„Das sind besorgniserregende Tatsachen“, sagt Seitz und wünscht sich „flankierendere Interventionen“.<BR /><BR /><b>Die Pflege älterer Menschen findet in Südtirol zu einem großen Teil zu Hause statt. Wie stellt sich das im Bereich der Demenzerkrankungen dar?</b><BR />Ulrich Seitz: Aufgrund der Rückmeldung unserer Mitgliederfamilien werden circa 80 Prozent der Betroffenen zu Hause versorgt. 48 Prozent der rund 10.500 Fälle (hauptsächlich Demenz, Parkinson, Multiple Sklerose, schwere Behinderungen) im Land sogar bis zu ihrem Lebensende. Pflegepersonen sind in zwei von drei Fällen die Ehepartner und zu einem Drittel geschieht es über Generationen hinweg – hier pflegen meist die Töchter bzw. Schwiegertöchter. Die Hälfte unserer Pflegenden im Lande betreut ihre Angehörigen schon länger als fünf Jahre, rund ein Drittel ist mindestens 60 Stunden in der Woche mit dieser „Aufgabe“ beschäftigt.<BR /><BR /><b>Was bedeutet dies für die Angehörigen?</b><BR />Seitz: Sie helfen beim Waschen, Anziehen oder Essen. Sie geben Medikamente, organisieren Termine und kümmern sich um vieles mehr. Diese und andere Aufgaben zehren an ihren Kräften, häufig neben Beruf, Familie und weiteren Verpflichtungen. Je nach Pflegegrad steigt oft auch der Aufwand. So bleibt ihnen manchmal nur wenig Zeit für sich. Sorgen um Krankheit, Alter oder Geld kommen dazu. Die Mehrheit der Pflegenden vernachlässigt dabei die eigene Gesundheit...<BR /><BR /><b>Eine solche Belastung bleibt also nicht ohne Folgen?</b><BR />Seitz: Häufig werden, wie gesagt, die eigenen Emotionen und Bedürfnisse zurückgestellt, um für das erkrankte Familienmitglied da zu sein. Denn trotz aller emotionalen und körperlichen Belastung pflegen viele Angehörige bis zur eigenen Erschöpfung. Vielen Pflegenden fällt es schwer, Hilfe einzufordern oder anzunehmen. Wegen der Eingebundenheit in die tägliche Versorgung und aus Scham über das Verhalten der Betroffenen ziehen sie sich häufig aus ihren sozialen Kontakten und gesellschaftlichen Unternehmungen zurück und geraten so zunehmend in die Isolation. Das sind besorgniserregende Tatsachen.<b><BR /><BR />Dann wird aus der Belastung Überforderung?</b><BR />Seitz: In der Tat – Überforderung in der Pflege kennen viele Angehörige. Das Gefühl, an die Grenzen zu kommen. Das kann sich körperlich äußern, zum Beispiel durch Rücken- oder Gelenkschmerzen. Auch die Seele leidet: Manche fühlen sich gestresst, traurig oder einsam. Wenn Körper und Seele dauerhaft erschöpfen, kann das zu Burnout führen. Mit dem Fortschreiten der Demenz treten dabei immer mehr Einschränkungen auf, die jeweils gezielte Unterstützung erfordern. Und damit steigt für die Pflegenden die Belastung. So erfüllend die Pflege eines geliebten Menschen sein kann, sie kostet oft viel Kraft. Zwischen Verantwortung, Alltag und eigenen Bedürfnissen entsteht leicht Überlastung. Das zeigt auch der traurige Umstand, dass die Hälfte der Pflegenden während der Pflege psychisch oder physisch selbst erkrankt. <BR /><BR /><b>Eine solche Erkrankung wiegt dann doppelt schwer?</b><BR />Seitz: Oder andersherum: Die Vermeidung eines Burnouts als pflegender Angehöriger ist von entscheidender Bedeutung, da die meisten pflegenden Angehörigen kaum zu ersetzen sind. Pflegen bis zum Umfallen nutzt also auch nichts. Leider wird oft vergessen, dass wir uns schon lange nicht mehr nur um die Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung, sondern vielmehr ebenso um die Abstimmung von Beruf und Pflege daheim kümmern sollten.<BR /><BR /><b>Was bräuchte es aus Ihrer Sicht, um die Situation für pflegende Angehörige zu verbessern?</b><BR />Seitz: Für sie braucht es in Südtirol dringend einige flankierende neue Interventionen, da viele Familien am Anschlag sind. Es gibt eindeutig zu wenig Entlastungsangebote. Aber auch Informationen, Beratung, Selbstpflege, emotionale Entlastung und soziale Unterstützung sind dringend notwendig. Dabei sind Angehörige die Experten für ihre eigene Situation. Denn nur sie wissen, wie sich ihre Betreuungssituation anfühlt. Empathie und Wertschätzung helfen dabei mehr als vorschnelle Urteile. Angehörige brauchen keine Bevormundung, sondern individuelle Begleitung und Beratung. <BR /><BR /><b>Und wie hilft ASAA?</b><BR />Seitz: Wir wollen uns als Verein noch mehr als bisher mit den Anliegen der Betroffenen auseinandersetzen, etwa mit dem Projekt Sollievo-Miteinander. Hier setzen wir auf die Einbindung von Ergotherapeuten. Die Ergotherapie unterstützt und begleitet Menschen jeden Alters, die in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt sind. Diese neue Ressource ist für uns ein absoluter Mehrwert. Ziel ist es, Menschen bei der Durchführung von für sie bedeutungsvollen Betätigungen in den Bereichen Selbstversorgung, Produktivität und Freizeit/Erholung in ihrer Umwelt zu stärken. Es werden spezifische Aktivitäten, Umweltanpassung und Beratung eingesetzt, um die Handlungsfähigkeit im Alltag, die gesellschaftliche Teilhabe und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern. Zudem stehen Anleitung/Training sinnvoller Alltagsaktivitäten sowie die Identifizierung von Strategien, die für die jeweilige Alltagssituation am besten geeignet sind, im Vordergrund. Zunehmend wichtig ist ebenso die Unterstützung bei der Strukturierung des Tagesablaufs. Des Weiteren möchten wir ganz spezifische Vorschläge für Veränderungen in der häuslichen Umgebung für mehr Sicherheit und Orientierung (Hilfsmittel, Abbau architektonischer Barrieren) liefern. Zu guter Letzt starten wir das Projekt „Ausbildung von Pflegelotsen“ – für das wir im Übrigen noch interessierte Unternehmen im Lande suchen, die bereit sind, sich zu beteiligen. <BR /><BR /> <a href="mailto:redaktion@stol.it" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">Haben Sie einen Fehler entdeckt? Geben Sie uns bitte Bescheid.</a>