<b>Pater Anselm, Sie blicken im Jänner auf 80 Lebensjahre zurück. Wie hat sich Weihnachten in dieser Zeit für Sie persönlich verändert?</b><BR />P. Anselm Grün: Gut, ich feiere Weihnachten natürlich jedes Jahr vor dem Hintergrund der politischen und sozialgesellschaftlichen Situation. Und in diesem Jahr ist Weihnachten natürlich ein Hoffnungsfest für mich, dass wir trotz aller Turbulenzen hoffen können auf einen neuen Anfang. Und Gott setzt ja in der Geburt seines Sohnes einen neuen Anfang, einen Anfang der Hoffnung, dass der Friede sich doch durchsetzt gegenüber den Mächtigen. Wir feiern Weihnachten im Kloster immer auf die gleiche Weise. Aber die psychische und gesellschaftliche Situation, die ist jeweils anders und ebenso die Herausforderung, dass Weihnachten für mich wirklich wird, dass Gott in mir geboren wird – in der Situation, in der ich mich gerade befinde.<BR /><BR /><b>Das heißt, in diesem Jahr kommt bei Ihnen nicht so die große Freude auf, wenn Sie auf die Konflikte, die Kriege, das ganze Elend blicken?</b><BR />P. Anselm: Die große Freude nicht, aber die Hoffnung. Die Hoffnung und trotzdem die Freude, dass da etwas in die Welt gekommen ist, was diese Welt verwandelt. Und ich vertraue darauf, dass dieses hilflose Kind mächtiger ist als die Mächtigen dieser Welt. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1111464_image" /></div> <BR /><BR /><b>Wir feiern jetzt dieses Kind seit mehr als 2000 Jahren, und die Welt ist doch nicht besser geworden. Woher nehmen Sie trotzdem diese Hoffnung, dass sich was ändert?</b><BR />P. Anselm: Ich nehme die Hoffnung, dass es in dieser Welt auch Menschen gibt, die sich davon berühren lassen und die deswegen in diese Welt neue Hoffnung bringen. Auch wenn momentan die Kirche nicht so die große Macht hat oder den großen Einfluss. Aber trotzdem, ich erlebe auch viele Menschen, die kirchenfern sind und zu uns kommen; so sehe ich, dass da eine Sehnsucht ist nach einer anderen Botschaft und dass diese Botschaft sich in den Gedanken der Menschen durchsetzt. Das ist einfach eine Hoffnung. Diese Menschwerdung hat Menschen verwandelt zu Christen und zur Hoffnung. Ja, auch das Böse ist in der Welt, diese Brutalität. Aber in den Herzen ist die Sehnsucht nach Menschlichkeit und die Hoffnung, dass die Menschlichkeit sich durchsetzt, bei allen Rückschlägen, bei all den negativen Erfahrungen. Diese Hoffnung gebe ich nicht auf.<BR /><BR /><BR /><b>Diese Nacht, die in unserem Wort Weihnacht steckt, diese Nacht auszuhalten und zu erleben, das gehört also auch wesentlich zum Fest dazu.</b><BR />P. Anselm: Für mich gehört zu Weihnachten auch die Einsamkeit dazu, auch mal allein zu sein. Ich sitze 3 Stunden alleine in meinem Zimmer und versuche für die Menschen zu beten, mit denen ich mich verbunden fühle und einfach zu spüren: Was heißt Weihnachten jetzt für mich und für die Menschen, die krank sind, die nicht so viel Hoffnung haben? Und da spüre ich, das verwandelt mich und ich kann dann mit neuer Hoffnung auf die Menschen zugehen.<BR /><BR /><embed id="dtext86-67918867_quote" /><BR /><b> Nun gibt es in unseren Breiten viele Menschen, die von Weihnachten geradezu genervt sind, die das Fest einfach nur noch stressig, teuer und irgendwie nicht gerade freudig finden. Was machen diese Menschen falsch? Oder anders, wie feiern wir Weihnachten richtig?</b><BR />P. Anselm: Wie ich Weihnachten feiere, hängt letztlich von mir ab, ob ich mir in der Adventszeit Stille gönne und mich innerlich darauf vorbereite, ob ich ein schönes Fest feiere oder ob ich mich von den Erwartungen von außen bestimmen lasse. Viele lassen sich total bestimmen, aber schimpfen dann auf das Weihnachtsfest. Andere haben zu hohe Erwartungen, sie meinen, zu Weihnachten müsse man auf heile Familie machen. Aber dann gelingt es eben nicht, denn auf Knopfdruck kann ich keine heile Familie schaffen. Es braucht eben eine Umwandlung, dass ich wirklich in meinem Herzen spüre, was es bedeutet, dass Gott in mir ist, dass seine Liebe auch meine negativen Gefühle verwandeln will. Wie wir Weihnachten feiern, das ist unsere eigene Verantwortung, nicht die Verantwortung der Gesellschaft.<BR /><BR /><b>Gehören Geschenke für Sie dazu?</b><BR />P. Anselm: Ich selbst schenke nichts, außer dass ich einen Brief schreibe. Aber natürlich wollen meine Geschwister was schenken. Für mich ein echtes Geschenk ist Aufmerksamkeit, Zuwendung, das Zeithaben für jemand, das sind für mich Geschenke. Manche materiellen Geschenke muss man mehr entsorgen, als dass sie einem Freude machen.<BR /><BR /><b>Hinweis:</b> Das ganze Interview mit P. Anselm Grün hören Sie im Podcast „Martins Sonn(der)tag“, der ab 24. Dezember auf stol.it abrufbar ist. Darin erzählt P. Anselm auch, wann und wie er seine Bücher schreibt, woher er seine Gedanken nimmt, wie uns das Kirchenjahr helfen kann und „Was letztlich zählt“ – so der Titel seines neuesten Buches.