Die einzige Ursache der Krankheit könnte die Bildung von RNA- und Proteingranula in den Nervenzellen sein, ein Prozess, der normalerweise als Reaktion auf Stresszustände auftritt, aber manchmal chronisch werden kann. Diese neue Theorie wurde von Forschern der Arizona State University in einem Artikel in der Zeitschrift Alzheimer's & Dementia vorgeschlagen.<BR /><BR />Die Studie könnte Jahrzehnte fragmentierter Forschung unter einem gemeinsamen Erklärungsansatz vereinen – doch es gibt auch Skepsis.<BR /><BR /><BR />Jahrzehntelang suchten Forscher weltweit nach den Ursachen der Alzheimer-Krankheit. Neben der berühmten Beta-Amyloid-Hypothese, die das Entstehen von Eiweißablagerungen im Gehirn als Hauptauslöser sieht, standen auch entzündliche Prozesse, genetische Mutationen und Umweltfaktoren im Fokus. Nun präsentiert ein Team der Arizona State University in einer neuen Studie, die in der Fachzeitschrift Alzheimer's & Dementia erschienen ist, eine vereinigende Theorie, die all diese Aspekte zusammenführen soll.<BR /><BR />Die Forscher um Paul Coleman postulieren, dass eine Fehlfunktion sogenannter „Stressgranula“ im Zentrum der Alzheimer-Pathologie stehen könnte. Dabei handelt es sich um vorübergehende Ansammlungen von RNA und Proteinen, die sich in Zellen unter Stressbedingungen bilden. Normalerweise dienen sie als Schutzmechanismus, um nicht lebenswichtige Prozesse vorübergehend zu unterbrechen und der Zelle Zeit zur Erholung zu geben. Doch unter bestimmten Umständen, so die Hypothese, könnte dieser Mechanismus chronisch werden und die Kommunikation zwischen Zellkern und Zytoplasma blockieren. Das würde zu einer Störung der Proteinproduktion führen und zahlreiche zelluläre Funktionen aus dem Gleichgewicht bringen – ein Effekt, der die bekannten molekularen Veränderungen bei Alzheimer erklären könnte.<h3> Revolutionärer Ansatz oder vereinfachte Sichtweise?</h3>Laut Coleman und seinem Team könnte dieser Mechanismus bereits lange vor den ersten klinischen Symptomen in Gang gesetzt werden – also noch bevor die für Alzheimer typischen Amyloid-Plaques und Tau-Fibrillen entstehen. Sollten sich die Erkenntnisse bestätigen, könnte das die Forschung grundlegend verändern. Die Bekämpfung der Alzheimer-Krankheit müsste sich dann nicht mehr primär auf Beta-Amyloid und Tau-Proteine konzentrieren, sondern auf das Früherkennen und gezielte Verhindern der pathologischen Stressgranula-Bildung.<BR /><BR />Doch nicht alle Experten teilen diesen Optimismus. Der renommierte Neurologe Paolo Maria Rossini vom IRCCS San Raffaele in Rom warnt in der italienischen Tageszeitung „la Repubblica“ vor einer zu einseitigen Betrachtung der Krankheit. „Die meisten Wissenschaftler sehen Alzheimer als multifaktorielle Erkrankung“, sagt Rossini dem Bericht zufolge. „Es ist unwahrscheinlich, dass es eine einzige Ursache gibt, die alle Fälle erklärt.“ Er verweist darauf, dass die Beta-Amyloid-Hypothese weiterhin nicht belegt sei, insbesondere weil sich Beta-Amyloid nicht in allen Alzheimer-Formen als primärer Auslöser nachweisen lasse.<h3> Neue Therapieansätze notwendig</h3>Trotz der Skepsis könnte die Theorie um die Stressgranula wichtige Impulse für die Alzheimer-Forschung liefern. Sollten sich Biomarker identifizieren lassen, die eine pathologische Granulabildung frühzeitig anzeigen, könnte dies neue diagnostische Möglichkeiten schaffen. Auch auf therapeutischer Ebene wäre ein Paradigmenwechsel denkbar: Statt auf das späte Auflösen von Amyloid-Plaques zu setzen, könnte man versuchen, die Fehlfunktion der Stressgranula von Beginn an zu verhindern.<BR /><BR />Rossini bleibt dennoch vorsichtig: „Wir wissen, dass Alzheimer viele Jahre vor dem ersten Symptom beginnt. Aber zu sagen, dass wir den ,ersten Dominostein‘ gefunden haben, ist verfrüht. Letztlich wird eine erfolgreiche Therapie wahrscheinlich aus einer Kombination verschiedener Ansätze bestehen.“<BR /><BR />Ob sich die neue Hypothese durchsetzt, bleibt abzuwarten. Fest steht jedoch: Die Alzheimer-Forschung bleibt weiter auf der Suche nach einem Schlüssel zum Verständnis dieser komplexen Krankheit.