Jorge Mario Bergoglio, am 13. März 2013 überraschend zum Nachfolger von Papst Benedikt XVI. gewählt, lässt mehr Nähe zu als jeder andere seiner Vorgänger. Er bewegt die Massen, erobert Herzen und findet in seinen Ansprachen immer den richtigen Ton. Gläubige und Besucher strömen in Massen zu seinen Audienzen und Gottesdiensten auf dem Petersplatz. Der Tourismus in Rom erlebt dank des Franziskus-Effekts Hochkonjunktur. Seine Treffen mit Kranken und Behinderten, das gemeinsame Mittagessen mit den Armen und Obdachlosen, die fürsorgliche Ansprache vor den Priestern und Ordensleuten bezeugen seine tiefe Menschlichkeit.Dabei sticht immer wieder deutlich die pastorale Ausrichtung des neuen Pontifikats hervor. Franziskus ist kein Ausnahmetheologe wie Benedikt XVI., sondern ein Hirte, der seine Erfahrungen als Bischof und später als Kardinal in Buenos Aires in den Dienst des Pontifikats stellt und damit auch die Seelen vieler Menschen anspricht, die sich längst vom Glauben abgewendet hatten.In seinem Bestreben nach einem offenen menschlichen Dialog beeindruckt Franziskus mit seiner Einfachheit. Ein Jahr seit seinem Amtsantritt wohnt er immer noch gemeinsam mit 50 Kurienprälaten im Gästehaus Santa Marta; offenbar meidet er die Isolierung im Apostolischen Palast. Im Gegensatz zu den Befürchtungen einiger Vatikan-Experten, die „Rivalitäten“ mit seinem Vorgänger Benedikt XVI. vorausgesagt hatten, hat Franziskus stets einen sehr freundschaftlichen Kontakt zum emeritierten Papst gepflegt, der zurückgezogen in einem Frauenkloster im Vatikan lebt. Herzlich und bewegend waren bisher die Begegnungen zwischen den beiden Päpsten. Zuletzt umarmte Franziskus seinen Vorgänger herzlich, als dieser im Petersdom an der Zeremonie zur Kreierung von 19 neuen Kardinälen teilnahm.Papst greift gern zum TelefonhörerDer argentinische Pontifex fällt immer wieder durch seine besondere Volksnähe auf. Wie ein einfacher Priester greift er gern zum Telefonhörer und sorgt mit seinen spontanen Anrufen bei Gläubigen für Aufsehen. Der Argentinier ruft gelegentlich Freunde an – ob gläubig oder nicht – oder auch Journalisten und erkundigt sich nach kranken Angehörigen, Prüfungsergebnissen oder Geburtstagen. Schon öfters telefonierte er mit der Familie eines in Italien ermordeten Tankwarts und spendete Trost und ermutigende Worte. Im September rief er einen an Muskeldystrophie leidenden Teenager aus Pinerolo in der Region Piemont an.Bergoglios Fürsorge und Offenheit für Kranke und leidende Menschen rührt die Gläubigen immer wieder. Für Aufregung sorgten die Bilder des Papstes, der bei einer Generalaudienz das mit Beulen und Wunden bedeckte Gesicht und die Hände eines Schwerkranken streichelte und seinen Kopf küsste. Gläubige, die die Szene beobachteten, brachen in Tränen aus.So freundlich, unkonventionell und volksnah wie sich der Papst präsentiert, zeigt Franziskus jedoch auch Charisma und Strenge, wenn es darum geht, unchristliches Verhalten in und außerhalb des Vatikans anzuprangern. So machte der Papst immer wieder klar, dass er nichts von bürokratischen Bischöfen und dem Streben nach Karriere halte. Franziskus bevorzugt Hirten, Geistliche, die nicht auf Form, sondern auf Substanz achten. Bischöfe und Priester mahnt Franziskus bei seinen eindringlichen Predigten, der Kirche nicht zu schaden, indem sie auf Geld und Ruhm aus sind."Geistliche sollen nicht zu Funktionären werden"Das Streben nach Karriere und Wohlstand sowie die Bereitschaft, Kompromisse mit dem Zeitgeist zu schließen, könnten auch Geistliche in „faule Funktionäre“ verwandeln. Ein Christ sollte nach den Worten des Papstes über „ein gesundes Maß an Verrücktheit“ verfügen. Die Kirche brauche keine „Salon-Christen“, sondern Menschen, die auch unbequeme Dinge sagten und sich nicht scheuten, die wohlsituierten Verhältnisse zu stören, erklärte der Papst kürzlich unverblümt.In seiner Predigt beim letzten Konsistorium vor zwei Wochen rief Franziskus die 19 neuen Kardinäle auf, ihr Leben der Heiligkeit zu widmen. „Der Kardinal tritt in die Kirche Roms ein, nicht in einen Hofstaat. Vermeiden wir alle höfischen Gewohnheiten und Verhaltensweisen wie Intrigen, Tratsch, Seilschaften, Günstlingswirtschaft, Bevorzugungen, und helfen wir uns gegenseitig, sie zu vermeiden. Unser Rede sei das des Evangeliums“, betonte der Heilige Vater.apa