Im Interview sprach er über die abschreckende Wirkung der Verfahren am IStGH, seinen Kampf gegen die Klimakriminalität und warum es sich lohnt, seine eigene Komfortzone zu verlassen.<BR /><BR /><b>Vom kleinen Petersberg an den Internationalen Strafgerichtshof nach Den Haag – wie kam es dazu? </b><BR />Reinhold Gallmetzer: Chancen entstehen, wenn man aus seiner Komfortzone herausgeht – bei mir war es jedenfalls so. Mir wurde die Möglichkeit geboten, für die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im Kosovo zu arbeiten. Das war kurz nach Kriegsende. Die sozialen Spannungen waren nach wie vor da, in den Nächten wurde noch geschossen. Kaum jemand wollte da hin. Ich habe die Gelegenheit ergriffen, und das war wohl der Grundstein für meine spätere Karriere. <BR /><BR /><b>Wieso?</b><BR />Gallmetzer: In dieser Zeit erwachte mein Interesse am Aufbau rechtsstaatlicher Institutionen. Ein Jahr später – ich arbeitete beim UNO-Tribunal für Ex-Jugoslawien – wurde gerade der Internationale Strafgerichtshof gegründet. Ich wollte unbedingt Teil dieser historischen neuen Institution sein. Ende 2004 war es so weit, seit 2007 bin ich am IStGH als Staatsanwalt für Berufungsverfahren zuständig. <BR /><BR /><b>Der IStGH verfolgt schwerste Verbrechen wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Was sind die größten Herausforderungen?</b><BR />Gallmetzer: Man hört manchmal den Vorwurf, dass wir nicht gerade viele Fälle bearbeiten. Es ist aber zu bedenken, dass wir oft in Konfliktregionen ermitteln, wo die Personen, die wir schwerer Kriegsverbrechen verdächtigen, noch an der Macht sind. Wir müssen Beweise finden, dass es einen Zusammenhang zwischen hierarchisch höher stehenden Personen und einem Kriegsverbrechen gibt, das von ihren Untergebenen begangen wurde. Und das ist komplex und braucht viel Zeit. Insofern ist die Anzahl unserer Verfahren vielleicht nicht beeindruckend – sehr wohl aber ihre Wirkung. <BR /><BR /><b>Inwiefern? </b><BR />Gallmetzer: Zum einen arbeiten wir mit nationalen Behörden zusammen, um diese zu ermächtigen, Probleme in ihrem Rechtssystem zu lösen, damit sie selbst effizient ermitteln können. Zum anderen tragen die Verfahren am IStGH dazu bei, künftig ähnliche Verbrechen zu vermeiden. Es werden also gezielt Fälle ausgesucht, die einen abschreckenden Effekt haben. <BR /><b><BR />Wie funktioniert das?</b><BR />Gallmetzer: Ein Beispiel: Der erste Fall am IStGH war das Verfahren gegen den Rebellenführer Thomas Lubanga Dyilo, der 2012 wegen der Rekrutierung von Kindersoldaten im Kongo verurteilt wurde. Das Bewusstsein, dass der Einsatz von Kindersoldaten ein Verbrechen ist und als solches tatsächlich geahndet wird, hatte auch einer Expertenzeugin zufolge den Effekt, dass sogar Staaten, die nicht Vertragsparteien des IStGH sind, jüngere Soldaten aus ihrer Armee entlassen haben. <BR /><BR /><b>Wie viele Länder sind denn IStGH-Vertragsparteien?</b><BR />Gallmetzer: Derzeit sind es 125 Staaten. Sie haben sich verpflichtet, mit dem IStGH zusammenzuarbeiten und dessen Haftbefehle zu vollstrecken, falls sich eine gesuchte Person auf ihrem Staatsgebiet aufhält. <BR /><b><BR />Und was passiert, wenn sie es nicht tun – wie z. B. heuer im Frühjahr Ungarn beim Besuch des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu (Ungarn hat in der Folge den Rückzug aus dem IStGH angekündigt, Anm. d.Red)? </b><BR />Gallmetzer: Über anhängige Verfahren und Ermittlungen kann ich nicht sprechen. Grundsätzlich ist zu sagen, dass das Rom-Statut – der Vertrag, der die rechtliche Grundlage für den IStGH ist – ein diplomatischer Kompromiss ist. Die Vertragsländer geben uns damit keinen Blankoscheck. Der IStGH hat keine eigenen Polizeikräfte, wir sind auch nicht die Weltpolizei. Wenn ein Vertragsland allerdings seine Pflichten verletzt, kann es deswegen an den UNO-Sicherheitsrat oder die Vertragsparteien verwiesen werden. <BR /><BR /><b>Wie kam es, dass Sie – neben Ihrer Arbeit am IStGH – Klima-Kriminalität bekämpfen und dazu die internationale gemeinnützige „Organisation Center for Climate Crime Analysis“ (CCCA) gegründet haben?</b><BR />Gallmetzer: Ich befasse mich am IStGH mit den schlimmsten Seiten der Menschheit: Krieg und Vertreibung können die Grundlagen einer Zivilisation zerstören, doch die Menschheit hat sich noch von jedem Krieg erholt. Schreiten hingegen die Auswirkungen des Klimawandels unkontrolliert voran, ist unsere Lebensgrundlage in Gefahr. Ich wollte meine Erfahrung nutzen, um einen sinnvollen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel zu leisten. Laut jüngstem UNO-Bericht sind zwölf bis 15 Prozent der globalen Emissionen auf Abwaldung zurückzuführen. Und obwohl in tropischen Ländern, am Amazonas, in Südostasien und Zentralafrika mehr als die Hälfte der Abwaldung illegal durchgeführt wird, bleiben diese Vergehen vielfach ungesühnt. Wir haben also sehr wohl die Gesetze, aber es besteht eine Vollzugslücke. <BR /><BR /><b>Wie hilft CCCA? </b><BR />Gallmetzer: Unser 30-köpfiges Team von Fachleuten unterstützt lokale Behörden mit technischen und wissenschaftlichen Daten und Analysen, zu denen sie selbst keinen Zugang haben. Wir nutzen modernste Technologien, mit denen wir die Abholzung in Echtzeit dokumentieren können. In Brasilien konnten wir auch jedes Rind dokumentieren, das später auf der abgeholzten Fläche weidete, an wen es weiterverkauft wurde, wer noch davon profitierte – z. B. Schlachthöfe, Betriebe im Fleischsektor, Banken, die das alles finanziert haben. Wir konnten belegen, dass in drei Jahren 1,3 Millionen Hektar Wald illegal abgeholzt worden sind. Unsere Berichte gingen an brasilianische Ermittler, zehn Staatsanwälte bearbeiten die Fälle. In 200 Verfahren wurde bereits Anklage erhoben, und viele weitere werden folgen.