haare, die auf dem Mantel Ihres Bruders gefunden wurden – eine heiße DNA-Spur?</b><BR />Gross: Ich weiß nur von 2 Haaren. Wenn die DNA des Täters nicht registriert wird, weil er sich nie etwas zu Schulden kommen lässt, bleibt es eine große Unbekannte. In der Werkstatt wurde bei allen Mitarbeitern ein DNA-Abgleich durchgeführt – die Haare konnten weder ihnen noch den Sanitätern zugeordnet werden. <BR /><BR /><b>Gehen Sie nach wie vor davon aus, dass es irgendwie zu einem Eklat gekommen sein muss – zu einem Streit?</b><BR />Gross: Mein Bruder konnte, wenn etwas nicht klappte, sehr aufbrausend sein. In der Werkstatt hat man mir – nachdem mein Bruder tot aufgefunden worden war – erzählt, wie nett Karlheinz war und dass er Witze erzählte und freundlich war. Ich sagte schon damals: Solche Märchen könnt ihr mir nicht erzählen. Vielleicht hat mein Bruder damals falsch reagiert. Dass er nur wohlwollend zugeschaut hat, wie die Mechaniker zuerst die Kurbelwelle und dann das Getriebe ausgetauscht haben und erst dann draufgekommen sind, dass es nur das Kugellager war – so einen Pfusch hat Karlheinz sicherlich nicht lächelnd zur Kenntnis genommen.<BR /><h3> DIE FAKTEN ZUM MORD</h3>Es ist der 6. März 1998, gegen 18 Uhr: Ein Lkw-Fahrer findet im Industriegebiet Rothensee in Magdeburg einen schwer verletzten Mann. Er liegt am Rücken, blutet stark, ist nicht ansprechbar. Der Verletzte wird im Krankenhaus am Kopf notoperiert, doch trotz aller Bemühungen der Ärzte stirbt er 4 Stunden später. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="872138_image" /></div> <BR />Der Tote ist der 39-jährige Karlheinz Gross, Manager der „Kastelruther Spatzen“, die am Vorabend in Magdeburg aufgetreten sind. Sie reisten in der Folge zu ihrem nächsten Konzert nach Essen ab. Karlheinz Gross blieb zurück, da der Kleintransporter, in dem die Fanartikel waren, eigenartige Geräusche machte. Er wollte ihn in eine Werkstatt bringen und dann nachkommen. Doch die „Kastelruther Spatzen“ sollten ihren Manager nie wiedersehen. <BR /><BR />Im Jahr 2019 erhielt das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ Einblicke in die Ermittlungsakten der Magdeburger Polizei und konnte feststellen, dass diese nichts unversucht gelassen, um den gewaltsamen Todesfall zu klären: Eine Sonderkommission wurde eingesetzt, die unzählige Spuren auswertete und über 400 Zeugen befragte – die Fallakte wuchs über die Jahre auf knapp 5000 Seiten an. Und trotzdem: Bis heute liegt die Identität des Täters weiterhin im Dunklen. <BR /><BR />Im ersten Moment war nicht ausgeschlossen worden, dass Karlheinz Gross’ Verletzungen am Oberkörper auf einen Unfall zurückzuführen sein könnten, dass er in der unwirtlichen Gegend der Industriezone von einem Lastwagen erfasst worden sein könnte. Doch der Rechtsmediziner stellte klar, dass die schweren Kopfverletzungen eindeutig von Schlägen mit einem stumpfen, harten Gegenstand stammten – also ein Mord. <h3> Ermittler verfolgen 3 Spuren</h3>Die Ermittler gingen 3 Spuren nach. Eine führte zum damaligen Magdeburger Fanclub-Chef, mit dem es Unstimmigkeiten gegeben hatte und der von Karlheinz Gross abgesetzt worden war. Der Betreffende war am Tag nach der Tat als einer der ersten am Fundort von Karlheinz Gross aufgetaucht, machte mit verschiedenen Theorien zum Tathergang auf sich aufmerksam. Die Fahnder nahmen seine Fingerabdrücke, überprüften seinen Wagen, doch die Spur verlief bald im Sand: Der Mann hatte ein Alibi vorzuweisen.<BR /><BR />Im Verdacht hatten die Ermittler auch Mitarbeiter der Werkstatt, in die Karlheinz Gross den Kleintransporter gebracht hatte. Die Werkstatt befindet sind rund 3 Kilometer von dem Ort entfernt, wo Gross aufgefunden worden war. Karlheinz Gross hatte das Fahrzeug gegen 10 Uhr vorbeigebracht, doch der Schaden konnte lange nicht behoben werden. Gross blieb vor Ort, wurde immer nervöser, wie die Mitarbeiter bestätigten. Als kurz vor 17 Uhr feststand, dass der Kleintransporter an diesem Tag nicht mehr fertig werden würde, soll Gross zuerst einen Mietwagen bestellt, sich dann aber nach den Zugzeiten Richtung Nürnberg erkundigt haben. Doch plötzlich sei er verschwunden gewesen, beschieden die Werkstatt-Mitarbeiter der Polizei. <BR /><BR />Der Verdacht, dass es bei einem Streit mit einem der Mechaniker zu Handgreiflichkeiten gekommen sein und Gross in der Folge am Fundort abgelegt worden sein könnte, konnte durch die weiteren Ermittlungen nicht erhärtet werden – ebensowenig jener, dass Gross vor der Werkstatt von einem der vielen manövrierenden Fahrzeuge angefahren worden sein könnte. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="872141_image" /></div> <BR /><BR />Schließlich hatten die Fahnder auch den Lkw-Fahrer im Visier, der Gross gefunden hatte. Er soll nicht gleich geholfen haben, sondern zum Lager weitergefahren sein. Sein Chef, der nach etwa 5 Minuten eintraf, alarmierte die Rettung. Möglicherweise – so der Verdacht – hätte Gross sogar von diesem Lkw angefahren worden sein können. Doch als das Fahrzeug untersucht werden sollte, war es bereits ins Ausland verkauft worden, eine nachträgliche Spurensuche brachte nichts.<BR /><BR />Laut dem „Spiegel“-Bericht haben die Magdeburger Ermittler die Hoffnung, den tragischen Cold Case doch noch klären zu können, nicht aufgegeben. Am Mantel von Karlheinz Gross hatten sie nämlich 4 Haare von 3 verschiedenen Personen sichern können. Sollte eine diese Personen im Zuge der Ermittlungen zu einer anderen Straftat ins Visier geraten, kann ein DNA-Abgleich gemacht werden.<BR /><BR />