Und wie ist es bei Jugendlichen, die sich aufgrund einer Essstörung an den Rande des Todes hungern? Wie bei dementen oder anderweitig sehr kranken, pflegebedürftigen Personen? Welche Möglichkeiten haben Angehörige? Wir haben mit dem Juristen Ivan Werdaner von der Anwaltskanzlei KMFB über diese komplexe Thematik gesprochen.<BR /><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="862658_image" /></div> <BR /><b>Darf der italienische Staat eine Zwangsernährung bei Gefangenen vornehmen, die in Hungerstreik getreten sind, um Hafterleichterungen oder Entlassungen – wie derzeit Alfredo Cospito – zu erreichen?</b><BR />Ivan Werdaner: Zu allererst muss geklärt werden, dass eine Zwangsernährung als eine ärztliche Behandlung einzustufen ist. Das Staatsgesetz Nr. 833 vom 23 Dezember 1978 bestimmt, dass alle ärztlichen Behandlungen grundsätzlich freiwillig sind (Art. 33). Auch das neue Staatsgesetz über die Patientenverfügung (G. 219/2017) hat, um dem verfassungsmäßig verankerten Recht auf Selbstbestimmung gerecht zu werden, ausdrücklich vorgesehen, dass keine medizinische Behandlung ohne freie und informierte Einwilligung der betroffenen Person begonnen oder weitergeführt werden kann. <BR /><BR />Nach mehreren Mahnungen vonseiten des Verfassungsgerichtshofes und des Kassationsgerichtshofes, auch in Folge der medialen Fälle Welby, Englaro und Dj Fabo, hat der italienische Staat mit Gesetz Nr. 219/2017 unter anderem die Möglichkeit eingeführt, einer passiven Euthanasie zuzustimmen. Auf Grundlage des neuen Gesetzes kann jede Person eine eigene Patientenverfügung (sog. DAT oder „disposizioni anticipate di trattamento“) verfassen, in der sie darüber verfügt, wie mit ihr im Falle ihrer zukünftigen Entscheidungsunfähigkeit medizinisch verfahren werden soll. Das Gesetz bestimmt, dass jede handlungsfähige Person das Recht hat, auf jedwede vom Arzt für ihr Krankheitsbild vorgeschlagene diagnostische Untersuchung oder medizinische Behandlung ganz oder teilweise abzulehnen.<BR /><BR />Davon klar zu unterscheiden ist ein Sterbewille, der nichts mit den eben genannten, medizinisch-bedingten Fällen zu tun hat, sondern persönlich oder politisch begründet ist. Ein solcher Sterbewille wird von unserer Rechtsordnung nicht geschützt, aber auch nicht strafrechtlich verfolgt. (Weiter unten mehr dazu) Allein die Beihilfe und Verleitung zum Selbstmord vonseiten Dritter stellen strafrechtlich geahndete Taten dar. <BR /><BR />Unsere Rechtsordnung kennt dagegen Möglichkeiten sog. Zwangsbehandlungen oder medizinischer Zwangsmaßnahmen („trattamenti sanitari obbligatori“), die zum Schutze der Gesundheit der Einzelnen (Art. 32 der Verfassung) zur Anwendung gebracht werden können. Diese Maßnahmen dürfen nur in den von den Staatsgesetzen geregelten Fällen angewandt werden und müssen dabei die Würde des einzelnen Menschen und dessen politische und bürgerliche Rechte beachten. <BR /><BR />Eine Zwangsmaßnahme wird auf Vorschlag der behandelnden Ärzte und unter Bestätigung eines Amtsarztes provisorisch vom zuständigen Bürgermeister angeordnet. Der Bürgermeister übermittelt dem Vormundschaftsrichter am Landesgericht innerhalb von 48 Stunden alle Akten und beantragt die Bestätigung der Maßnahme. Innerhalb der darauffolgenden 48 Stunden bestätigt der Richter die Anordnung oder erklärt die Maßnahme für beendet. Die Einweisung in einem Krankenhaus bzw. die Durchführung der Behandlung kann aber trotzdem fortgesetzt werden, wenn der Betroffene der Maßnahme freiwillig zustimmt.<BR /><BR /><b>Welche Maßnahmen sind im Fall Cospito zu erwarten?</b><BR />Werdaner: Im Falle des im 41bis-Regime inhaftierten Alfredo Cospito hat die Präsidentin des Überwachungsgerichtes von Mailand, Dr. Giovanna Di Rosa, mehrmals erklärt, dass der Zustand des Betroffenen kontinuierlich überwacht wird und bei Bedarf die zuständigen Stellen eingreifen werden. Auch mehrere Mitglieder der Staatsregierung haben bereits angekündigt, im Falle der Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Inhaftierten alles Nötige in die Wege zu leiten, damit diesem eine geeignete medizinische Behandlung zur Verfügung gestellt wird. <BR /><BR />Cospito hat sich bereits mehrmals klar gegen eine Zwangsernährung ausgesprochen und erklärt, dass er, falls nötig, im Kampf gegen das 41bis-Regime, auch seinen Tod in Kauf nimmt. <BR /><BR />Laut Gesetz 219/17 (Patientenverfügunsgesetz) hätte Cospito die Möglichkeit, für den Fall einer zukünftigen Verschlechterung seines Gesundheitszustandes, die seine Entscheidungsunfähigkeit bewirkt, über zukünftige medizinische Eingriffe zu verfügen bzw. diesen zuzustimmen oder diese abzulehnen. Im Sinne des Gesetzes Nr. 219/2017 gelten auch die künstliche Ernährung und die künstliche Flüssigkeitszufuhr als medizinische Behandlungen, da es sich um die Verabreichung von Nahrung mithilfe medizinischer Vorrichtungen auf ärztliche Anweisung hin handelt.<BR /><BR />Es scheint noch unklar zu sein, ob Cospito eine gültige Patientenverfügung verfasst hat (auch unter Berücksichtigung seines Status als Inhaftierter und der für die Verfügung gesetzlich vorgesehenen Formvorschriften) und die eventuell darin enthaltene Ablehnung der Zwangsernährung im gegenständlichen Fall einer allfälligen Anordnung des Bürgermeisters im Rahmen einer medizinischen Zwangsmaßnahme entgegengehalten werden könnte. <BR /><BR />Dagegen spricht die Tatsache, dass Cospitos Aufenthalt im Gefängnis den Staat dazu verpflichtet, für seine Gesundheit sowie körperliche und psychische Unversehrtheit Sorge zu tragen. Der Staat übernimmt diesbezüglich eine wichtige Verantwortung. So könnte in Kürze auch das nationale bioethische Komitee (CNB, „comitato nazionale per la bioetica“) - ein beratendes Organ der Regierung - mit der Beantwortung dieser heiklen, sowohl juristisch als auch ethisch und politisch relevanten Frage beauftragt werden. Dieses Komitee hat sich bereits vor 13 Jahren über die Verantwortung des Staates bei Selbstmorden in Gefängnissen geäußert und eine „bioethische Leitlinie“ veröffentlicht, die auch im vorliegenden Fall zur Anwendung kommen könnte. Das Komitee ist damals zum Schluss gekommen, dass die Sicherheit der Gefangenen eine Pflicht der Gefängnisverwaltung sei, die somit für die „Verhinderung von Selbstmorden“ verantwortlich ist.<BR /><BR />Andererseits hat sich, auch dank des Gesetzes von 2017, die Meinung der obersten nationalen und überstaatlichen Gerichte dahingehend geändert, dass mittlerweile der Wunsch des betroffenen Patienten auf Ablehnung eines medizinischen Eingriffes als ein fast unantastbares Recht angesehen werden muss. Diese Ansichtsweise würde den Ärzten im Ernstfall verbieten, die medizinische Zwangsmaßnahme der Zwangsernährung durchzuführen, sofern Cospito sich dagegen ausspräche oder seine Ablehnung vorab in einer Patientenverfügung kundgetan hat. <BR /><BR />Schließlich sei noch erwähnt, dass am 24. Februar der Kassationsgerichtshof darüber entscheiden wird, ob die vom zuständigen Überwachungsgericht ergangene Entscheidung über die Abweisung des Antrages von Cospito auf Aufhebung des 41bis-Regimes bestätigt oder aufgehoben wird. Aufgrund des andauernden Hungerstreiks wurde die Verhandlung bereits zum zweiten Male vorverlegt. Das oberste Gericht kann den Antrag der Verteidigung abweisen, die Akte zurück zum Überwachungsgericht für eine neue Beurteilung des Begehrens von Cospito verweisen oder gar selbst über den Antrag entscheiden. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="862751_image" /></div> <BR /><BR /><b>Bei Cospito ist es ja so, dass er aufgrund seines Zustandes vom Gefängnis ins Krankenhaus gebracht wurde. Der Staat ermöglicht ihm die bestmögliche Versorgung, kann aber an der lebensgefährlichen Situation an sich nichts ändern…</b><BR />Werdaner: Jeder Häftling hat das Recht, vom Gefängnis ins Krankenhaus gebracht zu werden, wenn medizinische Behandlungen notwendig sind, die nicht im Gefängnis durchgeführt werden können (Art. 11 Gesetz 354/1975). Dies entspricht auch dem Grundsatz laut Art. 32 Abs. 1 der Verfassung, wonach die Gesundheit ein Grundrecht ist und dementsprechend geschützt wird. Diese Bestimmung muss aber mit zwei weiteren verfassungsrechtlichen Grundsätzen koordiniert werden: Zum einen ist die persönliche Freiheit unverletzlich (Art. 13 Abs. 1 Verfassung), zum anderen darf niemand zu einer bestimmten medizinischen Behandlung gezwungen werden (Art. 32 Abs. 2 Verfassung).<BR /><BR />Damit übereinstimmend sieht Art. 1 Abs. 5-6 des Gesetzes 219/2017 vor, dass jede handlungsfähige Person das Recht hat, jegliche vorgeschlagene medizinische Behandlung abzulehnen. Außerdem kann jede handlungsfähige Person jederzeit ihre Einwilligung zur medizinischen Behandlung zurückziehen, auch wenn die Behandlung dadurch unterbrochen wird. Wenn ein Patient lebenswichtige medizinische Behandlungen ablehnt oder darauf verzichtet, muss ihm der Arzt die Folgen dieser Entscheidung und mögliche Alternativen aufzeigen sowie Maßnahmen veranlassen, um den Patienten zu unterstützen, auch durch Hinzuziehung psychologischer Betreuungsdienste. Der Arzt ist gesetzlich verpflichtet, den Willen des Patienten zu respektieren und haftet dementsprechend auch nicht für die Folgen der freien Entscheidung des Patienten.<BR /><BR />Mit diesen Bestimmungen hat der Gesetzgeber die bereits bestehende Rechtsprechung kodifiziert, laut der das Recht auf Eigenbestimmung und auf persönliche Freiheit einer jeden Person die Möglichkeit implizieren, auch dann medizinische Behandlungen abzulehnen bzw. auf diese zu verzichten, wenn diese Entscheidung den Tod der betroffenen Person zur Folge hat (Kassationsgerichtshof, Urteile Nr. 21748/2007 und Nr. 4460/2014; Staatsrat, Urteil Nr. 3058/2017).<BR /><BR />Im gegenständlichen Fall ist weiters relevant, dass sowohl die künstliche Ernährung als auch die künstliche Flüssigkeitszufuhr als medizinische Behandlungen gelten, da es sich dabei um die Verabreichung von Nahrung mithilfe medizinischer Vorrichtungen auf ärztliche Anweisung hin handelt (Art. 1 Abs. 5 Gesetz 219/2017). <BR /><BR />Somit sind die Informationen, wonach Herr Cospito zwar ins Krankenhaus gebracht wurde aber nicht zwangsernährt wird, keinesfalls widersprüchlich: Einerseits muss ihm die Möglichkeit geboten werden, die bestmögliche medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen, andererseits darf man ihn aber - sollte er zurechnungsfähig sein - zu keiner medizinischen Behandlung (einschließlich künstlicher Ernährung und Flüssigkeitszufuhr) gegen seinen Willen zwingen.<BR /><BR /><b>Wir haben das Thema bereits vorhin kurz angerissen, nun noch mal eine vertiefende Frage dazu: Was ist, wenn der Gefangene einen eindeutigen Sterbewillen ausdrückt und den Hungerstreik bis zum Tod durchziehen will?</b><BR />Werdaner: In Italien sind sowohl die Tötung mit Einwilligung des Getöteten als auch die Beihilfe zum Selbstmord strafrechtlich relevant und werden mit einer Gefängnisstrafe bestraft (Artt. 579 und 580 Strafgesetzbuch). Somit ist auch jede Art der Tötung oder der Beihilfe zur Selbsttötung einer Person strafbar, die ausdrücklich ihren Todeswunsch geäußert hat. Davon ausgenommen sind nur jene Fälle, in denen einer Person zum Suizid verholfen wird, die unheilbar krank ist, von lebenserhaltenden Maßnahmen abhängt, nicht aushaltbare physische oder psychische Schmerzen erleidet und die ihren Todeswunsch selbstständig, frei und mit voller Willens- und Zurechnungsfähigkeit ausgedrückt hat (Verfassungsgerichtshof, Urteil Nr. 242/2019).<BR /><BR />Einer Person mit ausdrücklichem Todeswunsch zum Suizid zu verhelfen ist somit strafbar, sofern nicht alle Voraussetzungen laut vorgenanntem Urteil vorliegen. Wenn eine Person hingegen krank ist, so steht ihr im Sinne und nach Maßgabe von Art. 1 Abs. 5 Gesetz 219/2017 zu, jede medizinische Behandlung abzulehnen bzw. auf diese zu verzichten – auch wenn diese den Tod der betroffenen Person zur Folge hat (passive Euthanasie).<BR /><BR />Es steht außerdem jeder volljährigen und zurechnungsfähigen Person zu, für den Fall, dass sie in Zukunft nicht mehr selbst entscheidungsfähig ist, eine Patientenverfügung zu verfassen, in der sie ihren Willen in Bezug auf medizinische Behandlungen äußert. In der Patientenverfügung kann auch eine Vertrauensperson ernannt werden, die im vorgenannten Fall die betroffene Person in den Beziehungen zum Arzt vertritt (Art. 4 Abs. 1 Gesetz 219/2017). Der behandelnde Arzt ist verpflichtet, die Patientenverfügung zu respektieren. Er kann davon nur im Einvernehmen mit der Vertrauensperson abweichen, wenn sie offensichtlich unangebracht ist, dem momentanen klinischen Zustand des Patienten nicht Rechnung trägt oder wenn es Therapien gibt, die bei der Unterzeichnung der Patientenverfügung noch nicht vorhersehbar waren, die aber konkrete Möglichkeiten der Verbesserung der Lebensbedingungen bieten (Art. 4 Abs. 5 Gesetz 219/2017).<BR /><BR />Die obgenannten Grundsätze sind allesamt auf den Fall eines Gefangenen mit ausdrücklichem Todeswunsch anwendbar: Dessen Tötung bzw. dessen Beihilfe zum Selbstmord sind strafbar. Wenn der Gefangene krank ist, hat er das Recht, auf alle medizinischen Behandlungen zu verzichten. Für den Fall, dass er zukünftig nicht mehr selbst entscheidungsfähig sein sollte, kann er eine Patientenverfügung verfassen, in der er präventiv auf alle lebenserhaltenden medizinischen Behandlungen verzichtet.<BR /><BR /><b>Es kommt hier ja zu einer Kollision der Interessen seitens des oder der Hungerstreikenden wie auch des Staates. Eine Zwangsernährung schränkt diverse Grundrechtspositionen ein, bedeutet aber nicht gleichzeitig eine Verfassungswidrigkeit dieser, oder?</b><BR />Werdaner: Es kommt, wie auch vorhin bereits erwähnt, in unserer Rechtsordnung immer wieder zu Kollisionen zwischen Grundrechtsprinzipien, bei denen ein Prinzip die Überhand gewinnt und das andere vernachlässigt werden muss. Das beste Beispiel ist die Inhaftierung von Strafanfälligen.<BR /><BR /><b>Wie sieht es mit einer Zwangsernährung von Jugendlichen aus, die an einer Essstörung leiden und sich an den Rande des Todes hungern. Dürfen hier Ärzte auf Wunsch der Eltern eingreifen?</b><BR />Werdaner: Bis zur Erreichung des 18. Lebensjahrs sind Jugendliche minderjährig und als solche handlungsunfähig (Art. 2 Zivilgesetzbuch). Bis zur Volljährigkeit werden Minderjährige von ihren Eltern gesetzlich vertreten, die im Namen der Minderjährigen gültige Rechtshandlungen vornehmen und Entscheidungen für sie treffen können (Art. 320 Zivilgesetzbuch). Diese Entscheidungsbefugnis umfasst auch medizinische Behandlungen. Minderjährige haben zwar das Recht auf Wertschätzung ihrer Verständnis- und Entscheidungsfähigkeit, weswegen sie auch über die Wahlmöglichkeiten hinsichtlich ihrer Gesundheit informiert werden müssen, damit sie ihren freien Willen äußern können. <BR /><BR />Allerdings wird die informierte Einwilligung zur medizinischen Behandlung des Minderjährigen von den Personen gegeben oder abgelehnt, die die elterliche Verantwortung für den Minderjährigen ausüben. Dabei wird zwar der Wille des Minderjährigen berücksichtigt, allerdings muss das Ziel verfolgt werden, das Leben sowie die körperliche und geistige Gesundheit des Minderjährigen zu schützen (Art. 3 Abs. 1-2 Gesetz 219/2017). Sollten die Eltern eine vorgeschlagene medizinische Behandlung ablehnen, der Arzt aber der Ansicht sein, dass diese Behandlung angemessen und erforderlich ist, so obliegt die Entscheidung dem Vormundschaftsgericht (Art. 3 Abs. 5 Gesetz 219/2017). <BR /><BR />Somit können sowohl die Eltern entscheiden, ihre minderjährigen Kinder einer notwendigen medizinischen Behandlung unterzuziehen, als auch das Vormundschaftsgericht entgegen den Willen der Eltern, sofern dies zum Schutze des Lebens oder der körperlichen oder geistigen Gesundheit des Minderjährigen notwendig ist.<BR /><BR /><b>Was, wenn die oder der Jugendliche eine Patientenverfügung verfasst hat, wo er dies ausdrücklich verbietet...</b><BR />Werdaner: Für die Verfassung einer rechtlich gültigen Patientenverfügung muss der Verfasser eine volljährige und zurechnungsfähige Person sein (Art. 4 Abs. 1 Gesetz 219/2017). So gelten auch für diese Frage die unter Punkt 7 getätigten Ausführungen: Der Wille des Minderjährigen wird zwar berücksichtigt, aber an oberster Stelle steht der Schutz seines Lebens und seiner Gesundheit. Seine Eltern dürfen medizinische Entscheidungen für ihn treffen und, sollten die Entscheidungen der Eltern nicht dem Interesse des Minderjährigen entsprechen, kann das Vormundschaftsgericht über die Ablehnung der Eltern hinweg die medizinische Behandlung autorisieren.<BR /><BR /><b>Wie ist es mit der Möglichkeit einer Zwangsernährung bei dementen, alten oder sehr kranken Personen?</b><BR />Werdaner: Sowohl die künstliche Ernährung als auch die künstliche Flüssigkeitszufuhr gelten als medizinische Behandlungen, da es sich dabei um die Verabreichung von Nahrung mithilfe medizinischer Vorrichtungen auf ärztliche Anweisung hin handelt. Gleichzeitig hat jede handlungsfähige Person das Recht, jede vorgeschlagene medizinische Behandlung abzulehnen. Außerdem kann jede handlungsfähige Person jederzeit ihre Einwilligung zur medizinischen Behandlung zurückziehen, auch wenn die Behandlung dadurch unterbrochen wird. Wenn ein Patient lebenswichtige medizinische Behandlungen ablehnt oder darauf verzichtet, muss ihm der Arzt die Folgen dieser Entscheidung und mögliche Alternativen aufzeigen sowie Maßnahmen veranlassen, um den Patienten zu unterstützen, auch durch Hinzuziehung psychologischer Betreuungsdienste (Art. 1 Abs. 5 Gesetz 219/2017). Der Arzt ist gesetzlich verpflichtet, den Willen des Patienten zu respektieren und haftet dementsprechend auch nicht für die Folgen der freien Entscheidung des Patienten (Art. 1 Abs. 6 Gesetz 219/2017). <BR /><BR />Somit können alte und sehr kranke Personen, die handlungsfähig (also volljährig und nicht entmündigt) sind, frei entscheiden, ob sie sich künstlich ernähren lassen wollen oder nicht. Der behandelnde Arzt muss ihre Entscheidung respektieren und ist von jeglicher Haftung für die allfälligen Folgen (inklusive Verschlechterung des Zustandes und Tod des Patienten) befreit. Grundsätzlich scheint dasselbe Prinzip auch für demente Personen zu gelten. Als Voraussetzung für die Ablehnung bzw. den Verzicht auf die medizinische Behandlung wird nämlich ausdrücklich nur die Handlungsfähigkeit und nicht auch die Zurechnungsfähigkeit des Patienten genannt. Sollte der Patient aber aufgrund seiner Demenz ganz oder teilweise entmündigt worden sein oder wurde ein Sachwalter bestellt, finden die Bestimmungen gemäß Art. 3 Abs. 3-5 Gesetz 219/2017 Anwendung: Die Entscheidung über die medizinische Behandlung der voll entmündigten Person wird vom Vormund gefällt, nachdem er (falls möglich) die entmündigte Person angehört hat. <BR /><BR />Wie beim Minderjährigen ist aber auch bei der voll entmündigten Person der Schutz der körperlichen und geistigen Gesundheit sowie des Lebens der Person das Ziel. Im Falle einer beschränkt entmündigten Person fällt diese selbst die medizinischen Entscheidungen, die sie betreffen. Falls ein Sachwalter bestellt wurde und die Bestellung die Vertretung in Gesundheitsangelegenheiten umfasst, wird die Entscheidung vom Sachwalter gefällt, der aber den Willen der betroffenen Person berücksichtigen muss. Sollte der gesetzliche Vertreter der entmündigten Person oder der Sachwalter eine medizinische Behandlung ablehnen, die der behandelnde Arzt aber für angemessen und erforderlich hält, so obliegt die Entscheidung auch hier dem Vormundschaftsgericht. <BR /><BR />Davon ausgenommen sind jene Fälle, in denen die betroffene Person vor der Entmündigung bzw. vor der Bestellung des Sachwalters bereits eine Patientenverfügung verfasst hatte, in der sie die Entscheidung bereits selbst getroffen hat.<BR /><BR />