Ein Blick auf Südtirols Emissionen zeigt: Auch in Südtirol passiert zu wenig. „Politik und Gesellschaft haben noch nicht verstanden, was auf dem Spiel steht“, sagt Niedrist. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="834239_image" /></div> <BR /><b>Zusammen mit Ihrem Kollegen Marc Zebisch und weiteren Mitarbeitern haben Sie eine Online-Plattform mit Südtirols wichtigsten Klimakennzahlen eingerichtet. Wie kam es dazu?</b><BR />Georg Niedrist: In jüngster Zeit sind immer wieder Personen, auch Schüler und Studenten, an uns herangetreten, die bestimmte Daten zum Klimawandel in Südtirol haben wollten. Wir haben daher mit Hilfe der jeweiligen Institutionen öffentliche Daten zusammengetragen, sie grafisch aufgearbeitet und mit einfachen Erklärungen versehen. <BR /><BR /><b>Ist das Interesse der Jugend größer als das der Erwachsenen?</b><BR />Niedrist: Das sieht man auch an den Protestbewegungen, wo auch hauptsächlich die Jugend auf die Straße geht. In dieser Altersklasse ist die Sensibilität für das Thema hoch, aber es betrifft auch sie und ihre Zukunft in erster Linie. Allerdings möchte ich das nicht auf einen Generationenkonflikt reduzieren. Wir können das drängende Problem nur miteinander lösen. Der Druck der Straße hilft dabei sicher.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="834242_image" /></div> <BR /><b>Die Grafik 1 zeigt Südtirols CO2-Emissionen in ihrer zeitlichen Entwicklung. Da muss man aber schon genau hinsehen, um Veränderungen festzustellen...</b><BR />Niedrist: Leider spiegelt das die Realität wieder, denn unterm Strich hat sich da in den vergangenen 20/30 Jahren in der Tat nicht viel getan. Einzig beim Heizen zeigt sich eine Verbesserung, hier konnten die Emissionen zwischen 2010 und 2019 um ein Viertel reduziert werden. Der größte CO2-Verursacher ist jedoch der Verkehr, und hier hat sich wie in der Landwirtschaft nichts verbessert. Und die Industrie hat bei den Emissionen seit 2010 sogar noch zugelegt. Und dann: Das ist nur die halbe Wahrheit...<BR /><BR /><b>Inwiefern?</b><BR />Niedrist: In den Grafiken sind nur die territorialen Emissionen erfasst. Wir haben in Südtirol aber viele Leistungen, die CO2 verursachen, ausgelagert. Wir haben keine Schwer- und Zementindustrie, auch die Fleischproduktion findet nur zu einem geringen Teil im Land statt. Diese Dinge importieren wir, wir verbrauchen sie also, aber die dadurch entstehenden Emissionen werden anderswo frei. Der eigentliche CO2-Fußabdruck ist also wohl eher doppelt so hoch.<BR /><BR /><b>Lässt sich so erklären, warum wir im europäischen Vergleich dennoch gut dastehen?</b><BR />Niedrist: Zum einen dadurch, zum anderen auch, weil unsere lokale Stromproduktion überwiegend aus der Wasserkraft stammt und damit „grün“ ist. Allerdings fließt unser Strom in das europäische Netz, und aus der Steckdose kommt auch bei uns der gleiche Mix wie anderswo, mit einem Anteil von 20 bis 30 Prozent erneuerbarer Energie. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="834245_image" /></div> <BR /><BR /><b>Ein Blick auf die Grafik 2 mit der Abweichung der Jahrestemperatur vom langjährigen Mittel zeigt den Trend. Südtirol hat im Durchschnitt bereits ein Plus von 2 Grad. Das ist mehr als das globale Plus...</b><BR />Niedrist: Der Alpenraum heizt sich schneller auf als andere Flächen, etwa als die Ozeanflächen. Wenn das weltweite Klimaziel ist, die Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad zu beschränken, dann bedeutet das für Südtirol immer schon eine Erwärmung um 3 bis 4 Grad. Im Optimalfall. <BR /><BR /><b>Warum diese 1,5 bis 2 Grad-Marke?</b><BR />Niedrist: Weil die Klimawissenschaft mit ihren Modellen davon ausgeht, dass die Klimaveränderungen und die damit einhergehenden Extremereignisse bei dieser Grenze noch irgendwie handhabbar sein werden. Gleichzeitig hofft sie, dass wir die sogenannten klimatischen Kipppunkte nicht überschreiten. Zusätzlich zum Problem der höheren Durchschnittstemperatur bereiten die Extremereignisse Sorgen. Und die steigen nicht parallel, sondern überproportional. Das bedeutet, dass immer größere Teile des Planeten unbewohnbar werden. Die Wissenschaft hat bis vor Kurzem vielleicht zu wenig deutlich diese erschreckenden Fakten auf den Tisch gelegt.<BR /><BR /><b>Mit Extremereignissen meinen Sie unter anderem Starkregen? Auf einer Grafik sieht man deutlich, dass sie in Südtirol zugenommen haben.</b><BR />Niedrist: Starkregenereignisse sind eines der Phänomene. Mittlerweile haben wir ausreichend lange Aufzeichnungen, um sagen zu können, dass sie statistisch signifikant zugenommen haben. Im Süden und Osten Südtirols sogar um 25 Prozent. Längere Trockenphasen sind ein weiteres dieser Phänomene. Das lässt sich einfach erklären: 2 Grad wärmere Luft kann knapp 15 Prozent mehr Feuchtigkeit speichern. Es regnet weniger oft, dafür fällt bei einem Niederschlagsereignis mehr Regen in kurzer Zeit. <BR /><BR /><embed id="dtext86-57035775_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Wir werden also mit mehr solcher Ereignisse rechnen müssen?</b><BR />Niedrist: Diese Extremereignisse steigen nicht parallel, sondern überproportional. Dass sie steigen, lässt sich nicht mehr aufhalten. Das Klima ist träge, was in den kommenden 20 bis 30 Jahren passiert, können wir nicht mehr korrigieren. Wir können nur noch dafür sorgen, dass es dann nicht noch schlimmer kommt. <BR /><BR /><b>Das heißt aber doch auch, dass sich Südtirol insgesamt und jede einzelne Gemeinde auf jeden Fall für wesentlich mehr solcher Extremereignisse, als wir sie jetzt schon erleben, vorbereiten muss?</b><BR />Niedrist: Diese Entwicklung ist nicht mehr aufzuhalten, selbst wenn wir morgen alle Emissionen stoppen würden, wonach es nicht aussieht. Also müssen wir unsere Gefahrenzonenpläne entsprechend ändern, wir müssen in der Forstwirtschaft sehr weitsichtig reagieren, denn hier brauchen Maßnahmen Zeit, um zu greifen. Bauliche Anpassungen gehen da schneller. Die Herausforderung ist, sich auf etwas vorzubereiten, von dem wir keine historischen Erfahrungen haben. Doch die Physik hat bei allem, was sie bisher vorausgesagt hat, recht behalten. Es gibt keinen Grund zu glauben, sie würde sich für die Zukunft irren. Dabei ist der Klimawandel durchaus nicht nur ein Umweltproblem.<BR /><BR /><b>Wie meinen Sie das?</b><BR />Niedrist: Er wird in Zukunft vor allen Dingen ein soziales Problem werden. Im Vergleich zu anderen Regionen der Welt ist Südtirol von den Auswirkungen des Klimawandels noch nicht so stark betroffen. Da gibt es Gegenden, die bereits jetzt viel größere Schwierigkeiten haben. Und die werden zunehmen. Es wird immer mehr Regionen geben, in denen Landwirtschaft etwa aufgrund der Trockenheit nicht mehr möglich sein wird. Damit werden Teile des Planeten schlicht nicht mehr bewohnbar sein. Und wo keine Landwirtschaft mehr möglich ist, das zeigt auch die Geschichte, da emigrieren die Menschen. Und dann reden wir nicht mehr nur von einzelnen Migrantenschiffen vor Lampedusa, wir reden von Völkerwanderungen. <BR /><BR /><b>Haben Sie das Gefühl, dass unsere Politiker verstanden haben, was auf dem Spiel steht?</b><BR />Niedrist: Ein ganz klares Nein. Das betrifft aber nicht nur Politiker, sondern auch noch große Teile unserer Gesellschaft.<BR />