Im Gespräch erklärt Oberleiter auch, warum er einen anderen Weg geht als die die anderen „Puschtra Buibn“ und warum er diesen Schritt nicht als Vertrauensbruch und Rückschritt verstanden wissen will.<BR /><BR /><BR /><b>Herr Oberleiter, Sie wurden am Wochenende im Ahrntal willkommen geheißen. Wie haben Sie diese Tage erlebt?</b><BR />Heinrich Oberleiter: Es war unwahrscheinlich schön. Ich habe noch nie so viele Dankesworte gehört, dabei habe ich ja nichts Besonderes geleistet. Viele Leute habe ich seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen. Jetzt kamen sie, um mich zu treffen, ein Foto mit mir zu machen und um sich mein Buch signieren zu lassen. Es war einfach herrlich. Auch der Große Österreichische Zapfenstreich war ein sehr besonderes und ergreifendes Ereignis. <BR /><BR /><b>Sie sind nach Ihrer Begnadigung im Dezember erstmals legal eingereist, haben aber in Vergangenheit doch hin und wieder die Fahrt in die alte Heimat gewagt – auf die Gefahr hin, entdeckt und eingesperrt zu werden. Wie war die Reise jetzt für Sie?</b><BR />Oberleiter: Es war schön, mit einem beruhigenden Gefühl durchfahren zu können. Ich war aber nie ängstlich im Leben. Mir hat der Glauben immer großen Rückhalt gegeben. Und Angst kann sehr hinderlich sein. <BR /><BR /><b>Auf was haben Sie sich am meisten gefreut?</b><BR />Oberleiter: Ich habe mich gefreut, dass ich in diesen Tagen in einer Ferienwohnung auf dem Hof wohnen werde, auf dem ich in jungen Jahren Knecht war. Die Schwester des damaligen Bauern hat sich noch erinnert, dass ich sie mal mit dem Motorrad mitgenommen habe und ihr damit eine Riesenfreude bereitet habe. Das war mir damals gar nicht bewusst. Dann freue ich mich, noch einige Höfe hier im Tal zu besuchen, auf denen ich früher als Knecht und Hirte gearbeitet habe. Und natürlich darauf, meine Geschwister, Familie und Freunde zu treffen. Bisher waren größere Familientreffen nur in Nord- oder Osttirol möglich. Wir waren öfters im Defreggental, in Osttirol und im Stubaital auf Urlaub, da war es fast wie hier.<BR /><BR /><b>Familientreffen daheim wären zu gefährlich gewesen. Deswegen konnten Sie auch nicht bei den Beerdigungen Ihrer Eltern und einiger ihrer Geschwister dabei sein…</b><BR />Oberleiter: Das stimmt, aber ich habe darunter nicht sehr gelitten. Für mich haben sie im Herzen weitergelebt. Auch hier hat mir mein Glauben sehr geholfen. <BR /><BR /><b>Sie leben seit fast 6 Jahrzehnten in Bayern. Ist Südtirol, das Ahrntal, doch irgendwie Heimat geblieben oder ist das Bayern? Sind Sie „hoamkemm“?</b><BR />Oberleiter: Heimat sehe ich nicht so eng, das kann überall sein. Natürlich ist es hier wie „hoamkemm“, aber ich komme auch heim, wenn ich wieder nach Bayern zurückkehre. <BR /><BR /><b>Haben Sie in all den Jahrzehnten jemals daran geglaubt, wieder legal und unbehelligt einreisen zu dürfen?</b><BR />Oberleiter: Ja, gehofft und geglaubt habe ich eigentlich immer. Es ist schon viel gelungen, was lange unmöglich schien. <BR /><BR /><b>Trotzdem haben nicht Sie das Gnadengesuch gestellt, sondern Ihre Tochter…</b><BR />Oberleiter: Ja. Das war sehr viel Schreibarbeit, die zu erledigen war. Meine Tochter war einige Jahre damit beschäftigt. Ich war aber sehr dafür, habe immer gesagt: Probieren geht über Studieren. Studieren konnte ich damals nicht, also blieb nur mehr das Probieren. Mir war klar, dass eine Amnestie nie möglich sein wird. Dafür braucht es eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, das ist unmöglich. Wenn es also eine andere Möglichkeit gibt, dann probieren wir es.<BR /><BR /><embed id="dtext86-55399777_quote" /><BR /><BR /><b>Die anderen „Puschtra Buibm“ wollen eine Amnestie. Haben Sie noch Kontakt zu Ihnen?</b><BR />Oberleiter: Nein, jetzt nicht mehr. Wir haben auch ganz andere Lebenswege eingeschlagen. Für sie kommt nur eine Amnestie in Frage. Ich wollte einen anderen Weg gehen, der aber auch Schneid’ abverlangt. Mein Glaube hat mir auch da sehr geholfen. Wenn das als Vertrauensbruch und Rückschritt angesehen wird, dann ist das ein Problem. Gnade muss man auch annehmen können. Mir ist bewusst, dass ich viel Schaden angerichtet habe, das hätte ich nie wiedergutmachen können. Außerdem muss man nicht das ganze Leben lang gleich denken, das würde ja heißen, dass man nichts gelernt hat. Im Rückblick gesehen, war es für mich der richtige Weg.<BR /><BR /><b>Ihre Tochter sagt, vor der Begnadigung war das Buch, das Sie geschrieben haben, ein wichtiger Schritt in Ihrem Leben…</b><BR />Oberleiter: Ich habe seit 1964 alles genau aufgeschrieben. Irgendwie wollte ich diese ganzen Notizen zusammenfassen. Durch die italienische Schule, die ich damals besuchen musste, war meine deutsche Schrift nicht besonders gut. Ich habe dann einen Computerkurs für Senioren besucht und mir einen Computer zugelegt, der mir mit der automatischen Korrekturfunktion geholfen hat. Und mit der Historikerin Margareth Lun habe ich das Buch dann fertiggestellt.<BR /><BR /><b>Wenn Sie jetzt auf Südtirol schauen, was denken Sie?</b><BR />Oberleiter: Man sieht den Wohlstand im Land, alles ist anders als es damals war. Wie sagt man so schön: Die Leute haben sich verändert, aber die Berge sind die gleichen geblieben. Ich habe damals nur für die Gerechtigkeit für uns gekämpft. Aber Hass habe ich nie empfunden. Hass zerstört alles. <BR /><BR /><BR /><BR />ZUR PERSON<BR /><BR />Heinrich Oberleiter ist 1941 als viertes von 13 Kindern einer Bauernfamilie in St. Johann im Ahrntal geboren. Er war mit Anfang 20 einer der 4 „Puschtra Buibm“, die jahrelang Attentate verübten, vor allem auf Strommasten, die damals als Inbegriff der italienischen Unterdrückungspolitik in Südtirol galten. <BR />1963/64 floh er zunächst nach Österreich, dann nach Deutschland. In Abwesenheit wurden er und seine Mitstreiter in Italien zu 2 Mal lebenslänglicher Haft verurteilt. Oberleiter gründete in Gössenheim in Unterfranken eine Familie, zog 3 eigene und 2 Pflegekinder groß, bewirtschaftete zuerst einen Biobauernhof, betreute dann in der SOS-Dorfgemeinschaft Hohenroth Erwachsene mit Behinderung und pflegte 20 Jahre seine an Demenz erkrankte Frau, die vor 2 Jahren starb. <BR /><BR />Er fand Rückhalt in seiner sozialen Arbeit und im Glauben. So ließ er sich u.a. zum Wortgottesdienstleiter ausbilden. Dieser Lebensweg, seine Ablehnung von Gewalt und sein zum Ausdruck gebrachtes Bedauern führten im Dezember 2021 zu seiner Begnadigung durch Staatspräsident Sergio Mattarella. Seine Geschichte hat Oberleiter im Buch „Es gibt immer einen Weg. Heinrich Oberleiter – einer der Puschtra Buibm“ niedergeschrieben.