Zudem spricht der Primar der Notfallmedizin über die verschiedenen Faktoren, die in äußerst seltenen Fällen auch Geimpfte in die Intensivstationen bringen können und über die Reue der ungeimpften, schwer erkrankten Patienten. <BR /><BR /><BR /><b>Eine bisher noch ungeprüfte Publikation von 65 US-amerikanischen und japanischen Forschern besagt, dass die Omikron-Variante die Lunge seltener angreift als andere Virusvarianten. Stattdessen würde die Virusvariante eher auf die oberen Atemwege wie Nase, Rachen und Bronchien gehen. Können Sie das anhand Ihrer Erfahrungen mit den Südtiroler Patienten bestätigen? Kann man von milderen Verläufen sprechen oder ist es dafür noch zu früh?</b><BR /><BR />Dr. Marc Kaufmann: Derzeit behandeln wir auf den Normalstationen und auf den Intensivstationen noch hauptsächlich Patienten, die mit Delta infiziert sind. Speziell im Intensivbereich sind die Covid-Patienten ja in den allermeisten Fällen sogenannte „Langlieger“, das heißt sie müssen mehrere Wochen beatmet und intensivmedizinisch betreut werden. Daher ist ihre Infektion schon vor Wochen erfolgt, als Delta noch klar die vorherrschende Variante war. <BR /><BR />Omikron ist allerdings sehr stark auf dem Vormarsch, derzeit liegt der Prozentsatz schon bei 50 Prozent der Neuinfektionen in Südtirol und in wenigen Wochen wird Omikron Delta wohl vollständig verdrängt haben. Aufgrund der Dynamik und der Performance von Omikron gibt es daran kaum Zweifel. Erst dann wird es möglich sein das volle Ausmaß abzuschätzen und erste valide Aussagen zu treffen, wie sich die Hospitalisierungsrate verändert und wie es sich mit den Krankheitsverläufen verhält.<BR /><BR /><b>Wissen Sie eigentlich von jedem Patienten, mit welcher Variante er infiziert ist? Wird jede Probe sequenziert?</b><BR /><BR />Kaufmann: Nein, das ist aufgrund des großen Aufwands im Labor nicht möglich und zudem auch nicht notwendig. Eine Probe muss als Grundvoraussetzung für eine Sequenzierung ausreichend genetisches Virusmaterial enthalten, was nicht immer der Fall ist. Typischerweise ganz am Beginn der Infektion, genauso wie in der Phase der Genesung, ist z.B. die Viruslast im Patienten eine sehr geringe.<BR /><BR />Ein möglichst genauer Überblick über die Verteilung der Virusvarianten ist vor allem in den Übergangsphasen von einer Variante zur anderen besonders relevant. Wir möchten hier sehr genau wissen, welche Mutation gerade zirkuliert, um daraus abzuleiten, wie sich die Pandemie weiter entwickeln wird. Jetzt, wo klar ist, dass Omikron in Kürze auch bei uns dominieren wird, ist diese Information zunehmend weniger wichtig. <BR /><BR /><b>Was sind das für Personen, die trotz Impfung auf Intensiv landen? Welche Faktoren spielen hier eine Rolle?</b><BR /><BR />Kaufmann: Ich möchte erneut betonen, dass es in der ganzen Pandemie bis dato kaum Geimpfte auf den Covid-Intensivstationen gab. In den letzten Wochen hatten wir z.B. einen Fall eines sogenannten „geimpften Intensivpatienten“. Allerdings hatte diese Person vor der schweren Erkrankung erst eine Impfung erhalten, diese vermutlich auch in der Phase der bereits erfolgten Ansteckung mit dem Virus und damit viel zu spät für irgendeinen Schutz. <BR /><BR />Die Impfung ist nach wie vor DER Hebel im Kampf gegen die Pandemie und schützt mit ganz klarer Evidenz vor schweren Verläufen und Intensivaufenthalten. Impfdurchbrüche mit schwerer Erkrankung betreffen in der Regel nur Personen, deren Immunsystem auf die Impfung keine adäquate Immunantwort geben und damit auch keinen Impfschutz aufbauen kann. <BR /><BR />Einer der Faktoren ist hier natürlich das Alter. Das Immunsystem alter Menschen arbeitet eben leider nicht mehr so gut wie das von Jüngeren. Eine weitere gefährdete Gruppe sind Personen, die aufgrund einer Grunderkrankung oder auch durch die Therapie dieser Grunderkrankung, wie beispielsweise Patienten mit Autoimmunerkrankungen, onkologischen Erkrankungen, oder auch nach einer Organtransplantation eine Kompromittierung ihres Immunsystems haben. Sie können häufig aufgrund ihrer eingeschränkten Immunabwehr den Impfreiz nicht mit einem ausreichenden Impfschutz beantworten. <BR /><BR />Umgekehrt kann man festhalten, dass wir Menschen, die regulär geimpft und - wenn nötig - mit einem mRNA-Impfstoff geboostert sind und über ein kompetentes Immunsystem verfügen, nicht auf der Covid- Intensivstation sehen. <BR /><BR /><b>Bereuen die ungeimpften Patienten, dass sie sich nicht haben impfen lassen?</b><BR /><BR />Kaufmann: Der Großteil sehr. Damit muss man erst einmal fertig werden, wenn Personen innerhalb einer Familie sterben oder so schwere Verläufe haben, dass sie mit deren Folgen sehr lange, unter Umständen ein Leben lang kämpfen. Und das, obwohl es eine effiziente Schutzimpfung gibt, die sie abgelehnt hatten. Da spielen sich menschliche Tragödien ab. Für viele bricht zusätzlich ein selbstkonstruiertes Weltbild zusammen, eine Seifenblase zerplatzt. Es gibt schwere Selbstvorwürfe, und Vorwürfe im familiären Umfeld und Freundeskreis, dass aufgrund einer Fehlentscheidung nun so großes Leid ertragen werden muss. <BR /><BR />Auch für uns Ärzte, genauso wie für die Pflegekräfte, die wir natürlich alle Patienten – egal ob geimpft oder ungeimpft – ganz gleich professionell behandeln, ist es zunehmend frustrierend, traurig und eigentlich auch nicht mehr zu verstehen, warum es immer noch Menschen gibt, die diese Schutzmöglichkeit ablehnen. Ich erinnere mich an einen rezenten Fall auf der Landesintensivstation in Bozen, da fragte ein Mann, der sich wegen einer schweren Covid-Pneumonie auf dem Weg in die Intensivstation befand, ob er sich nicht jetzt noch schnell impfen lassen könne. Er hatte verständlicherweise sehr große Angst und es ist menschlich und sehr gut nachzuvollziehen, aber zu diesem Zeitpunkt kam seine Entscheidung leider zu spät. <BR /><BR /><b>Wie schätzen Sie die Situation ein. Wie gefährlich wird Omikron?</b><BR /><BR />Kaufmann: Ja, wie bereits erwähnt wird Omikron bald zu 100 Prozent im Umlauf sein. Die Variante ist hochansteckend und die Zahlen werden explosionsartig weiter nach oben gehen. Das was wir jetzt haben ist erst der Anfang. Ich befürchte in den nächsten wenigen Wochen in Südtirol bis zu einige Tausend Neuinfektionen pro Tag. Da das Virus immer erst etwas zeitverzögert zu einer gesteigerten Hospitalisierungsrate führt, werden wir in etwa 3 bis 4 Wochen sehen, wie es dann in den Krankenhäusern und eben auch auf den Intensivstationen aussieht. <BR /><BR /><b>Was sind denkbare Szenarien?</b><BR /><BR />Kaufmann: Viele europäische Staaten beschäftigen ihre Pandemie-Experten derzeit mit der Beurteilung von zwei Worst Case Szenarien : Was passiert, wenn das Virus irgendwann vielleicht nicht mehr „nur“ eine Variante ist, sondern ein weitgehend verändertes Verhalten entwickelt, vergleichbar mit einem neuen Virus? Was, wenn die Impfung dann unter Umständen schlecht oder gar nicht mehr wirkt, d.h. die Impfdurchbrüche wirklich relevant werden und die Krankenhäuser und Intensivstationen die Erkrankten in dieser Menge nicht mehr versorgen können?<BR /><BR />Zweitens, dass uns die Omikron-Infektionswelle nun so schnell und so massiv erwischt, dass zu viele Bürger zeitgleich krank oder in Quarantäne sind. Man weiß, dass etwa 25 Prozent an Ausfällen in einem Bereich, ganz egal ob Medizin, Lebensmittelketten, Energieversorgung usw. als systemkritisch zu werten sind. Dann würde die Grundversorgung der Bevölkerung in Gefahr sein zusammenzubrechen und mit ihr klarerweise auch das Gesundheitssystem, das jetzt schon in vielen Bereichen am Limit arbeitet. Es ist zwar vorerst nur ein Szenario, aber in den internationalen Expertenkreisen wird durchaus ernsthaft darüber diskutiert und mit Hochdruck an Präventionsstrategien gearbeitet. <BR /><BR /><BR /><BR />