Von seiner bislang weitesten Dienstreise schrieb der neue amerikanische Präsident <b>Harry S. Truman</b> am 16. Juli 1945 einen Brief an seine 92-jährige Mutter und seine Schwester in Grandview, Missouri:<BR /><BR /><i>„Liebe Mama und Mary, bin gestern Nachmittag in Berlin gelandet und wurde von den Außenministern und höchsten Funktionären Großbritanniens und Russlands und einem Kontingent amerikanischer Soldaten empfangen, das ich abschreiten musste. Dann wurden wir in ein schönes Haus an einem See bei Potsdam geführt. Es gehörte früher dem Direktor einer Filmgesellschaft, der, wie man sagt, nach Russland geschickt worden ist – warum weiß ich nicht.“</i><h3> Codename für Konferenz ist „Endstation“</h3>Am nächsten Tag begann im Potsdamer Schloss Cecilienhof, dem Sommersitz des ehemaligen preußischen Kronprinzen, die Konferenz der <i>„Großen Drei“: </i><b>Truman,</b> Kremlchef <b>Josef Stalin</b> und der britische Premierminister <b>Winston Churchill</b>. Von Churchill stammte der Codename für eine der wichtigsten und folgenschwersten Konferenzen des 20. Jahrhunderts: <i>„Terminal“</i> – Endstation.<BR /><BR />Man einigte sich schnell auf politische und wirtschaftliche Grundsätze zur künftigen Behandlung Deutschlands, die im Grunde schon seit der Konferenz von Jalta (4. – 11. Februar 1945) unstrittig waren: Entwaffnung, Entmilitarisierung, Entnazifzierung, demokratische Umgestaltung des Erziehungs- und Gerichtswesens, Wiederaufbau des politischen Lebens und der lokalen Selbstverwaltung nach <i>„demokratischen“</i> Grundsätzen. <BR /><BR />Übermäßige Konzentration der Wirtschaft sollte vernichtet und „das Hauptgewicht auf die Entwicklung der Landwirtschaft und der Friedensindustrie für den inneren Bedarf“ gelegt werden. Einzelne Formulierungen wurden wörtlich den <i>„Richtlinien für die amerikanische Delegation“</i> entnommen, was bei den Amerikanern später den Eindruck verstärkte, die Konferenz sei für sie ein voller Erfolg gewesen.<h3> Reparationen sind zentrales Thema</h3>In allen Beratungen rückte eine Frage immer mehr in den Mittelpunkt, die mitentscheidend für das weitere Schicksal Deutschlands werden sollte: Reparationen. Als Stalin seine Forderung von Jalta wiederholte – 10 Milliarden Dollar Reparationen für sein Land (nach heutiger Kaufkraft etwa 100 Milliarden) –, lehnten Amerikaner und Briten dies als unannehmbar ab. <BR /><BR />Reparationen in dieser Größenordnung würden ihrer Meinung nach in ihren Zonen das wirtschaftliche Chaos in einem Maße erhöhen, das dem Kommunismus dort Tür und Tor öffnen würde; zum anderen wären ihre Zonen nicht mehr in der Lage, sich selbst ohne fremde Hilfe zu erhalten. Die aber konnte nur, wie nach dem Ersten Weltkrieg, von den USA kommen. Mit anderen Worten: Die USA würden letztlich die Reparationen für die Sowjetunion zahlen. Das aber war nicht machbar. Seiner Frau Bess schrieb Truman:<BR /><BR /><i>„Der Weihnachtsmann ist tot. Amerika wird niemals wieder Reparationen zahlen, die ganze Welt ernähren und als Dank dafür einen auf die Nase bekommen.“</i><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1190100_image" /></div> <BR /><BR />Der amerikanische Botschafter in Moskau, <b>Averell Harriman,</b> wies auf die kulturellen Unterschiede zu den Sowjets hin und meinte zu Truman, der gerne Geschichten über Dschingis Khan las, der Sieg der Roten Armee über die Nazis komme einer <i>„Invasion Europas durch die Barbaren“</i> gleich.<h3> Winston Churchill verliert Parlamentswahl</h3>Am 25. Juli wurde die Konferenz unterbrochen. In Großbritannien war ein neues Parlament gewählt worden, und Churchill flog nach London, um am nächsten Tag bei der Bekanntgabe des Wahlergebnisses zugegen zu sein. Er kehrte nicht mehr nach Potsdam zurück. <BR /><BR />Die Briten hatten sich gegen ihn ausgesprochen, die Labour Party hatte die Wahl gewonnen, der neue Premierminister hieß <b>Clement Attlee</b>, ein <i>„Schaf im Schafspelz“</i>, wie Churchill ihn im Wahlkampf ziemlich bösartig, aber nicht ganz falsch charakterisiert hatte. Der Gewerkschafter <b>Ernest Bevin</b> wurde neuer Außenminister. Sie nahmen am 28. Juli in Potsdam die Plätze von Churchill und <b>Anthony Eden</b> ein.<BR /><BR />In der Zwischenzeit hatten Amerikaner und Sowjets das Reparationsproblem <i>„gelöst“</i>. Die Lösung klang simpel und harmlos, tatsächlich erwies sie sich für die Einheit Deutschlands als verhängnisvoll. Die Amerikaner hatten vorgeschlagen, dass jede Besatzungsmacht ihre Reparationsansprüche aus ihrer jeweiligen Zone befriedigen solle. <BR /><BR />Die Sowjetunion sollte darüber hinaus aus den westlichen Besatzungszonen Reparationen 10 Prozent gratis und 15 Prozent im Austausch gegen Sachlieferungen, in erster Linie Lebensmittel, erhalten. Eine konkrete Zahl wurde nicht genannt; allerdings sollte die Entnahme der Reparationen der deutschen Bevölkerung genügend Mittel belassen, um ohne Hilfe von außen zu existieren.<BR /><BR />Unter Zeitdruck ging die Konferenz zu Ende. Stalin erkrankte für zwei Tage, in denen die Außenminister der USA und der Sowjetunion, Byrnes und Molotow, den <i>„kleinen Kuhhandel“</i>, wie es Byrnes privat bezeichnete, perfekt machten.<BR /><BR />Am vorletzten Tag der Konferenz schrieb Truman an seine Frau: <i>„Die Reparationen sind das entscheidende Problem. Natürlich sind die Russen von Natur aus Plünderer.“</i> Aber er erkannte auch an, <i>„dass sie von den Deutschen ausgeplündert worden sind und man sie jetzt schwer für ihre Haltung bestrafen kann“. </i>Für Stalin war der amerikanische Außenminister James Byrnes jedenfalls der <i>„ehrbarste Pferdedieb“, </i>den er jemals getroffen hatte.<h3> Umstrittene Oder-Neiße-Linie</h3>Bei Annahme des amerikanischen Reparationsplans durch die Sowjets würden Amerikaner und Briten im Gegenzug die von Stalin gewünschte Oder-Neiße-Linie – und zwar die westliche Neiße – als polnische Westgrenze anerkennen. Damit würde ganz Schlesien an Polen fallen.<BR /><BR />Gerade über diese Frage war es während der Konferenz zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen. Churchill war entschieden gegen eine zu weite Ausdehnung Polens nach Westen, wobei im Zusammenhang mit der Vertreibung der Deutschen weniger humanitäre Gründe eine Rolle spielten als die wirtschaftlichen Folgen, die er befürchtete. <i>„Sie bringen ihre Mägen mit“</i>, wie er es auf seine Art formulierte.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1190103_image" /></div> <BR /><BR /> Der Vorbehalt der Anglo-Amerikaner, dass <i>„die endgültige Festlegung der Westgrenze Polens bis zur Friedensregelung zurückgestellt werden sollte“, </i>hatte zunächst nur Alibifunktion und war ein Lippenbekenntnis, da sie gleichzeitig der Umsiedlung der deutschen Bevölkerung dort in <i>„ordnungsgemäßer und humaner Weise“</i> zustimmten. Die Umsiedlung fand statt, allerdings weder ordnungsgemäß noch human. <h3> Skepsis bei anderen Verbündeten</h3>Am 1. August 1945 informierte Attlee die Regierungschefs der Dominien über das Ergebnis der Verhandlungen, die, so Attlee, <i>„eine solide Grundlage für weitere Fortschritte bilden“; </i>die Einheit der Alliierten sei dabei entscheidend.<BR /><BR />Der Ministerpräsident der Republik Südafrika, der greise <b>Feldmarschall Smuts</b>, war über so viel politische Kurzsichtigkeit geradezu erschüttert. Er warnte vor der sowjetischen Gefahr, die sich als neue Bedrohung für Europa und die Welt erhebe, für die Potsdam jedoch blind gewesen sei. Auf der Konferenz sei größter Schaden angerichtet worden:<BR /><i>„Deutschland wird zum Notstandsgebiet in Europa mit einem niedrigen Lebensstandard werden. Dies wird auch auf die umliegenden Länder katastrophale Auswirkungen haben. So entsteht ein Infektionsherd im Herzen des Kontinents. Potsdam“, </i>so sein Resümee, <i>„eröffnet deprimierende Aussichten.“</i><BR /><BR />Ähnliche Zweifel plagten auch <b>George F. Kennan,</b> Botschaftsrat an der US-Botschaft in Moskau. Der Russlandexperte war entsetzt darüber, dass Truman ein Dokument unterzeichnet hatte, in dem so dehnbare Begriffe wie <i>„demokratisch“, „friedlich“, „gerecht“</i> auftauchten; dies lief seiner Meinung nach <i>„allem direkt zuwider, was 17 Jahre Russlanderfahrung mich über die Technik des Verhandelns mit der sowjetischen Regierung gelehrt hatten“</i>.<BR /><BR />Kennan weiter: <i>„Die Idee, Deutschland gemeinsam mit den Russen regieren zu wollen, ist ein Wahn. Ein ebensolcher Wahn ist es, zu glauben, die Russen und wir könnten uns eines schönen Tages höflich zurückziehen, und aus dem Vakuum werde ein gesundes und friedliches, stabiles und freundliches Deutschland steigen. Wir haben keine andere Wahl, als unseren Teil von Deutschland zu einer Form von Unabhängigkeit zu führen, die so befriedigend, so gesichert, so überlegen ist, dass der Osten sie nicht gefährden kann.“</i><BR /><BR />Für <b>Molotow</b> war dagegen das Ergebnis der Konferenz wenig überraschend <i>„in vollem Maße zufriedenstellend“,</i> wie er in einem Runderlass vom 5. August feststellte.<h3> Fazit</h3>In Potsdam wurde auch der Rat der Außenminister eingerichtet. Bei dessen erster Konferenz im September in London traten dann jene Probleme zutage, die in Potsdam mit Kompromissformeln kaschiert worden waren. Deutschland wurde letztlich geteilt – und 1990 wiedervereint. Als irreversibel erwies sich allerdings die Oder/Neiße-Lösung.<BR /><BR />Bei anderen <i>„Lösungen“</i> stellt sich die Frage, ob die westlichen Regierungschefs in Potsdam nur naiv gewesen waren, etwa bei der Abtretung von Königsberg als <i>„eisfreien“</i> Hafen an die Sowjetunion: Königsberg war weder ein Hafen noch eisfrei. Oder bei der Frage des <i>„deutschen Eigentums“</i> in Österreich: Am letzten Tag der Konferenz wurde dies den Sowjets zugesprochen. Das wurde zum Freibrief für die Sowjetunion, ihre Zone in Österreich zehn Jahre lang auszubeuten.<BR /><BR />Zwei weitere Entscheidungen von Potsdam hatten historische Bedeutung:<BR /> einen gab Truman am 24. Juli von Potsdam aus den Befehl zum Abwurf der Atombombe auf Japan. Die erste Bombe zerstörte am 6. August Hiroshima, die zweite am 9. August Nagasaki. <BR /> anderen ermöglichte die Vereinbarung, wonach die Japaner in Vietnam im Norden von den Chinesen und im Süden von den Briten entwaffnet werden sollten, Frankreich die Rückkehr als Kolonialmacht in Indochina – mit den bekannten Folgen: erst Indochina-, dann Vietnamkrieg.<BR /><BR />Als sich die Regierungschefs am 2. August in Potsdam trennten, sprach Truman die Hoffnung aus, dass man sich hoffentlich bald in Washington wiedersehen werde. Stalins knappe Antwort lautete: <i>„So Gott will.“</i> Dazu sollte es bekanntlich nicht kommen.<BR /><BR /><b>Zur Person</b><BR />Rolf Steininger war langjähriger Leiter des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck. <a href="https://www.rolfsteininger.at/" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">www.rolfsteininger.at</a><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1190106_image" /></div> <BR />Buchtipp: Rolf Steininger, 1949. Zwei deutsche Staaten. Die Entstehung von BRD und DDR, Innsbruck 2024, 375 Seiten <BR />Bestellen: <a href="https://www.athesiabuch.it/" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">www.athesiabuch.it</a>